Timon Dzienus steht mit verschränkten Armen an der Abbruchkante des Tagebaus und schaut grimmig. Im Hintergrund des von Dzienus auf Twitter geposteten Bilds ist ein Kohlebagger zu erkennen. Darunter steht der Satz: "Wenn man (...) vor Ort Wiederstand leistet, kann es ganz schnell gehen, dass diese Bagger still stehen."
Dzienus ist Bundessprecher der Grünen Jugend, der Nachwuchsorganisation der Grünen. Immer wieder ist er im Rheinland, um die Räumung des Dorfes Lützerath zu verhindern. Die kann jederzeit beginnen.
Polizei bereitet sich auf Räumung von Lützerath vor
Die Polizei bereitet sich auf einen intensiven Einsatz vor, um sieben verbarrikadierte Häuser und 27 Baumhäuser zu räumen. Die Beamten gehen davon aus, dass sich etwa 300 Menschen dort aufhalten. Die Aktivisten wollen verhindern, dass Lützerath den Kohlebaggern weichen muss. Grund und Boden gehören allerdings schon länger dem Energiekonzern RWE.
Während die Grüne Jugend zusammen mit Klimaaktivisten am Tagebau protestiert, verteidigt die Parteispitze in Berlin die politischen Entscheidungen. Die beiden Grünen, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, hatten mit RWE einen Kompromiss ausgehandelt, dem Lützerath zum Opfer fällt.
Grünen-Spitze verteidigt Kompromiss
Grünen-Chefin Ricarda Lang lässt Anfang der Woche in der Grünen-Parteizentrale keinen Zweifel, dass es so kommt und die verbliebenen Häuser geräumt werden. Wie die 28-Jährige sagt, hat RWE einen Rechtsanspruch, die Kohle unter Lützerath abzubaggern. Lang zeigt Verständnis für die Demonstrationen vor Ort und ruft alle Beteiligten zur Deeskalation auf.
Auch Grünen-Chef Omid Nouripour verteidigt die bevorstehende Räumung. Es sei Teil eines Kompromisses. Der habe fünf andere Dörfer im Braunkohlerevier bewahrt und den Kohleausstieg im Westen Deutschlands um acht Jahre vorgezogen.
Klimaaktivisten sind von Grünen enttäuscht
Bund, Nordrhein-Westfalen und RWE hatten im vergangenen Jahr vereinbart, den Kohleausstieg im rheinischen Revier von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Jetzt haben sich die Grünen vorgenommen, den Ausstieg auch in den ostdeutschen Kohleabbaugebieten in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu beschleunigen. Bei einer Klausur des Grünen-Bundesvorstands in Berlin rufen Nouripour und Lang ein "Jahr des Klimaschutzes" aus. Für Lützerath kommt das aber zu spät.
Luisa Neubauer twittert: "Die Grünen machen damit einen großen Fehler." Die Klimaaktivistin von "Fridays for Future" ist selbst Mitglied der Grünen. Von ihrer Partei scheint sie enttäuscht zu sein. Die hätte ökologische Grenzen ziehen und verteidigen müssen, sagt Neubauer. Es ist die lauteste Stimme, die die Entfremdung von Teilen der Klimabewegung und den Grünen deutlich macht.
Lützerath als Symbol
Die Grüne Jugend ist zwar in Lützerath vor Ort. Doch dem Parteinachwuchs dürfte klar sein, dass die Räumung der besetzten Häuser höchstens verzögert, aber nicht verhindert werden kann. Lützerath ist aber längst viel mehr: ein Symbol für die deutsche Klimaschutzpolitik. Aktivisten posieren vor Mondlandschaften und Kohlebaggern. Es ist die perfekte Kulisse, um für mehr Klimaschutz zu werben.
Doch so kompromisslos wie die Aktivisten, sind viele Mitglieder der Grünen nicht. Beim Parteitag im vergangenen Oktober in Bonn hatte die Grüne Jugend verlangt, auf Räumungen in Lützerath vorerst zu verzichten. Nach einer hitzigen Diskussion scheiterte der Antrag knapp. Die Mehrheit der Delegierten stellte sich hinter den ausgehandelten Kompromiss mit RWE.
Pragmatismus regiert bei Grünen
Wie aus der Parteizentrale zu hören ist, gibt es auch jetzt kaum Proteste der Basis. Die Grünen-Spitze bemüht sich darum, die Entscheidungen zu erklären und die Abwägungen transparent zu machen.
Der Pragmatismus regiert bei den Grünen. Das hat schon das Ja der Partei zu Waffenlieferungen an die Ukraine, zum Sondervermögen für die Bundeswehr und den längeren Atom-Laufzeiten bis Mitte April gezeigt. Das Hochfahren von Kohlekraftwerken aus der Reserve und das weitere Abbaggern von Kohle im Rheinland passen in diese Linie. Dass Lützerath zu einer Zerreißprobe für die Grünen wird, ist deshalb nicht zu erwarten.
- Zur Analyse: Grünen-Parteitag: Realpolitik statt Rebellion
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