"Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben mal ins Gefängnis kommen würde oder mit der Polizei zu tun haben würde", sagt Miriam in einem Video, das die Letzte Generation bereits im Herbst 2022 auf Youtube veröffentlichte. Miriam fügt hinzu: "Und trotzdem riskiere ich das bewusst." Die Klimaaktivistin klebte sich auf den Asphalt des Münchner Verkehrsknotens Stachus – und erklärte danach, dass sie es wieder tun werde.
Florian Leitner, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Bayern, hält die Aktivisten der Letzten Generation für Berufsdemonstranten. "Die wissen genau, was sie damit auslösen", sagt Leitner, "die wissen genau, dass hier eine Gewahrsamnahme immer irgendwo im Raum steht". Das würde von den Aktivisten einkalkuliert.
Präventivhaft bis zu zwei Monate möglich
Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten der Letzten Generation kommen in Bayern regelmäßig nach Klebeaktionen ins Gefängnis, meist länger als in anderen Bundesländern. Der Grund: Hier ist es der Polizei nach dem Polizeiaufgabengesetz (PAG) seit 2017 möglich, Menschen nicht mehr nur zwei Wochen, sondern aktuell bis zu zwei Monate in Gewahrsam zu nehmen – zur Verhinderung von Straftaten und zur Abwehr von Gefahren – also präventiv.
Voraussetzung: Ein Gericht stimmt diesem Unterbindungsgewahrsam zu. An den präventiven Maßnahmen hat Polizeigewerkschafter Florian Leitner nichts auszusetzen: "Wenn der- oder diejenige ankündigt, er wird das die nächste Zeit wieder machen, dann ist das eine empfindliche Störung für die Allgemeinheit und dann muss die Polizei auch agieren. Das ist unsere Pflicht, das ist unser Job, für Recht und Ordnung zu sorgen."
Präventivhaft ursprünglich zur Terrorabwehr gedacht
Die CSU-geführte Staatsregierung hatte 2017 bei der PAG-Reform argumentiert, man könne mit der verlängerten Präventivhaft besser den Terrorismus verhindern. Doch sie wurde seither nie zur Abwendung einer Terrorgefahr angewendet. Einmal wurden Geflüchtete nach einer Rangelei eingesperrt und während des Corona-Lockdowns kamen 191 Personen wegen Verstößen gegen die Ausgangsbeschränkungen in Präventivhaft, wie eine Anfrage der Grünen im Landtag ergab. Inzwischen hat sich der Schwerpunkt der Präventivhaft deutschlandweit auf die Klimaproteste der Letzten Generation verlagert.
Miriam widmet ihr Leben dem Klimaprotest, aus Verzweiflung über die Klimakrise, wie sie erklärt. Nachdem sie sich zweimal am selben Tag bei Klebeaktionen auf dem Münchner Stachus beteiligt hatte, brachte sie die Polizei gemeinsam mit anderen für 30 Tage in die JVA München-Stadelheim zum Präventivgewahrsam. Die Haft wurde schließlich auf 24 Tage verkürzt. "Tatsächlich hat mich das alles im Nachhinein viel mehr getroffen als in der Zelle", erzählt sie im Interview. Das Gefühl eingesperrt zu sein und die damit verbundenen Ängste hätten sie "eher danach erwischt".
Präventivhaft für Klimaaktivisten umstritten
"Ich meine, dass Leute das als lästig empfinden, kann man vielleicht nachvollziehen", sagt Martin Heidebach von der LMU München, "aber das ist keine schwerwiegende Gefahr". Heidebach ist Experte für Polizeirecht. Er ist überzeugt: Die bayerische PAG-Novelle 2017 hat den Umgang mit Protest grundlegend verändert. Schließlich könne man gegen Klimaaktivisten auch erst einmal Platzverweise und Geldbußen verhängen. Er stuft die Klebeaktionen als Kleinkriminalität ein. "Wenn ich sage, ich sperre Leute wochenlang weg, um Kleinkriminalität zu verhindern", argumentiert der promovierte Jurist, "da muss man sich mal überlegen, wo das hinführt".
Heidebach hat zusammen mit Jura-Studierenden aus ganz Bayern eine Klage, unter anderem gegen die lange Präventivhaftdauer, formuliert. Die Klage liegt seit sechs Jahren beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof.
Innenminister Herrmann betont Gefahrenabwehr
Das Bayerische Innenministerium weist in einer schriftlichen Antwort auf eine BR-Anfrage darauf hin, dass der Unterbindungsgewahrsam 2021 von maximal sechs auf maximal zwei Monate begrenzt wurde. Damit sei der Gesetzgeber dem Ratschlag einer Expertenkommission zur Evaluierung des PAG gefolgt.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, CSU, betont bezogen auf die Letzte Generation, das seien in Teilen keine harmlosen Klimaaktivisten, sondern Straftäter. "In solchen Fällen greift die Bayerische Polizei konsequent ein, um Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen", sagt Innenminister Herrmann.
Klebeaktionen vor Gericht
Inzwischen sind die Klebeaktionen nicht mehr nur im Vorfeld ein Thema, sondern auch vor Gericht: Hunderte Klebeaktionen müssen gerichtlich verhandelt werden: Sind sie eine Straftat oder nicht?
"Wenn sich die Demonstranten festkleben an der Straße, dann sind sie sozusagen eine stoffliche Verbindung mit der Straße eingegangen", sagt Professor Mark Zöller. "Die kann man nicht direkt wegtragen, dann ist es zumindest nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Nötigung." Also eine Straftat, wie der Strafrechtler an der LMU München erläutert. Es sei eine Mehrheitsmeinung, die sich bei Gerichten durchgesetzt habe. In Einzelfällen gibt es aber durchaus Freisprüche.
Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Letzte Generation
Die Generalstaatsanwaltschaft München geht in ihrer Ermittlung seit Mai 2023 nun einen Schritt weiter. Sie ist der Meinung, die Letzte Generation sei eine kriminelle Vereinigung, die Spendengelder vor allem für den Zweck verwende, Straftaten zu begehen. Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann begründete die Ermittlungen im BR Fernsehen im Mai so: "Das, was viele Mitglieder der Letzten Generation tun, nämlich sich an Straßen kleben, Sachbeschädigung verüben, Infrastruktureinrichtungen angreifen, das ist mehr als ziviler Ungehorsam. Das sind Straftaten und die müssen natürlich verfolgt werden."
Der Strafrechtler Mark Zöller ist überzeugt: Nach mehrheitlicher Einschätzung von Juristinnen und Juristen reiche es aktuell für die Einstufung der Letzten Generation als kriminelle Vereinigung nicht. Für Straßenblockaden wie die der Letzten Generation sei "dieser Straftatbestand nie gedacht gewesen", meint Mark Zöller.
Letzten Generation beruft sich auf "zivilen Ungehorsam"
Wolfgang ist einer der Aktivistinnen und Aktivisten, gegen die ermittelt wird. Beim von der Staatsanwaltschaft erwähnten "Angriff" auf eine Infrastruktureinrichtung war er dabei. An einer Zwischenstation der Ölpipeline Trieste-Ingolstadt, die Bayerns Raffinerien versorgt, haben sich die Aktivisten Zugang zum Gelände verschafft. "Wir haben angerufen und gesagt: 'Wir sind jetzt hier auf dem Gelände und wir wollen jetzt das Sicherheitsventil abdrehen'", erzählt Wolfgang. "Das war in dem Fall nicht gefährlich, weil das einfach auch angekündigt wurde. Wir hätten das Rad langsam kontrolliert runtergedreht. Letztendlich hat der Betreiber selbst abgeregelt." Passiert sei nichts, sagt Wolfgang.
Nach Meinung der Generalstaatsanwaltschaft ist diese Tat aber ein wichtiger Beleg dafür, dass die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung sei. Das Attribut "kriminell" weist der Aktivist der letzten Generation aber von sich. Er sieht sich in der Pflicht, die Gesetzesverstöße der Bundesregierung öffentlich zu machen, die gegen die Klimaziele verstoße. "Und dafür greifen wir zu den Mitteln des zivilen Ungehorsams", sagt Wolfgang.
Schießt der Staat "mit Kanonen auf Spatzen"?
Können sich die Aktivisten darauf berufen? Wohl eher nicht, denn ziviler Ungehorsam sei gar kein Rechtsbegriff, sagt der Jurist, Professor Mark Zöller. Eine rechtliche Beschwerde der Klimaaktivisten wegen der Ermittlungen wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung hat das Landgericht München im November zurückgewiesen: Der Anfangsverdacht für die Ermittlungen sei gegeben. Der hauptsächliche Zweck bestehe nicht im Klimaschutz, sondern im Begehen von Straftaten.
Der Rechtsexperte Mark Zöller ist skeptisch, ob die Münchner Staatsanwälte am Ende mit ihren Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung vor Gericht Erfolg hätten. Ob es am Ende zu einem Prozess kommt, ist noch unklar. "Das ist so ein bisschen mit Kanonen auf Spatzen geschossen", sagt Zöller. "Es bringt aber natürlich einen erheblichen Aufmerksamkeitseffekt. Und das ist es gerade, was die Letzte Generation will." Am Ende, glaubt Zöller, könnte der Staat die Letzte Generation so nur in ihrer Opferrolle bestärken.
Mehr zum Thema auch im Funkstreifzug-Podcast in der ARD-Audiothek.
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