Die Kritik aus den Ländern an der bundesweiten Corona-Notbremse reißt nicht ab. Bayerns Vizeministerpräsident Aiwanger kritisierte die Regelung im BR Fernsehen als zu starr und nicht zielführend. Seine Partei will, genauso wie die FDP, gegen die nächtliche Ausgangssperre klagen.
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Bundesländer: Kein Einspruch gegen die Notbremse, aber Kritik
Hamburgs Erster Bürgermeister Tschentscher sieht eine verbindliche Regelung für ganz Deutschland zwar positiv. Die Aufweichung der Ausgangsbeschränkung sei allerdings ein Nachteil, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig rügte, das Gesetz halte nicht, was Kanzlerin Merkel versprochen habe. Sie kritisierte in der "Rheinischen Post", dass sich die Regeln schon änderten, wenn der Inzidenzwert drei Tage über 100 läge - und ebenso nach fünf Tagen unter dieser Grenze.
So ein ständiges Hin und Her werde die Menschen verunsichern. Bei der Abstimmung im Bundesrat am Donnerstag gab es allerdings keinen Einspruch der Länder gegen die Maßnahmen.
Ähnlich äußerte sich der Präsident des Landkreistags, Sager: "Die Bundes-Notbremse ist nicht das segensreiche Instrument, für das sie gehalten wird", sagte er der "Rheinischen Post". Die Möglichkeiten der Länder würden eingeschränkt, flexibel und passgenau auf das Infektionsgeschehen vor Ort zu reagieren. Die Regelungslage werde "noch unübersichtlicher, da unterhalb von 100 nach wie vor Landes- und Kreisregelungen greifen können und außerdem oberhalb von 100 die Möglichkeit von strikteren Maßnahmen besteht", kritisierte Sager.
Bayern bleibt bei teils strengeren Maßnahmen
Immer wieder gibt es Unverständnis über die auch weiterhin bundesweit unterschiedlichen Regelungen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Bundes-Notbremse nur einen Mindest-Standard bei den Corona-Maßnahmen festlegt. In Bayern gelten auch weiterhin teilweise strengere Corona-Regeln als im Bundesinfektionsschutzgesetz vorgesehen. Eine Sprecherin des Bayerischen Gesundheitsministeriums teilte dem Bayerischen Rundfunk auf Anfrage mit: "Sofern in Bayern bereits bisher schärfere Regelungen gelten, bleiben diese aufrechterhalten".
Als Beispiel sei der Distanzunterricht an den Schulen genannt. Laut der "Bundes-Notbremse" sollen die meisten Kinder und Jugendlichen ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 in den Distanzunterricht. Bayern – und beispielsweise auch Niedersachsen – wollen bei einer schärferen Regelung bleiben. Im Freistaat ist eine Inzidenz von 100 ausschlaggebend.
- Darum geht es bei der Corona-Notbremse
Eilantrag und Verfassungsbeschwerden gegen Bundes-Notbremse
Für einige Juristinnen und Juristen dürfte es ein geschäftiges Wochenende werden. Noch bevor von der Politik das neue Infektionsschutzgesetz überhaupt beschlossen wurde, ging bereits der erste Eilantrag dagegen beim Bundesverfassungsgericht ein.
Und auch die Freien Wähler wollen gegen die Notbremse klagen. Deutschlandweite nächtliche Ausgangssperren ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100, das hält Freie-Wähler-Chef Aiwanger für "zu pauschal, zu undifferenziert, zu radikal". Die Koalition platzen lassen wollte der Feie-Wähler-Chef deshalb aber nicht. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) diagnostizierte beim Koalitionspartner "Bundeswahlkampffieber".
Freie Wähler wollen Lockerungen
Schließlich verlangen die Freien Wähler nun, dass Bayern die lockereren Vorgaben aus der Corona-Bundesnotbremse übernehmen muss. Hubert Aiwanger kündigte an, das Thema spätestens am Dienstag im Kabinett ansprechen zu wollen, zugleich hoffe er aber auch auf eine frühere Lösung. Die CSU sei schon informiert, bisher habe er aber noch keine Rückmeldung.
Für Aiwanger ist insbesondere bei den Gärtnereien der Handlungsbedarf groß, da diese ihre Pflanzen sonst massenweise auf den Kompost werfen müssten. Auch bei der nächtlichen Ausgangsbeschränkung in Hotspots mit einer Inzidenz von mehr als 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner hofft Aiwanger auf eine Umsetzung der lockereren Bundesregelung in Bayern.
Die bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gilt noch bis zum 9. Mai und muss bis spätestens dann verlängert werden, ansonsten läuft sie aus.
SPD- und FDP-Abgeordnete drohen mit Klage
Klagen gegen die Bundesnotbremse will aber auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post. Es gebe Möglichkeiten jenseits von Ausgangssperren, so der Sozialdemokrat. FDP-Chef Christian Lindner hatte schon in der vergangenen Woche mit einer Klage gedroht. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, Marco Buschmann, schrieb am Donnerstag bei Twitter: "Ausgangssperren sind unverhältnismäßig und ihre Wirksamkeit halten wir für fragwürdig." Mit anderen Abgeordneten der FDP-Fraktion werde er beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde einreichen.
Berliner Abgeordnete gegen Bundesnotbremse
Auch Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses wollen gegen die Ausgangsbeschränkungen im neuen Bundesinfektionsschutzgesetz Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen. Sven Kohlmeier von der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus sagte: "Es werden pauschal Grundrechte eingeschränkt, ohne dass es Evidenzen gibt, dass das dem Gesundheitsschutz dient." Das sei nicht verhältnismäßig.
Intensivmediziner kritisiert juristische Auseinandersetzungen
Der Rechtsstreit und die Ablehnung der Mindest-Standards sorgt bei Experten für Verwunderung. "Was ist denn mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben?", fragte beispielsweise der Intensivmediziner Uwe Janssens im RBB. "Angesichts von nahezu wieder 1.000 Toten diese Woche finde ich es sehr sehr bedenklich, wie hier vorgegangen wird", sagte er mit Blick auf Klagen insbesondere gegen die im Infektionsschutzgesetz vorgesehene Ausgangssperre. Er sehe nicht die Verhältnismäßigkeit, gegen eine Ausgangsperre ab 22 Uhr vorzugehen angesichts der Menschen, die auf seine Intensivstation kämen und dem Sterben nahe seien, so der Mediziner.
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