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Der Gipfel Mitte vergangenen Monats hat zwar keinen Durchbruch gebracht, aber markige Absichtserklärungen von beiden Seiten: Die EU und die Mercosur-Staaten wollen ihr Freihandelsabkommen bis Ende des Jahres umsetzen. Das haben EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Brasiliens Präsident Luiz Ignacio Lula Da Silva beim Treffen der Staats- und Regierungschefs von Lateinamerika und der Europäischen Union in Brüssel betont. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz machte sich für eine schnelle Einigung stark.
- Zum Artikel: "Mercosur: Bauernverband und Bund Naturschutz fordern Stopp"
Nürnberger Lebkuchen bleibt geschützt
Der politische Grundsatzbeschluss wurde im Juni 2019 nach fast 20-jährigen Verhandlungen erzielt. Aber bisher haben beide Seiten die Vereinbarung nicht in Kraft gesetzt. Sie soll die weltweit größte Freihandelszone mit über 770 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern schaffen. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner des Wirtschaftsbündnisses Mercosur, das Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay umfasst. Das Handelsvolumen ist vergleichsweise klein, im vergangenen Jahr betrug es 120 Milliarden Euro.
Das soll sich durch das Abkommen ändern: Es würde schrittweise Zölle auf 90 Prozent der Waren beseitigen, die EU-Firmen in den Mercosur liefern, etwa auf Fahrzeuge, Maschinen, Chemikalien oder bestimmte Lebensmittel. Europäische Unternehmen sollen dadurch jährlich vier Milliarden Euro einsparen. Geografische Angaben zum Beispiel für Nürnberger Lebkuchen, Schwarzwälder Kirschwasser oder Dresdner Christstollen bleiben geschützt. Beim Verkauf von Autos und Autoteilen in den Mercosur liegt Deutschland unter den EU-Staaten weit vorne, ebenso beim Export von Maschinen und Elektrogeräten.
Streit um Waldschutz und Landwirte
Für Exporte aus dem Mercosur in die EU würden im Gegenzug ebenfalls Einfuhrzölle auf rund 90 Prozent Waren wegfallen. Dabei müssen Rindfleisch und andere Lebensmittel aus Südamerika europäischen Sicherheitsstandards genügen. Beide Seiten verpflichten sich, die Pariser Klimavereinbarung von 2015 umzusetzen und Entwaldung zu bekämpfen.
EU-Staaten und Europaabgeordnete hatten große Zweifel an der Umsetzung dieser Vorgaben, solange in Brasilien der Rechtsextreme Jair Bolsonaro regierte. Mit Lulas (erneutem) Amtsantritt hat sich das geändert. Er hat versprochen, gegen illegale Baumrodung anzugehen. Trotzdem hakt es mit der Umsetzung des Freihandelsabkommens: Die Südamerikaner reagieren verärgert auf europäische Nachforderungen nach strengerem Waldschutz. Die EU will Zusatzvereinbarungen für Umwelt- und Arbeitsschutz erreichen. Das soll auch kritischen EU-Staaten die Zustimmung erleichtern. Denn Frankreich und Österreich stellen den Deal ebenfalls infrage. Sie befürchten, dass ihre Landwirte zwischen höheren Umweltauflagen zu Hause und stärkerer Konkurrenz aus Südamerika in die Zange genommen werden.
Da der Vertrag von allen Mitgliedsstaaten beschlossen werden muss, gilt der Einspruch einzelner EU-Regierungen faktisch als Veto. Allerdings könnte die EU-Kommission diese Hürde umgehen, indem sie den Pakt in einen politischen und einen wirtschaftlichen Teil aufsplittet. Der wirtschaftliche Teil könnte dann ohne Mitsprache der nationalen Parlamente beschlossen werden. Dafür würde eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten und eine einfache Mehrheit im EU-Parlament ausreichen.
Wichtiger Schulterschluss mit Südamerika
Dabei haben Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg deutlich gemacht, wie sehr Europa auf den Ausbau von Handelspartnerschaften angewiesen ist, um nicht von wenigen Großmächten abzuhängen. So verfügt Südamerika über die weltweit größten Vorkommen von Lithium, das gebraucht wird, um Batterien für Elektroautos herzustellen.
Außerdem haben Brüssel und Berlin als strategisches Ziel ausgegeben, unabhängiger von China zu werden. Nach Ansicht deutscher Wirtschaftsverbände muss die EU dabei Boden gutmachen und sich in den Verhandlungen mit dem Mercosur kompromissbereit zeigen. Für die Mercosur-Länder ist China inzwischen das wichtigste Exportziel.
Der Schulterschluss mit Südamerika ist nicht nur wirtschaftlich wichtig: Die EU wirbt weltweit um Verbündete, die wie sie selbst den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilen. Darüber hinaus wäre ein funktionierendes Mercosur-Abkommen ein Beweis, dass das multilaterale Handelssystem funktioniert. Brüssel könnte einen Erfolg in der Außenhandelspolitik gut gebrauchen – nach dem Scheitern des Freihandelsabkommens TTIP mit den USA, der Kritik an der Ceta-Vereinbarung mit Kanada und dem von Donald Trump entfachten Protektionismus.
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