Der Kreml-Kritiker Nawalny war kein Einzelfall - seit dem Einmarsch in die Ukraine gehen russischen Behörden immer stärker gegen kritische Stimmen vor. Nun hat die Regierung die Aktivitäten von "Radio Free Europe/Radio Liberty" für "unerwünscht" erklärt. Das teilte der Sender mit Sitz in Prag am Dienstag mit. Russische Medien verwiesen auf einen entsprechenden Eintrag auf der Seite des Justizministeriums. Mit dem Verbot droht auch den Mitarbeitern der Sendergruppe juristische Verfolgung in Russland.
"Dieser Versuch, uns zu unterdrücken, wird nur dazu führen, dass RFE/RL härter arbeitet, um das russische Volk mit freiem und unabhängigem Journalismus zu versorgen", sagte der Direktor des Senders, Stephen Capus.
Radio Liberty/Radio Free Europe schon länger unter Druck
Seit 2022 blockierten die russischen Behörden bereits die Webseiten des Fernseh-Nachrichtenkanals "Current Time" und "Radio Swoboda", die von "Radio Free Europe /Radio Liberty" produziert werden. Wichtig für die Verbreitung der Inhalte seien seither soziale Medien wie Telegram und YouTube, die in Russland nicht blockiert werden. Das erklärte der Leiter des russischsprachigen Programms von Radio Free Europe, Andrey Shary, im Interview mit der Deutschen Presseagentur. Zudem habe der Sender eigene Smartphone-Apps entwickelt. Nicht jeder aber habe den Mut, diese auf seinem Smartphone zu installieren - aus Furcht, die Polizei könnte das Handy kontrollieren, so Shary. Viele Hörer und Zuschauer würden zu Hause auf einen sogenannten VPN-Tunnel zurückgreifen, um die Internetblockade zu umgehen.
Mehr als 30 Jahre lang betrieb "Radio Free Europe/Radio Liberty" ein Büro in Moskau. Der US-Auslandssender war 1991 auf Einladung des damaligen Präsidenten Boris Jelzin nach Russland gekommen. Doch nach Russlands Überfall auf die Ukraine 2022 sah sich der Sender gezwungen, das Büro zu schließen. Bereits 2019 hatte er seine Arbeit nach Kiew verlegt, nachdem das russische Justizministerium 2017 "Radio Free Europe/Radio Liberty" gemeinsam mit weiteren US-Auslandsmedien zu "ausländischen Agenten" erklärt hatte. Das hatte die Arbeit vor Ort erheblich erschwert.
Journalistin von Radio Free Europe seit Oktober in russischer Haft
Als "ausländische Agenten" werden in Russland Menschen, Medien und Organisationen gebrandmarkt, wenn sie aus einem anderen Land Geld erhalten. Sie sollen so als Spione stigmatisiert werden, die im Interesse anderer Staaten arbeiten. Wie groß das Risiko ist, in die Mühlen der russischen Justiz zu geraten, zeigt der Fall der RFE/RL-Journalistin Alsu Kurmasheva. Seit Oktober sitzt die russische und US-amerikanische Staatsbürgerin in Kasan in Untersuchungshaft. Ihr wird vorgeworfen, sich nicht als "ausländische Agentin" registriert und gegen die strengen russischen Gesetze zur Militärzensur verstoßen zu haben. Ihren Antrag, sie aus gesundheitlichen Gründen aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest zu verlegen, lehnte ein Gericht ab.
Kurmashevas Ehemann und Kollege Pavel Butorin sagte, seine Frau habe nur zwei Wochen in Russland bleiben wollen, um ihre alte und kranke Mutter zu besuchen. "Man hat sie im Prinzip als Geisel genommen", beklagt er gegenüber der dpa. Es sei klar, dass über ihr Schicksal in Moskau entschieden werde. Ihre beiden Kinder fragten immer wieder nach ihrer Mutter, so Butorin.
Radio Free Europe /Radio Liberty sendete lange aus Bayern
"Radio Free Europe/Radio Liberty" wurde 1949 zum Höhepunkt des Kalten Krieges gegründet. Anfangs war es ein antikommunistisches Projekt des US-Geheimdienstes CIA. Heute kommt das Jahresbudget von umgerechnet mehr als 100 Millionen Euro vom US-Kongress. Bis 1995 sendete RFE/RL aus München. Heute sind in dem großen Gebäudekomplex am Englischen Garten Institute der Ludwig-Maximilians-Universität untergebracht, und der US-Sender hat sein Hauptquartier in Prag. Hunderte Journalisten produzieren dort Programme für Hörer in 23 Ländern in 27 Sprachen.
Osteuropa war zwischenzeitlich in den Hintergrund des Interesses von "Radio Free Europe/Radio Liberty" gerückt. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine verzeichne er allerdings einen sprunghaften Anstieg der Zahl von Hörern und Lesern, so der Leiter des russischsprachigen Programms, Andrey Shary. Nach dem Aus des Büros in Moskau seien Journalisten von dort nach Riga, Tiflis und Eriwan gezogen. Das ukrainischsprachige Programm wurde aufgestockt, ein neues Büro wurde in Lwiw eröffnet und es wird auch von der Front berichtet.
Mit Informationen von afp und dpa
Im Video: Botschaft von Julia Nawalnaja
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