Beim Eröffnungsgottesdienst in Karlsruhe klatschen hunderte begeisterte Gäste aus aller Welt schwungvoll im Rhythmus afrikanischer und asiatischer Trommeln. Jeder spürt: Der Ökumenische Rat der Kirchen, kurz ÖRK, versteht sich nicht als politisches Gremium, sondern als Gemeinschaft, die aus der Kraft des Geistes lebt.
Steinmeier: "Dafür sind wir bis heute dankbar."
Die Vollversammlung ist das höchste Entscheidungsgremium des ÖRK und findet im Schnitt alle sieben Jahre in einem anderen Land und auf einem anderen Kontinent statt. 2022 tagt sie erstmals in Deutschland. Bundespräsident Walter Steinmeier würdigt das Ereignis gleich zu Beginn: "Wir erinnern uns hier in Deutschland dankbar daran, dass die deutschen Kirchen schon 1948 bei der ersten Versammlung in Amsterdam dabei sein konnten und als gleichwertige Mitglieder damals begrüßt wurden. Nach dem Schrecken, den das Deutsche Reich über die Welt gebracht hat, war das keine Selbstverständlichkeit."
Indem der Ökumenische Rat die deutschen Kirchen schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Mitglieder aufnahm, habe er vor dieser Schuld nicht die Auge verschlossen, aber er habe dadurch mitgeholfen, einen neuen Anfang zu machen, sagte Steinmeier. "Dafür sind wir bis heute dankbar."
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Friedensarbeit steht für ÖRK im Mittelpunkt
An diese Erfahrung schließt das Motto der jetzigen Vollversammlung an: "Die Liebe Christi versöhnt, bewegt und eint die Welt". Die Friedensarbeit stehe für den ÖRK weiterhin im Mittelpunkt seiner Tätigkeit, unterstreicht in Karlsruhe der geschäftsführende Generalsekretär des Rates, Joan Sauca.
Nur mit vereinten Kräften, so der rumänische Theologe, könne die Menschheit ihre Zukunft positiv gestalten: "Der ÖRK wird heute gebraucht, denn er steht für existenzielle Fragen und die Hoffnung, dass wir gemeinsam die Klimakrise und den Rassenhass, den Hunger und andere Geißeln der Menschheit überwinden können."
"Jetzige Versammlung so lebenswichtig wie Gründungsversammlung"
Vielleicht sei die jetzige Versammlung ebenso lebenswichtig wie die Gründungsversammlung in Amsterdam 1948, so Sauca. "Denn wir leiden weltweit unter enormen geopolitischen Spannungen, neuen Kriegen und Spaltungen, - auch innerhalb unserer Kirchen." Angesichts dieser Herausforderungen brauche es Versöhnung dringender denn je.
Das Stichwort Versöhnung hat viele Facetten, betont Agnes Aboum. Die anglikanische Historikerin aus Kenia wurde 2013 als erste Frau in das hohe Amt einer "Moderatorin" des ÖRK gewählt. Während ihrer Amtszeit hat sie die Kooperation zwischen Frauen und Männern ebenso gefördert wie Friedensgespräche in den Krisengebieten der Welt. Der ÖRK sei seit Jahrzehnten ein "globaler Dialograum", erzählt sie. Er bringe Menschen verschiedenster Prägung in Austausch.
"Das galt schon für unseren Einsatz gegen das Apartheidsystem Südafrikas. Wir vermitteln aber auch in anderen Konflikten wie jenem zwischen Nord- und Südkorea. Durch offene Gespräche und aufmerksames Zuhören fördern wir auf allen Seiten Verständnis für das Leid des jeweils anderen und die Bereitschaft, humanitäre Hilfe zu leisten. Das sind erste Schritte zur Lösung der Konflikte." Agnes Aboum
Ökumenischer Rat der Kirchen im Schatten des Ukraine-Kriegs
Genau diesen Weg möchte man in Karlsruhe jetzt auch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine einschlagen. ÖRK-Generalsekretär Joan Sauca war kürzlich in Kiew: "Der Ukraine-Krieg ist ein Schatten auf dieser Versammlung. Wir sind mit dem Zentralkomitee des ÖRK in die Ukraine gefahren, um sicher zu stellen, dass elf Abgesandte aus der Ukraine hierher kommen. Sie sind da."
Auch eine Delegation der russisch-orthodoxen Kirche ist nach Karlsruhe gekommen. Im Vorfeld hatten viele Stimmen gefordert, die russische Delegation auszuschließen. "Wir haben das im Zentralkomitee ausführlich diskutiert, sind aber gemeinsam zu dem Schluss gekommen: Es gehört zum Wesen des ÖRK, sich als freie Dialogplattform mit den Meinungen aller auseinandersetzen, auch mit jenen, die anders denken als wir", so Sauca.
Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche anwesend
Vertreter der russischen Kirche sind in Karlsruhe anwesend, als Repräsentanten der ukrainischen Delegation auf dem Podium von den verheerenden Folgen des Angriffskriegs gegen ihr Land erzählen: von Bomben und Todesangst, Verzweiflung und Flucht. Der ukrainische Erzbischof Yevstrativ bringt es auf den Punkt: "Wir Christen in der Ukraine leiden furchtbar. Wir erbitten von jedem Mitgefühl, Gebete und praktische, humanitäre Hilfe. Wir sehnen uns nach einem gerechten Frieden."
"Bitte, betet für uns und unterstützt auch öffentlich die Wahrheit, vor allem gegenüber dem russischen Patriarchen Kyrill: Niemand hat das Recht, brutale Kriegsverbrechen durch religiöse Argumente zu rechtfertigen." Ukrainischer Erzbischof Yevstrativ
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"Dialog führen statt in alte Muster des Kalten Krieges zurückfallen"
Die russische Delegation zieht es in Karlsruhe bisher vor zu schweigen. Doch die Auslandbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland, Petra Bosse-Huber, die mit den Kirchen Osteuropas seit Jahren in engem Kontakt ist, zeigt sich zuversichtlich: "Ich freu mich sehr darüber, in dieser Versammlung zu erleben, dass Leute besonders wach werden, wenn Versöhnung schwer wird, wenn sie nicht billig ist. Und ich hoffe, dass es gelingt, einen Dialog zu führen, was an einer anderen Stelle kaum noch passiert, weil wir in alte Muster des Kalten Krieges zurückfallen."
Man darf gespannt sein, wie die Versammlung in Karlsruhe weiter geht. Sicher ist jetzt schon eines: Die in jüngster Zeit vielerorts und oft sogar in kirchlichen Kreisen geäußerten Rufe nach Vergeltung haben hier so wenig Platz wie einseitige Verurteilungen. Man weiß vielmehr aufgrund der Erfahrungen von Generationen, dass Waffen keine Konflikte lösen, sondern Länder und Völker zerstören. Und man scheut kein Mühe, die Hand zum Frieden immer wieder neu auszustrecken - um der Menschen willen.
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