Igel im Laub
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Milder Winter – Stress für Tiere und Pflanzen

Milder Winter – Stress für Tiere und Pflanzen

Dicke Knospen am Obstbaum, Insekten in der Luft, Vogelgezwitscher – das warme Winterwetter bringt den Rhythmus der Natur kräftig durcheinander. Was viele Menschen genießen, ist für Tiere und Pflanzen unterschiedlich gefährlich.

"Es ist unglaublich, wie viele Insekten schon in der Luft sind", sagt Dr. Angelika Nelson. Amseln und Kohlmeisen singen wie im Frühling. Da wird einiges durcheinandergewirbelt, erklärt die LBV-Ornithologin. Tier- und Pflanzengemeinschaften werden gestört, dabei reagieren die Arten unterschiedlich. Für Pflanzen ist es noch kein kritischer Zeitpunkt. Mit der Witterung kommen die meisten Arten zurecht, sich dem Klimawandel anzupassen, wird schwieriger.

Vögel passen sich an

Vögel kommen derzeit mit am besten weg, sagt Ornithologin Angelika Nelson. Sie finden in den Gärten genug Futter, sind dann aber halt auch kaum an den Futterstationen zu sehen. Zugvögel aus nördlicheren Gegenden machen vielleicht länger Station bei uns und ziehen erst beim nächsten Kälteeinbruch weiter oder gar nicht.

Zahlreiche Igel unterwegs

Der Winterschlaf von Igel, Fledermaus und Siebenschläfer wird über eine innere Uhr gesteuert, so dass die Tiere nicht ständig bei kurzen Phasen milder Witterung aus dem Winterschlaf aufwachen. Aber tatsächlich gingen in den ersten Tagen dieses Jahres schon mehr als doppelt so viele Igelmeldungen beim LBV ein wie im Vorjahreszeitraum. Mittlerweile sind es 60 Meldungen, 2022 waren es 25, die Jahre davor waren es sogar noch weniger. In den meisten Fällen waren es lebende Tiere, die eigentlich im Winterschlaf sein sollten und jetzt sicher noch keine Nahrung finden. Angelika Nelson führt das zum Teil auf die warmen Temperaturen zurück. Sie vermutet aber auch, dass einige Igel untergewichtig in den Winterschlaf gegangen sind. "Es wird immer schwieriger, auch für den Stachelritter ausreichend Insekten-Nahrung zu finden und einige, vor allem Jungigel, konnten sich im Herbst nicht den nötigen Winterspeck anfressen", sagt Nelson - diese Tiere wachten jetzt eben verfrüht auf.

Viele Gefahren für den Igel

Als Art hat der Igel noch mehr Probleme als warme Wintertage: Autos sind nach wie vor eine große Lebensgefahr, Insektizide schmälern das Nahrungsangebot und wo naturnahe Gärten und Grünflächen fehlen, hat der Igel ohnehin kein Zuhause oder wird durch Mähroboter und Motorsensen gefährdet. Hier könnte der Mensch durchaus helfen, dem Igel, aber auch Insekten, Amphibien, Vögeln und heimischen Pflanzen wieder mehr Lebensräume zu schaffen. Deshalb rät Angelika Nelson, Garten und Parks jetzt noch in Ruhe zu lassen, da kann Laub liegen- und hohes Gras stehenbleiben. Höchstens die Nistkästen wären zu räumen, sofern noch nicht geschehen. Dafür könnte man lieber über neu zu pflanzende Obstbäume oder Hecken nachdenken. Insbesondere für den Igel, der sich mit Vorliebe in Siedlungen aufhält.

Schon Nachwuchs bei den Bienen

Bienen sammeln sich in der sogenannten kalten Jahreszeit zur Wintertraube, in der sie sich gegenseitig wärmen. Ab zehn Grad Außentemperatur beginnt die Königin, Eier zu legen. Dann muss das Bienenvolk die Brut drei Wochen lang versorgen, erklärt Inga Klingner vom Landesverband Bayerischer Imker in Nürnberg. Da die Natur noch zu wenig bietet, müssen Imker mit künstlicher Nahrung nachhelfen.

Biene und Imkerei muss sich anpassen

Solche Situationen dürfte es laut Klingner in Zukunft öfter geben. "Wir müssen unsere Imkerpraxis überdenken und anpassen." Bei großer Hitze oder langanhaltender Nässe müssen Imker eingreifen. Das betrifft auch die Bekämpfung der gefährlichen Varroa-Milbe: Dass ein strenger Winter ihr den Garaus macht, ist kaum mehr zu erwarten. Ansonsten ist Klingner aber optimistisch, dass sich die Bienen an extremere Klimabedingungen anpassen, solange genügend naturbelassene Pflanzen für Nahrung sorgen.

Häufiger Warm-Kalt-Wechsel macht Tieren zu schaffen

Generell sind Insekten wechselwarm: Bei Kälte verfallen sie in Winterstarre, bei Plusgraden werden sie aktiv, suchen nach Nahrung, die es derzeit noch nicht gibt. Ein häufiges Auf und Ab am Thermometer zehrt dann an den Energiereserven und macht anfälliger für Krankheiten. Das trifft alle Tiere, auch Eichhörnchen, wenn sie zu oft ihre Winterruhe verlassen und möglicherweise zu früh ihre Nahrungsvorräte plündern.

Große Gefahr durch plötzliche Kälteeinbrüche

Damit die Frühjahrswanderungen beginnen, ist für Amphibien wie Frösche, Kröten und Molche das richtige Verhältnis von Tageslänge, Temperatur und Luftfeuchtigkeit entscheidend. Ab Ende Januar könnten sich die ersten Frösche und Molche auf den Weg machen. Einmal losgelaufen, stellen dann plötzliche Kälteeinbrüche dann eine große Gefahr dar. Wandernde Amphibien können sich nicht mehr rechtzeitig durch Eingraben vor der Kälte schützen und erfrieren.

Erst später Frost gefährdet Pflanzen

Für die Pflanzenwelt sind warme Wintertage an sich erst mal kein Problem. Pflanzen und Bäume stoppen den Austrieb, wenn es wieder kälter wird. Spätere Frosteinbrüche allerdings, wenn Blatt- und Blütenknospen weit entwickelt sind, haben deutlich schwerwiegendere Folgen. Zwar verfügen die meisten Pflanzen über genügend Energiereserven für einen zweiten, dann allerdings schwächeren Austrieb. Sie werden dadurch aber häufig weniger widerstandsfähig gegenüber weiteren Wetterumschwüngen oder Befall durch Insekten und Pilze.

Starker Frost ist gut für Bodenqualität

Landwirte schauen grade nicht übermäßig besorgt aufs Wetter. "Es wächst was auf den Feldern, das Wintergetreide grünt", stellt Johann Graf fest, und weil es Mitte Dezember schon einige Frosttage gegeben habe, sei für eine gute Bodenqualität im Frühjahr gesorgt, so der Kartoffelreferent des Bayerischen Bauernverbandes weiter. Jetzt heißt es Abwarten, denn wenn der Frost spät im Frühjahr kommt, kann er den Pflanzen erheblich schaden.

Klimawandel verändert Tier- und Pflanzenwelt massiv

Es ist nicht der erste milde Winter. Die Wechsel von warm und kalt werden häufiger, auch die Extreme nehmen zu. Das ist Teil des Klimawandels - ein großes Phänomen, das langsam voranschreitet und nur schwer zu begreifen ist, stellt Ornithologin Angelika Nelson fest. Über die Jahre kann man allerdings beobachten, wie die Klimakrise ökologische Zusammenhänge verändert oder gewohnte Tier- und Pflanzengemeinschaften auseinanderreißt.

Ökosysteme kommen durcheinander

Viele Pflanzen und Tiere sind aufeinander angewiesen. Wenn der Takt nicht mehr stimmt, gibt es Probleme. Wenn Meisen und Kleiber früher im Jahr balzen und brüten, finden sie oft noch nicht genug Nahrung, Raupen etwa, die sich erst später entwickeln. Wenn Winterlinge und Krokusse statt im Februar schon jetzt austreiben, stimmt der Blühzeitpunkt nicht mehr mit dem Flugzeitpunkt von Insekten überein, erklärt LBV-Expertin Angelika Nelson weiter.

Doch auch Insekten verändern ihr Verhalten. Wild- und Honigbienen, manche Hummel- und Schmetterlingsarten sind immer öfter bereits im Januar aktiv und drängen sich um das spärliche Blütenangebot. Hier immerhin kann der Mensch helfen: Wer heimische Pflanzen mit unterschiedlichen Blühzeitpunkten im Garten oder am Balkon hat, kann das ganze Schauspiel der Natur beobachten, rät Nelson: Blütenpracht, Insekten und Vögel.

Früheres Brüten – ohne ausreichend Futter für die Jungen

Blaumeisen, Sumpfmeisen und Kleiber überleben milde Winter in großer Zahl. Bei anhaltend warmen Temperaturen balzen und brüten sie früher im Jahr. "Zur Fütterung ihrer Jungen finden sie dann oft nicht ausreichend Nahrung, wie zum Beispiel Raupen", erklärt Angelika Nelson.

Wärmeliebende Vogelarten wie Girlitz und Wiedehopf profitieren hingegen von warmen Sommern und milden Wintern. Dagegen brauchen alpine Arten wie das Alpenschneehuhn, nordische Gänsearten und die Goldammer kalte Wohlfühltemperaturen. Bei steigenden Temperaturen ziehen sie sich in höhere Lagen sowie nordwärts zurück. Bei uns verschwinden sie irgendwann, weil diese Rückzugsorte geografisch begrenzt sind. Zugvögel wie Star, Zilpzalp, Hausrotschwanz oder Mönchsgrasmücke passen sich an und bleiben einfach hier.

Abgehängt: der Kuckuck und andere Zugvögel

Der Kuckuck hat das Nachsehen in dieser Entwicklung: Wenn er - seiner inneren Uhr folgend - erst im Lauf des Frühjahrs zurückkehrt, findet er möglicherweise keine brutfertigen Nester mehr, in die er seine Eier noch unterschmuggeln kann.

Auch andere Langstreckenzieher haben schlechtere Chancen, noch einen geeigneten Nistplatz zu finden, wenn alle guten Orte schon von Meisen belegt und verteidigt werden, gleichzeitig aber auch schon Beutegreifer unterwegs sind. Das Nachsehen hat zum Beispiel der Trauerschnäpper, sagt Angelika Nelson: "Studien zeigen, dass in manchen Regionen Europas der Bestand des Trauerschnäppers bereits um 90 Prozent gesunken ist."

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