Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat mit Verständnis auf die Warnungen von Medizinern vor weiteren Lieferengpässen bei Kindermedikamenten reagiert. Lauterbach nannte die Sorge der Kinderärzte am Samstag "berechtigt". Er verwies bei Twitter auf das Anfang April im Kabinett beschlossene Lieferengpassgesetz. Es sieht verschiedene Anreize für Pharmahersteller vor, damit der Verkauf in Deutschland lohnenswerter wird. Die Vorlage werde nun im Parlament beraten, schrieb Lauterbach und ergänzte: "Auch ich hätte mir gewünscht, dass wir hier nicht jahrelang untätig geblieben wären."
Brandbriefe an Gesundheitsminister in Europa
Der Verband der Kinder- und Jugendärzte befürchtet eine Zuspitzung der Lage und hatte sich kürzlich einem Appell von Kinderärzten aus weiteren europäischen Ländern angeschlossen. Ärzteverbände aus Deutschland, Österreich, Frankreich und anderen Ländern hatten einen Brandbrief an ihre jeweiligen Gesundheitsminister geschrieben - auch Lauterbach erhielt einen solchen Brief.
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Aktuell fehlen Fieber- und Schmerzmedikamente, die für Kinder geeignet sind, aber auch Antibiotika-Säfte. Der Präsident des deutschen Verbands für Kinder - und Jugendärzte, Thomas Fischbach, befürchtet, dass die Versorgungsnot im kommenden Herbst noch schlimmer wird als im vergangenen. Er mahnte an, die Herstellung von Medikamenten für Kinder in Deutschland zu fördern. Es müsse für die Industrie wieder ausreichend attraktiv sein, die Medikamente zu produzieren.
Krankenkassen und Stiftung Patientenschutz schließen sich Kritik an
Auch die gesetzlichen Krankenkassen sind besorgt, dass so viele Arzneimittel so lange fehlen. Ihr Sprecher Florian Lanz sagte, das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Pharmaindustrie sei erschüttert. "Der Brandbrief zeigt, dass die Nicht-Lieferung von bestimmten Arzneimitteln ein europaweites Problem für die Menschen ist", betonte er.
Die Stiftung Patientenschutz verwies auf ein Problem, das nicht nur Kinder betreffe. "Überall leiden chronisch kranke Menschen an der schleppenden Versorgung mit Basis-Medikamenten, Blutfettsenker, Blutdruckmittel", erklärte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. "Selbst Krebsmedikamente sind Mangelware." Die bisherigen nationalen und europäischen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Patientenversorgung sicherzustellen. Brysch forderte von Lauterbach verbindliche Liefermengen für Medikamente.
Offizieller Versorgungsmangel
Der Versorgungsmangel mit Antibiotikasäften für Kinder in Deutschland ist seit Dienstag sogar offiziell: Das Gesundheitsministerium hatte im Bundesanzeiger, der amtlichen Verkündungsplattform der Bundesrepublik, bekanntgemacht, dass derzeit ein solcher Versorgungsmangel bestehe. Das heißt, bestimmte Wirkstoffe sind zurzeit nicht lieferbar.
Mit der Bekanntmachung wurden gleichzeitig normalerweise geltende strenge Regeln für die betroffenen Arzneimittel befristet etwas gelockert. So könnten Behörden es nun etwa auch möglich machen, ein Medikament aus Spanien, das keine deutsche Verpackung hat, von Apotheken hierzulande ausgeben zu lassen.
Bayern reagiert mit Schreiben an Krankenkassen
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek erklärte, er habe sich mit einem Schreiben an die Kassen gewendet. "Darin bitte ich die Krankenkassen, vorerst keine Zuschläge sowie Erstattungen zu verweigern und in der Folge keine bereits geflossenen Vergütungen zurückzufordern (sog. Retaxation), wenn Apotheker einen verschriebenen, aber nicht verfügbaren antibiotischen Saft durch ein selbst hergestelltes Arzneimittel ersetzen", teilte der Minister mit. Bei Nicht-Verfügbarkeit des Fertigarzneimittels solle die Abgabe eines in der Apotheke hergestellten Antibiotika-Safts auch ohne erneutes Ausstellen eines Rezeptes möglich sein.
Der Vorsitzende des Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte in Bayern, Dominik Ewald, machte indessen im Interview mit dem BR jahrelange Verfehlungen in der Gesundheitspolitik für den nun entstandenen Mangel verantwortlich: "Der Engpass ist dadurch entstanden, dass eigentlich seitdem Horst Seehofer Gesundheitsminister war, in den 90er-Jahren, das Gesundheitswesen immer wieder Reformen hat über sich ergehen lassen. Aber wir sind eigentlich nie richtig an die Strukturen gegangen", kritisierte Ewald. Das Gesundheitswesen sei "immer nur ein Kostenfaktor" gewesen, man habe überall Einsparungen getätigt. Die Industrie habe ihre Produktion zudem ins Ausland verlagert und könne nun auf dem deutschen Markt nicht sofort wieder produzieren.
Lauterbach hofft auf Lieferengpass-Gesetz
Lauterbach setzt seine Hoffnungen auf das Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei Medikamenten. Das hat die Bundesregierung Anfang April auf den Weg gebracht. Danach sollen unter anderem die Preisregeln für Kinderarzneimittel gelockert und die Produktion von Antibiotika in Europa begünstigt werden. Das Gesetz muss noch im Bundestag beschlossen werden. Experten befürchten, dass es zu lange dauern könnte, bis die fehlenden Medikamente wieder in den Apotheken verfügbar sind.
Mit Informationen von dpa und AFP
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