Das Datum ist nicht zufällig gewählt. Die Überführung der Stasi-Akten findet genau 68 Jahre nach dem Volksaufstand in der DDR statt. Der 17. Juni 1953 war für die Staatssicherheit der DDR ein traumatisches Erweckungserlebnis. Die eigenen Bürgerinnen und Bürger hatten sich gegen den Staat gestellt. Hunderttausende Menschen forderten DDR-weit den Rücktritt der Regierung, freie und geheime Wahlen, die Zulassung von Parteien und die Freilassung von Gefangenen. Und der wichtigste Eckpfeiler des DDR-Systems, das Ministerium für Staatssicherheit, hatte das nicht vorhergesehen. So etwas sollte nicht wieder passieren. Die "Feinde des Sozialismus" mussten künftig vorher ausfindig gemacht werden.
Weit verzweigtes Netz an Informanten
Laut Stasi-Unterlagen-Archiv arbeiteten bis 1989 mehr als 91.000 Menschen hauptamtlich für die Staatssicherheit. Ungefähr weitere 180.000 Menschen berichteten nebenbei als "Inoffizielle Mitarbeiter", sogenannte IM, an die Geheimpolizei. Zumindest ist das die Zahl, die in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit nachweisbar ist. Dass der eigene Bruder oder die beste Freundin auch dabei war, erfuhren viele Bürgerinnen und Bürger erst nach dem Ende der DDR – von der Stasi-Unterlagen-Behörde. IM waren für die Stasi besonders wertvoll. Nur sie konnten intimste und vertrauliche Information über Kollegen, Freunde und Familienangehörige berichten.
Akten nicht mehr vollständig oder zerstört
Nach dem Ende der DDR begann vor allem im Ministerium für Staatssicherheit im Ost-Berliner Stadtteil Lichtenberg eine gewaltige Vernichtungsaktion. Stasi-Minister Erich Mielke befahl die Zerstörung der Akten. Millionen Papiere wurden zerrissen und geschreddert. Viele Akten sind unwiderruflich zerstört, andere Schnipsel werden immer noch in mühevoller Kleinarbeit zusammengesetzt. Am 15. Januar stürmten wütende DDR-Bürger die Zentrale in der Normannenstraße. Möbel und Akten flogen aus den Fenstern. Die aufgebrachte Menge war nicht nur über die Aktenberge mit intimsten Informationen über sie erschüttert, sondern auch Berge von West-Delikatessen, die normalen Bürgerinnen und Bürgern verwehrt blieb.
Jeder hat das Recht auf seine Stasi-Akte
Auch mit der Überleitung des Stasi-Unterlagen-Archivs ins Bundesarchiv bleiben die Akten weiterhin zugänglich. Zwei Millionen Menschen hatten bereits Einsicht in ihre Akten. Auch künftig können Medien, die Forschung, aber vor allem Menschen, die wissen wollen, ob die Stasi über ihn eine Akte geführt hat, nach Antrag Einsicht in die Akten erlangen. Die Papiere ziehen auch nicht um ins Bundesarchiv nach Koblenz, sondern bleiben am bisherigen Standort, im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit in Berlin sowie in den Außenstellen in den fünf östlichen Bundesländern.
Mahnung: Diktatur begreifen
Mit der Überleitung endet auch die Amtszeit von Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Er war einst selbst im Visier der Stasi und saß wegen „öffentlicher Herabwürdigung der staatlichen Ordnung“ und "Missachtung staatlicher Symbole" in der DDR im Gefängnis. Roland Jahn sagt über eine 10-jährige Arbeit: "Je besser wir Diktatur begreifen, umso besser können wir Demokratie gestalten."
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