Christian Lindner (l), Bundesvorsitzender der FDP, äußert sich zusammen mit Joachim Stamp,
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Christian Lindner (l), Bundesvorsitzender der FDP, äußert sich zusammen mit Joachim Stamp,

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Nach Wahldebakeln für die FDP: Lauter werden oder weiter so?

Die FDP musste in Schleswig-Holstein, dann in Nordrhein-Westfalen zittern und hohe Verluste einstecken. Die Bundes-FDP hilft nicht, sie profitiert nicht vom Regieren. Der Druck auf Parteichef Lindner könnte nun steigen.

Joachim Stamp steht im Thomas-Dehler-Haus in Berlin und lässt den Kopf hängen. Joachim wer? Damit ist ein Problem des FDP-Spitzenkandidaten in NRW beschrieben: 42 Prozent kannten ihn nicht, obwohl er in Nordrhein-Westfalen Familienminister ist. Die, die Stamp kannten, waren mehrheitlich eher unzufrieden mit seiner Arbeit. "Ausgesprochen bitterer Abend", sagt Stamp an diesem Nachwahlmontag, an dem es die Tradition will, dass die Länder-Spitzenkandidaten in den Berliner Parteizentralen erscheinen. Zur Feier oder zum Kotau.

Lindner: "Die Tränen sind getrocknet"

Derzeit sind es vor allem Kotau-Montage bei der FDP. Wahlschlappe in Schleswig-Holstein vor einer Woche, im Saarland gewann die FDP im März zwar ein wenig hinzu, schaffte es aber wieder nicht in den Landtag. Parteichef Lindner hat bereits Routine: "Es war ein trauriger Abend gestern. Heute ist ein neuer Tag, die Tränen sind getrocknet." Lindner wirkt dennoch angefasster als bei der letzten Niederlage. NRW ist sein Landesverband, seine Machtbasis. Und die FDP ist dort knapp einer Vollkatastrophe entgangen, musste um die fünf Prozent zittern und blieb am Ende unter sechs. Mehr als halbiert gegenüber 2017.

FDP: Schuld ist die Energiepauschale

Damals führte Lindner die NRW-FDP selbst in den Wahlkampf. Die Lage sei also nicht vergleichbar, sagt er recht selbstbewusst. Das übliche Argument – auf Landesebene entscheiden eben Landesthemen – lässt Lindner an diesem Morgen weitgehend aus. Stattdessen kommen er und Stamp gleich dazu, welchen Faktor sie auf Bundesebene ausmachen, der die NRW-FDP ins Desaster führte: die Energiepauschale.

Stamp erzählt vom Straßenwahlkampf: Da seien ständig ältere Wähler auf ihn zugekommen mit der Frage, weshalb die Energiepauschale – eine Einmalzahlung von 300 Euro – nicht auch für Rentner gelte, nur für Erwerbstätige. Und siehe da: Die FDP hat zwar in allen Altersschichten verloren, am deutlichsten aber bei den Rentnern über 60. Dabei sei die Energiepauschale gar keine FDP-Idee, sagt Lindner. Sie werde nur mit der Partei in Verbindung gebracht.

FDP wollte mit Entlastungen punkten

Sollte die These zutreffen, es wäre kein Wunder. Es war besonders die FDP, die sich mit Entlastungen hervortun wollte, vor allem mit dem Tankrabatt. Aber die erwartete Begeisterung im Pendlerland NRW blieb aus. Mit ihrem Einsatz gegen ein Tempolimit auf Autobahnen hat sich die FDP sogar gründlich verrechnet: 55 Prozent der Wähler in NRW finden laut Vorwahlumfrage von Infratest dimap den Einsatz dafür schlecht, sind also fürs Tempolimit. Überhaupt scheint der Blick auf die Pauschale etwas zu eng.

FDP verliert an alle aus allen Altersgruppen

Der Blick auf die Wählerwanderungskarte offenbart das ganze Ausmaß der Niederlage. Zu sehen sind viele dicke gelbe Pfeile, die von der FDP in alle möglichen Richtungen führen. In erster Linie zur CDU, der die FDP 250.000 Stimmen abgeben musste. Dass die CDU-FDP-Regierung in NRW noch vor der Wahl einen chancenlosen Antrag im Bundesrat einbrachte, um Rentnern die Pauschale doch noch zu gewähren, zahlte offenbar nur auf ein Konto ein. 120.000 frühere FDP-Wähler wählten diesmal gar nicht. An die Grünen verlor die FDP 100.000 Stimmen, an die SPD 60.000. Der FDP fehlten aber bei Weitem nicht nur die Rentner, auch die 18- bis 44-Jährigen konnte sie nicht mobilisieren. Die hatten ihr bei der Bundestagswahl Stimmzuwächse beschert. Und die wichtige FDP-Wählergruppe der Selbstständigen ging offenbar geschlossen zu den Grünen (FDP –10; Grüne +12 Prozentpunkte). Das lässt sich kaum mit einer unglücklichen Pauschale begründen.

Ukraine-Krieg verändert alles

Lindners Rechnung im Bund ging von Anfang an so: Nicht rumpeln, nicht die Opposition in der Ampel geben, sondern seriös mitregieren. Dafür würde es schon Rückenwind in Umfragen und auch für die anstehenden Landtagswahlen geben. Das schien zunächst aufzugehen, Lob für die Diskretion und die effiziente Zusammenarbeit in der Ampel. Doch dann kam der Ukraine-Krieg und die Gewichte verlagerten sich. Mit Außenministerin Annalena Baerbock und Klimaminister Robert Habeck besetzen zwei Grüne die wichtigsten Ressorts. Und Lindners Minister im Kabinett – zum Beispiel Verkehrsminister Volker Wissing oder Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger – blieben im Vergleich blass.

Die Niederlage der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist eine dramatische Niederlage für Bundeskanzler Scholz. Das sagte der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke im BR24-Interview. Denn jetzt wird Schwarz-Grün auch für die Ampel in Berlin zu einer neuen Herausforderung.
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Die Niederlage der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist eine dramatische Niederlage für Bundeskanzler Scholz.

Schwierige Zeiten für einen FDP-Finanzminister

Lindner tritt auch selbst in Erscheinung als Finanzminister. Dann, wenn er weitere Mehrausgaben rechtfertigen muss, einen Klimafonds für 60 Milliarden, 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, die Prognosen sich eintrüben. Manches passt nicht recht zum Markenkern der FDP, die so wenig Staat wie möglich wollte und ihn jetzt überall unterstützen lässt. Eine FDP, die sparen wollte, um jeden Preis, und nun gigantische Schulden verantwortet. Er halte den Staat in diesem Jahr eben handlungsfähig, erklärt Lindner, und er bekomme dafür auch Beifall. Noch einmal erzählt Stamp vom NRW-Straßenwahlkampf: Kritik an übermäßigem Geldausgeben habe niemand geübt. Das sei eine Twitter- und Leitartikel-Debatte.

Lindner bleibt dabei

Aus dem Regieren konnte die FDP jedenfalls kein Kapital schlagen, weder in NRW noch im Bund. Wie soll es weitergehen? "Wir haben gegenwärtig keine Zeit und keinen Raum, uns vertieft mit uns selbst zu beschäftigen." Das Land gut zu führen, stehe im Mittelpunkt. Heißt wohl: zunächst keine Strategieänderung. Wird die FDP nun lauter, schriller werden, um sichtbarer zu werden? Lindner sagt: "Nein. Die FDP nimmt die parteipolitische Eigenprofilierung nicht wichtiger als den Erfolg der Regierung in dieser Zeit."

Wie lang hält die FDP noch still?

Lindner sagt: "in dieser Zeit". Er weiß, dass während des Ukraine-Kriegs jeder Versuch innenpolitischer Profilierung ein großes Risiko birgt, nach hinten loszugehen. Auch wenn Lindner in seiner Partei noch verhältnismäßig viel Rückhalt hat, wird die FDP schnell nervös, wenn sich zu viele Schlappen aneinanderreihen. Vielleicht gelingt es Lindner die Kritiker während der Krise unter dem Deckel zu halten. Im Oktober findet die Niedersachsenwahl statt. Spätestens dann könnte es mit der Ruhe vorbei.

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