Vor dem Tagungsgebäude des UN-Klimagipfels hat sich eine Gruppe von Umweltaktivisten aus aller Welt versammelt. Ein junger Arápaho-Indianer aus Wyoming schlägt eine Handtrommel – um lautstark auf Lobbyisten aufmerksam zu machen, die aus Sicht von Umweltorganisationen unheilvollen Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen versuchen.
Tatsächlich waren bei einem Klimagipfel noch nie so viele Vertreterinnen und Vertreter der Kohle-, Öl- und Gasindustrie dabei: insgesamt 2.456, viermal so viele wie vergangenes Jahr. Das meldet das Bündnis "Kick Big Polluters Out". Der Name ist Programm: Lisa Göldner von Greenpeace verlangt, Vertreter großer fossiler Energiekonzerne von der Konferenz auszuschließen: "Es muss klar unterschieden werden, wessen Interesse es ist, wirklich eine Klimawende zu schaffen und Menschenrechte zu sichern und wessen Interesse es ist, hier einzig und allein Profitinteressen der Industrie zu sichern."
Zutritt über die Regierungen
Die meisten Lobbyisten erhielten laut der Untersuchung von "Kick Big Polluters Out" über Wirtschaftsverbände Zugang zum Gipfel, fast alle kommen aus reichen Industriestaaten. Zu den Wirtschaftsverbänden zählt die Umwelt-Allianz auch die in Genf ansässige Handelsorganisation International Emissions Trading Association (IETA), die allein 116 Personen anmeldete, unter anderem für die Konzerne Shell, TotalEnergies und Equinor. Frankreich brachte demnach Abgesandte von TotalEnergies und EDF in seiner Länderdelegation mit, Italien Vertreter von ENI, die EU stellte Pässe für BP-, ENI- und ExxonMobil-Beschäftigte aus.
Tausende wollen mitreden
Laut der Analyse des Umwelt-Bündnisses haben die Lobbyisten der fossilen Energieträger zusammen mehr Eintrittsberechtigungen ("badges") für den Gipfel erhalten als alle Delegierten der zehn am stärksten vom Klimawandel bedrohten Länder zusammen. Zu diesen Staaten zählen kleine Inselstaaten wie Tonga oder die Salomonen sowie Somalia, Tschad und Sudan.
Auf der UN-Konferenz in Dubai sind Tausende Mitglieder der Delegationen aus fast 200 Staaten vertreten, die an den eigentlichen Verhandlungen teilnehmen. Zehntausende weitere Teilnehmende beobachten die Gespräche, treten bei sogenannten Side-Events auf, schließen Vereinbarungen ab – oder versuchen, den Verlauf des Gipfels in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auf der Teilnehmerliste stehen Universitätsmitarbeiter, Gletscherexpertinnen, Veganer, Kirchengesandte, Jugendvertreter; außerdem Abgesandte von Banken, Fluggesellschaften, Energie- und Wasserwirtschaft, Atomindustrie und Lebensmittelkonzernen. Und natürlich sind viele Umwelt- und Menschenrechtsgruppen dabei.
Auch deutsche Industrie ist dabei
Auch die deutsche Industrie ist auf dem UN-Klimagipfel vertreten. Der stellvertretende Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Holger Lösch, sieht seine Teilnahme als wichtige Gelegenheit, um sich mit internationalen Partnern auszutauschen und sich über neue Technologien zu informieren. Der Vorstandschef von Deutschlands größtem Stahlkonzern ThyssenKrupp, Miguel Angel Lopez Borrego, stellt in Dubai den Plan vor, bei der Eisengewinnung im Werk in Duisburg auf Wasserstoff umzustellen. Außerdem will ThyssenKrupp anderen Unternehmen helfen, Emissionen zu senken. Lopez Borrego hat in Dubai dazu Vereinbarungen mit Zement- und Düngerfirmen abgeschlossen.
Auch der Vorstandschef des Stromerzeugers Leag, Thomas Kramer, kommt als Chef eines Konzerns im Wandel, der Braunkohle-Kraftwerke in der Lausitz betreibt und auf ehemaligen Bergbauflächen Anlagen für Wind- und Sonnenstrom mit rund 7.000 MW Leistung plant.
Geht es ohne?
Die Industrie ist zwar Teil des Klima-Problems – ohne sie gibt es aber auch keine Lösung. Der Übergang zum nachhaltigen Wirtschaften ist nur mit der Wirtschaft zu schaffen. Das UN-Klimasekretariat UNFCCC, das die Gipfel organisiert, will deshalb der Forderung von Umweltgruppen nicht nachkommen, Lobbyisten auszuschließen. Sie gehörten zur Konferenz dazu, heißt es, schließlich müssten bei diesen Konferenzen Industrie und Zivilgesellschaft gemeinsam die Klimavereinbarung von Paris umsetzen.
Auch die Bundesregierung spricht sich dafür aus, bei Klimagipfeln die gesamte Breite der Gesellschaft zuzulassen. Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth kann der Tatsache, dass in Dubai so viele Lobbyisten der fossilen Industrie versammelt sind wie bei keiner Konferenz zuvor, sogar etwas Positives abgewinnen. Das zeige, dass das Ende des fossilen Zeitalters unmittelbar bevorstehe. Flasbarth spricht vom "letzten Aufflackern der fossilen Welt". Klima-Staatssekretärin Jennifer Morgan ergänzt: "Sie sind alle hier, weil sie wissen, dass das der Ort ist, wo es um alles geht."
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