Symbolbild: Markierungen der Spurensicherung
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Kriminalistisches Werkzeug: Die Operative Fallanalyse

Wenn schwere Verbrechen nicht sofort aufgeklärt werden können, wird die Operative Fallanalyse herangezogen. Dieses kriminalistische Werkzeug soll durch die ganzheitliche Betrachtung eines Falls die Ermittlungen unterstützen.

Im Oktober 2019 verurteilte das Landgericht Nürnberg-Fürth einen 38-jährigen Mann wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft. Er hatte in Nürnberg drei Frauen wahllos angegriffen und mit einem Messer schwer verletzt. Ein genetischer Fingerabdruck überführte ihn. Bei den Ermittlungen war die Operative Fallanalyse mit eingebunden.

Die kriminalistische Methode zeigte auch im Fall der im oberbayerischen Aschau ermordeten 23-jährigen Studentin Hanna ihre Wirkung: Sieben Wochen nach der Tat wurde ein drei Jahre jüngerer Mann als Tatverdächtiger festgenommen.

Bei schweren Verbrechen, die sich nicht so schnell aufklären lassen, kommt häufig die Operative Fallanalyse zum Einsatz. Entwickelt wurde sie ab Ende der 1970er Jahre in den USA und sollte der Aufklärung von Tötungsdelikten und Sexualverbrechen dienen. Die in der Gesellschaft häufig verwendete Bezeichnung "Profiling" ist strenggenommen unzutreffend, da die Fallanalyse weit mehr umfasst als das Erstellen eines Täterprofils. Die gesamten Tatumstände fließen in die Analyse mit ein. Die Fallanalyse kann dazu geeignet sein, Ermittlungen in bestimmte Richtungen zu lenken und den Kreis von verdächtigen Personen einzuschränken.

Einheitliche Qualitätsstandards

In Deutschland wurden 2003 Qualitätsstandards festgelegt, die für alle Polizeidienststellen verbindlich gelten. So wird eine Fallanalyse stets im Team erstellt, das mindestens aus vier speziell ausgebildeten Kräften besteht. Das Team stellt eine Fülle von Informationen zusammen. Dazu gehören beispielsweise die Auffindesituation eines Mordopfers, Informationen zum Opfer selbst, Befunde vom Tatort, Obduktionsergebnisse, Vernehmungen und alle Fakten, die im Zusammenhang mit dem Fall relevant sind.

Bei schweren, sexuell motivierten Straftaten können Fallanalytiker auf die Datenbank Viclas (Violent Crime Linkage Analysis System) zugreifen. Darin sind mehr als 27.000 Fälle gespeichert, die recherchiert werden können, etwa nach Verhaltensweisen von Tätern. Die in Kanada entwickelte Datenbank wird in mehr als einem Dutzend Ländern genutzt, darunter in Deutschland.

Ziel: Aussagen über Motiv, Täterprofil und Besonderheiten treffen

Sind alle bekannten Erkenntnisse zusammengetragen, beginnt die eigentliche Analyse. Der Tathergang wird rekonstruiert und das Vorgehen des unbekannten Täters bewertet. Im besten Fall können die Fallanalytiker Aussagen treffen zum Motiv, zu einem Profil des Täters und welche Besonderheiten festgestellt wurden: Gibt es Hinweise auf eine geplante oder spontan begangene Tat? Wurden Spuren beseitigt? Das erstellte Täterprofil bezieht sich nicht auf konkrete Personen, sondern beschreibt die wahrscheinliche Persönlichkeit eines Menschen, wie sie auf mehrere Personen zutreffen kann.

Wenn sich Muster bei mehreren ähnlichen Verbrechen wiederholen, wird durch die Vergleichende Fallanalyse untersucht, ob die Delikte tatsächlich zusammenhängen oder, falls dies bereits feststeht, ob sich Aussagen etwa zum Profil eines Täters durch Betrachten mehrerer Fälle präzisieren lassen.

Nach der Festnahme eines Tatverdächtigen wird die Fallanalyse evaluiert: Sind die Ergebnisse zutreffend gewesen und inwieweit haben sie zur Aufklärung eines Verbrechens beigetragen?

Ötzi: Ein besonderer "Cold Case"

Er ist der älteste Kriminalfall der Menschheit, an dem eine Fallanalyse vorgenommen wurde: Vor rund 5.300 Jahren wurde in den Ötztaler Alpen in Südtirol ein Mann umgebracht. Der gesamte Tatort einschließlich Mordopfer wurde von Schnee und Eis im Wortsinn eingefroren, durch die Eisschmelze nach Jahrtausenden freigelegt und 1991 entdeckt. Die Gletschermumie heißt offiziell "Mann aus dem Eis" und wird allgemein Ötzi genannt. Weil das Eis Tatort und Ötzi so perfekt konserviert hatte, war eine kriminalistische Untersuchung möglich, beauftragt wurde der Münchner Fallanalytiker Alexander Horn.

Ötzi hatte in mehr als 3.000 Meter Höhe eine Rast eingelegt. Mit einem Angriff hatte er wohl nicht gerechnet, denn sein Bogen war nicht bespannt und sein Beil hatte er abgelegt. Er hatte gerade getrocknetes Fleisch zu sich genommen, als ihn ein Pfeil in den Rücken traf und eine Arterie verletzte. Ötzi verblutete, von hinten erschossen.

"Es war ein heimtückischer Mord"

"Es war ein heimtückischer Mord", stellte Alexander Horn nach seiner Untersuchung fest. Eine Schnittverletzung an seiner rechten Hand dürfte von einem Kampf herrühren, den Ötzi kurz vor seinem Aufstieg in die Berge überstanden hatte. War ihm der unterlegene Gegner gefolgt, um Ötzi in einem günstigen Augenblick aus der Distanz zu töten? Horn erkannte hier ein mögliches Motiv in diesem Kriminalfall aus der Jungsteinzeit: Ein Raubmord war es vermutlich nicht gewesen, denn der Täter ließ unter anderem Ötzis wertvolles Kupferbeil am Tatort zurück.

Video aus dem Archiv: Interview mit dem früheren Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter

André Schulz (Archivbild)
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Der frühere Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz (Archivbild)

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