Nach 20 Jahren Verhandlungen soll das Freihandels-Abkommen zwischen der EU und den Staaten des Mercosur-Verbundes – Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay – in diesem Jahr abgeschlossen werden. Entstehen würde dadurch die größte Freihandelszone der Welt mit 770 Millionen Einwohnern. In ihr wäre ein Großteil des Handels von Zöllen befreit. Doch noch immer findet hinter den Kulissen ein Kampf mächtiger Interessengruppen statt: Während vor allem Vertreter der Industrie für das Abkommen werben und argumentieren, dass man den südamerikanischen Markt nicht Russen und Chinesen überlassen dürfe, lehnen viele Nichtregierungsorganisationen es ab.
Kritik von Umweltschützern und Landwirtschaft
Sie kritisieren, dass das Abkommen der Naturzerstörung und der Abholzung des Regenwaldes Vorschub leiste. Außerdem gefährde es Tierschutz, Verbraucherschutz und Menschenrechte massiv. Zu den Kritikern gehören u.a. Greenpeace, Robin Wood, Attac, Misereor, Brot für die Welt, der Naturschutzbund Deutschland (Nabu), Friends of the Earth, der Bund Umwelt & Naturschutz Deutschland, der Deutsche und der Bayerische Bauernverband (DBV und BBV) sowie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL).
Im Interview mit dem BR fordern jetzt sowohl der Landesvorsitzende des Bund Naturschutz in Bayern, Richard Mergner, als auch der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner, das Abkommen zu stoppen. Während hierzulande Landwirte mit immer strengeren Auflagen für mehr Umweltschutz und Tierwohl belegt würden, seien in den Mercosur-Staaten Tierschutz und Waldschutz genauso wenig gewährleistet wie die Rechte der indigenen Bevölkerung.
Kritik an der Bundesregierung
An die Adresse Berlins gerichtet, sagt Felßner: "Es macht mich schon besorgt, dass eine deutsche Bundesregierung vor allen Dingen im Inland an die eigenen Landwirte ständig höhere Standards anlegt, denen fast die Produktion nicht mehr möglich macht und dass die gleiche Bundesregierung sich massiv dafür ausspricht, aus diesen Teilen der Welt Fleisch und Produkte zu importieren, die unter wesentlich schlechteren Sozialstandards, Löhnen und Umwelt- und Sicherheitsstandards produziert sind."
Es könne nicht sein, im Inland die Latte ganz hochzulegen und sie gleichzeitig für alles, was importiert werde, ganz niedrig zu legen, so der BBV-Präsident: "Das ist keine faire Politik gegenüber den inländischen Landwirten und auch den Verbrauchern."
Ganz ähnlich äußert sich der Vorsitzende des Bund Naturschutz in Bayern, Richard Mergner. Der Einfluss der südamerikanischen Agrarindustrie, die mit Rindfleisch und Soja Milliardengewinne mache und das bei viel niedrigeren Standards, sei weiter groß. Abholzung, Vertreibung der Bevölkerung, Einsatz von Pestiziden, Antibiotika und Hormonen: Dass sich daran etwas ändern wird, glaubt Mergner nicht, auch nicht unter der neuen Regierung Lula in Brasilien, die keine eigene Mehrheit im Kongress habe.
"Eigene Agrarpolitik ernst nehmen"
Wenn die Europäische Kommission und das Parlament tatsächlich ihre eigene Agrarpolitik ernst nähmen – wie den "Green Deal", die Renaturierung des Kontinents, die "Farm-to-Fork-Strategie" für mehr nachhaltige Praktiken in der Landwirtschaft –, dann, so Mergner, "heißt das ja eine andere Art der Landwirtschaft. Dann heißt das weniger Pestizide, dann heißt das eine Stärkung auch der regionalen Landwirtschaft und vor allem auch derjenigen, die produzieren ohne einen riesigen CO2-Rucksack." Wenn man es ernst meine mit der eigenen Politik, könne das Mercosur-Abkommen eigentlich nicht in Kraft treten.
Kritik an Praktiken in Südamerika
"Allein schon, wenn deutsche Firmen wie BASF oder Bayer Pestizide verkaufen, die zum Teil in der Europäischen Union überhaupt nicht zugelassen sind, um dann damit in Brasilien und Argentinien Landwirtschaft zu betreiben, wir dann letztlich die Rückstände wieder zurückbekommen, dann widerspricht das völlig den Zielen der Europäischen Kommission und der Europäischen Union", so Mergner.
Bauernverbandspräsident Felßner kritisiert unter anderem, dass in Südamerika Rindermast mithilfe von Antibiotika und Hormonen stattfindet. Auch wenn dieses Fleisch offiziell nicht in die EU eingeführt werden dürfe, sei das kein akzeptabler Standard, sagt Felßner: "In Europa ist es so, dass ich nicht einen Teil meines Betriebes ohne Hormone bewirtschaften kann und einen anderen Teil des Stalles mit – weil ich das Eine dahin vermarkte, das Andere dorthin. Sondern bei uns wirst Du als Landwirt, wenn Du nur die Substanz besitzt, bestraft. Und Du wirst nie wieder Tiere halten."
Felßner: "Ist für mich nicht akzeptabel"
Den niedrigeren Standards in Südamerika stünden hierzulande immer strengere Auflagen und Kontrollen gegenüber: "In Europa werden Landwirte im Moment im Zwei-Tages-Rhythmus mit Satelliten kontrolliert, wie sie ihre Flächen bewirtschaften, da geht es quadratmetergenau. Und da werden harte Sanktionen ausgesprochen, wenn ein Fehler passiert", so Felßner. "Und auf der anderen Seite importieren wir Waren aus Ländern, wo wir wissen, dass Regenwald gerodet wird, wo wir wissen, dass nicht nachhaltig gearbeitet wird, dass Wasser verseucht wird. Und das ist für mich nicht akzeptabel."
Importe würden Druck verstärken
Erleichterte Rindfleischimporte würden den Druck auf die heimischen Landwirte zudem weiter verstärken, ist sich Bayerns Bund-Naturschutz-Chef Mergner sicher: "Natürlich kann man sagen: Die 99.000 Tonnen zusätzliche Rindfleischimporte in die EU, die vorgesehen sind, machen hier nicht das Gros aus." Aber es bestehe bereits jetzt eine Überversorgung, was die Erzeuger entsprechend unter Druck setze.
Zudem, so Bauernverbandspräsident Felßner, handele es sich hier nicht um ganze Rinder, sondern um die wertvollen Edelteile: "Das sind Lenden, das sind Steaks, das ist genau das Edelteil, das wir in der Wertschöpfung in Europa bei den Rindern brauchen. Und damit wird der Markt empfindlich gestört."
Nicht durch Zusatzabkommen "heilbar"
Sowohl Bund Naturschutz als auch Bauernverband sprechen sich auch gegen Vorschläge aus, das Abkommen noch durch Zusatzvereinbarungen zu "heilen", indem man versucht, Garantien für Waldschutz, Umweltschutz, Tierwohl und Menschenrechte festzuschreiben.
Bauernverbandspräsident Felßner glaubt nicht, dass man hier "mit ein paar Veränderungen in einigen Passagen" zum Ziel kommen könne, weil grundsätzlich die Standards in Südamerika und Europa zu ungleich seien. Bund-Naturschutz-Chef Mergner weist darauf hin, dass die Vergangenheit bei anderen Abkommen wie TTIP und Ceta gezeigt habe, "dass solche Zusatzvereinbarungen nicht einklagbar waren und von daher nur einen Pseudo-Schutz bedeuten".
Zusatzvereinbarungen: "Einhaltung nicht kontrollierbar"
Zudem habe der amtierende Präsident Lula keine eigene Mehrheit im Kongress, mit der er Waldschutz oder die Rechte der indigenen Bevölkerung durchsetzen könnte, so Mergner. Der Einfluss der südamerikanischen Agrarindustrie, die mit Rindfleisch und Soja Milliardengewinne mache, sei auch nach dem Regierungswechsel in Brasilien groß.
Dass sich an der Situation dort etwas ändern wird, glaubt er nicht. Das sieht Bauernverbandspräsident Felßner ähnlich: "Wer die Wirtschafts- und Produktions- und Kontrollstandards in diesen Schwellenländern kennt, dem muss klar sein, dass es niemals das gleiche Produktionskontrollen-Niveau sein kann, wie wir es hier in Europa für richtig halten."
Widerstand aus anderen EU-Ländern
Das, so Felßner, sehe ja nicht nur sein Verband so: "Es sind ja auch andere Staaten – Frankreich, Österreich, Irland, Belgien – die sich in der Europäischen Union massiv gegen diese Wettbewerbsverzerrungen, gegen diese niedrigen Importstandards aussprechen."
Hier sei Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Zug, der sich "endlich positionieren" müsse, so Felßner: "Er kann hier den Verbrauchern nicht Lebensmittel auf niedrigstem Produktionsstandard auftischen, nur weil er glaubt, dass er dadurch die Tierhaltung in Deutschland zurückfahren kann."
Forderung: Neu verhandeln statt nachbessern
Sowohl der Bayerische Bauernverband als auch der Bund Naturschutz in Bayern fordern, das Mercosur-Abkommen in seiner jetzigen Fassung neu zu verhandeln, anstatt nur nachzubessern. Das sei sehr wohl realistisch, meint Bauernverbandspräsident Felßner: "Es darf ja nicht die gelebte Praxis werden, dass wir Abkommen bewusst unfair verhandeln, weil wir sagen: Wir wollen ein Ergebnis. Das kann nicht die Basis sein. Das darf sie nicht sein."
Eine komplette Neuverhandlung sei unabdingbar, meint auch Richard Mergner vom Bund Naturschutz: "Ich glaube nicht, dass das Abkommen, das jetzt unter völlig anderen Bedingungen seit über 20 Jahren verhandelt wurde, noch gerettet werden kann."
Im Video: Was bedeutet Mercosur für Bayerns Bauern?
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