Am Ende ging alles ganz schnell. Nach nicht einmal einer Stunde kommt Noch-Fraktionschef Dietmar Bartsch aus dem Sitzungssaal der Linken im Bundestag. Er wirkt ernst, aber nicht erschüttert. Man sei an diesem Nachmittag einen Schritt gegangen, "der die Auflösung der Fraktion bedeutet". Eine Niederlage sei das – auch für ihn, hat Bartsch schon vor der Sitzung eingeräumt. Bei Rückschlägen aber gelte: "Wer achtmal hinfällt, muss neunmal aufstehen."
Linke übt sich in Zweckoptimismus
Nach 18 Jahren im Bundestag besiegelt die Linksfraktion also ihr eigenes Ende. Eine Zäsur, auf die ihre bisherigen Mitglieder mit einer Mischung aus Zerknirschtheit und Zweckoptimismus reagieren. Das alles sei schon traurig, ruft Gregor Gysi den wartenden Journalisten zu, als er eilig den Sitzungssaal verlässt. Aber eben auch eine Chance. Ähnlich drückt es Susanne Ferschl aus. "Die Linksfraktion ist Geschichte", sagt die Allgäuer Abgeordnete BR24. "Insofern ist es schon ein trauriger Tag." Auch Ferschl sieht aber eine Möglichkeit für die Linke, sich "zu berappeln".
Auflösung der Linksfraktion vor allem für Mitarbeiter schmerzlich
Vor dem Berappeln steht allerdings das Aufräumen. Die Geschäftsstelle muss aufgelöst werden, Räume und Computer sind an den Bundestag zurückzugeben. Besonders trifft es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktion - bisher sind dort rund 100 Menschen beschäftigt. Ihnen wird jetzt gekündigt. Um die Fraktion abzuwickeln, wurden zwei "Liquidatoren" benannt, wie es im Juristendeutsch heißt. Die Aufgabe fällt dem bisherigen Büroleiter der Fraktionsspitze und dem stellvertretenden Fraktionsgeschäftsführer zu.
Bartsch: "Die Linke ist nicht tot"
Damit an diesem verregneten Novembertag keine Endzeitstimmung aufkommt, betont Bartsch: "Die Linke ist nicht tot." Die Fraktion wird zwar zum 6. Dezember aufgelöst – bis dahin will man aber in der wichtigen Schlussphase der Haushaltsberatungen noch mitmischen. Und dann so schnell wie möglich einen Antrag stellen, als Gruppe anerkannt zu werden.
Gruppe würde Linken Vorteile bieten
Solche Gruppen gab es schon in der Vergangenheit – auch die PDS als Vorgängerpartei der Linken hatte diesen Status bereits. Der Vorteil: Für einen solchen Zusammenschluss ist keine Mindestgröße vorgesehen. Anders als bei Fraktionen, die in der laufenden Wahlperiode auf mindestens 37 Abgeordnete kommen müssen. Eine Grenze, die die Linke ohne Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer unterschreitet.
Tatsächlich hatten Gruppen bisher ähnliche Rechte wie Fraktionen: Sie konnten Gesetzentwürfe einbringen, Mitglieder in Ausschüsse entsenden und bekamen Redezeit bei Debatten, je nach Größe. Nur beim Geld wird die Linke im Bundestag sehr wahrscheinlich Abstriche machen müssen. Vergangenes Jahr erhielt die Fraktion 11,5 Millionen Euro an staatlichen Zuwendungen. Und schon jetzt lässt sich sagen, dass die Linke in Zukunft wohl mit weniger auskommen muss.
Gruppenbildung: Bundestag muss entscheiden
Hinzu kommt: Die übrig gebliebenen Linken-Abgeordneten entscheiden nicht selbst darüber, ob sie sich künftig in einer Gruppe organisieren. Denn dafür braucht es einen Bundestagsbeschluss. Immerhin kommen von der Ampel-Mehrheit Signale, die der Linken Hoffnung machen dürften. Renate Künast von den Grünen etwa hält es für "schwer vorstellbar", dass ein entsprechender Antrag der Linken abgelehnt werden könnte, wie sie im Gespräch mit BR24 deutlich macht.
Wie verhält sich Wagenknecht?
Falls die Linke wie von ihr gewünscht den Gruppenstatus bekommt, ist der geplante Neustart aber noch keineswegs gesichert. Denn da sind noch die Abgeordneten aus dem Wagenknecht-Lager. Auch sie wollen als Gruppe unter der Bundestagskuppel mitmischen. Als zweite linke Oppositionskraft. So sehen sich Wagenknecht und ihre Anhänger selbst, auch wenn sie in der Einwanderungs- und Gesellschaftspolitik eher konservative Positionen vertreten. Werden auch sie als Gruppe anerkannt und wird aus dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" eine neue Partei, könnte das die Pläne der Linken durchkreuzen.
Neustartpläne der Linken sind ehrgeizig
Denn die politisch-mediale Voraussetzung für einen Neuanfang der Linken ist ja, dass Wagenknecht nicht mehr alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sollte deren Bündnis aber genügend Organisationsgeschick an den Tag legen und sich als kampagnenfähig erweisen, wird eine Konfrontation in den kommenden Wahlkämpfen unausweichlich sein.
Mit der Selbstbeschäftigung der Linken wird wohl erst einmal Schluss ein. So, wie es Parteispitze und Noch-Fraktionschef jetzt beschwören. Doch ob damit auch die kräftezehrende Auseinandersetzung mit Wagenknecht endet, ist erstens eine offene Frage. Und zweitens eine, die die Linke nur bedingt in Eigenregie beantworten kann. Zudem scheint der gesamtgesellschaftliche Trend gerade kein Genosse zu sein. Es hat also schon bessere Bedingungen für einen linken Neustart gegeben.
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