Sahra Wagenknecht
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Wagenknecht: Mischt sie jetzt das Parteiensystem auf?

Wagenknecht: Mischt sie jetzt das Parteiensystem auf?

Sahra Wagenknechts gleichnamiges "Bündnis" will eine Lücke schließen zwischen Ampel und AfD. Welches Potenzial hat das BSW, das künftig mit einer Mischung aus sozialer Gerechtigkeit und populistischem Appell Wähler gewinnen will? Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die Mehrheit der Bevölkerung habe faktisch keine Vertretung mehr, sagte Sahra Wagenknecht auf der Pressekonferenz zur Gründung des BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) als Verein. Man wolle "eine seriöse Adresse" sein für all diejenigen, "die aus Wut AfD wählen, ohne rechts zu sein". Wagenknecht, bislang bekanntestes Gesicht der Linken, ist aus "Die Linke" ausgetreten und bringt nun eine neue Partei auf den Weg.

Die Forderung nach wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit kombiniert sie mit einer populistischen Ansprache: Die künftige Partei als Brücke zwischen linken und rechten Positionen. Welches Potenzial steckt in der neuen Kraft? Kann sie das Parteiensystem verändern?

Die Handschrift Wagenknechts

Gleich am Anfang des Gründungsmanifests beklagt das BSW eine Umverteilung von unten nach oben, von "den Fleißigen zu den oberen Zehntausend". Dies entspricht im Kern der zentralen Position von Wagenknechts alter Partei Die Linke. Wie diese setzt sich das BSW für Investitionen in "einen kompetenten Staat" und den öffentlichen Sektor ein. Nicht näher genannte "Politiker" hätten das versäumt und stattdessen "die Wünsche einflussreicher Lobbys bedient und dadurch die öffentlichen Kassen geleert". Diese Kritik richtet sich an die zum Teil zur AfD abgewanderte (Ex-)Wählerschaft der Linken.

Das Manifest trägt deutlich Wagenknechts Handschrift. In den Vordergrund rückt das BSW "wirtschaftliche Vernunft" und "fairen Wettbewerb". Wirtschaft und Wohlstand eingebettet in einen starken Staat, ja; Kapitalismus, verstanden als Profitinteressen "marktbeherrschender Großunternehmen", nein – das ist schon seit vielen Jahren Wagenknechts Diktum. Als Mitglied der Kommunistischen Plattform der PDS in den 1990er Jahren war für sie die wirtschaftliche Liberalisierung der DDR unter Walter Ulbricht in den 1960ern ein Erfolgsmodell, ohne dass sie freilich dessen diktatorische Politik kritisiert hatte. Ulbrichts "Neues Ökonomisches System" galt Wagenknecht als dritter Weg zwischen Planwirtschaft und Kapitalismus.

Eine funktionierende, stabile Wirtschaft ohne "kapitalistische" Entgleisungen ist noch heute ihr Credo. Ein entsprechendes Signal soll der Millionär Ralph Suikat als BSW-Vorstandsmitglied aussenden. Der frühere IT-Unternehmer gehörte 2021 zu den Erstunterzeichnern des Appells "Tax me now", in dem sich Millionäre für die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine Stärkung der Erbschaftsteuer einsetzen. Beides Forderungen, die das BSW übernimmt.

Populismus light

Das BSW möchte die Polarisierung zwischen Ampelpolitik und AfD einebnen, bedient sich dabei aber selbst einer polarisierenden Ansprache: "Statt Freiheit und Meinungsvielfalt zu achten", heißt es in dem Manifest, "macht sich ein autoritärer Politikstil breit, der den Bürgern vorschreiben will, wie sie zu leben, zu heizen, zu denken und zu sprechen haben." Der von Populisten propagierte Gegensatz zwischen einer "unaufrichtigen Elite" und dem "aufrechten Volk" kommt hier in einer Light-Version daher. Von "Volk" ist im Manifest, anders als bei der AfD, freilich nicht die Rede.

Forderungen, "die demokratische Willensbildung wiederzubeleben" und die "persönliche Freiheit" zu "schützen", passen jedoch in den populistischen Kanon, der sich gegen eine angebliche staatliche Bevormundung richtet. Implizit wenden sich die Positionen des BSW gegen die Grünen – von "Öko-Aktivismus" war auf der Pressekonferenz die Rede – und liegen in diesem Punkt auf Linie der AfD, die die Grünen inzwischen zum Feindbild aufbaut. Eine politische Zusammenarbeit mit der AfD hat Wagenknecht heute ausgeschlossen.

Welches Potenzial hat das BSW?

Unausgesprochen möchte das BSW diejenigen gewinnen, denen die Linke zu "woke" ist, die soziale Gerechtigkeit wünschen, aber mit der identitätslinken Politik nichts anfangen können und bei Geschlechterrollen und kulturellen Orientierungen konservative Positionen einnehmen. Eine im Juni 2023 erschienene empirische Studie untermauert das. Die "Befunde deuten darauf hin, dass Wagenknecht von soziokulturell rechten, migrationskritischen und mit der Demokratie unzufriedenen Wählern gegenüber ihrer jetzigen Partei vorgezogen wird". Das BSW könne ökonomisch links- und gleichzeitig kulturell rechtsorientierte Wählerinnen und Wähler zusammenführen – zu Lasten der Linken und der AfD gleichermaßen.

Der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer sieht Umfragen skeptisch, die die künftige Partei – sie will zur Europawahl im Juni 2024 antreten und erwägt Kandidaturen bei den kommenden Landtagswahlen im Osten – bei 20 und mehr Prozent sehen. Im Gespräch mit BR24 sagte Arzheimer: "Das Potenzial dürfte im Bereich dessen liegen, was die Linke zu ihren besten Zeiten bundesweit erreichen konnte, also im Bereich von 10 bis 15 Prozent. Dazu kommen vielleicht noch einmal einige Prozentpunkte, die sich aus der persönlichen Bekanntheit von Wagenknecht ergeben. Ob eine neue Partei dieses Potenzial ausschöpfen kann, ist aber eine andere Frage." Wagenknecht ist der einzige prominente Kopf des BSW – das nicht umsonst ihren Namen trägt: Bündnis Sahra Wagenknecht. Von Ralph Suikat abgesehen, kommen die Vorstandsmitglieder sämtlich aus dem ehemaligen "Wagenknecht-Lager" der Linken.

Das BSW hat auf jeden Fall das Potenzial, die existenzielle Situation der Partei Die Linke weiter zu verschärfen. Das liegt nicht nur an der möglichen Abwanderung weiterer Wählerinnen und Wähler, sondern auch am absehbaren Ende der Bundestagsfraktion. Mit Wagenknecht traten heute neun weitere Abgeordnete aus der Fraktion aus, unter ihnen die Vorsitzende Amira Mohamed Ali, die nun BSW-Chefin ist. Wagenknecht sicherte einen geordneten Übergang zu und teilte mit, "so lange, wie das möglich ist", in der Fraktion zu bleiben. Der Ball liegt nun beim bisherigem Co-Vorsitzenden Dietmar Bartsch, der sich bereits auf die Abwicklung der Fraktion vorbereitet. Ohne die Wagenknecht-Mitstreiter hätte die Linke im Bundestag nur noch den Gruppenstatus mit verminderten Rechten inne. Das beträfe unter anderem die Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt und die Besetzung der Parlamentsgremien.

Gefahr für die AfD?

Inwieweit das BSW auch für die AfD zur Gefahr wird, ist weniger eindeutig zu beantworten. Die Wagenknecht-Partei wird diejenigen Wähler ausspannen, die die AfD eher als neoliberale "Sozialkahlschlags"-Partei wahrnehmen. Den Markenkern der AfD bildet derzeit die mehr oder weniger radikale Ablehnung von Zuwanderung und Zugewanderten. Wagenknecht präsentierte heute eine Art Lightversion: Eine Ausweitung der Abschiebung fordert das BSW nicht. Vorrang vor Zuwanderung muss laut dem BSW jedoch der Ausbau des Sozialstaates und der Qualifikation der einheimischen Bevölkerung haben. Fachkräftezuwanderung hält Wagenknecht durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU gewährleistet. Hier werden große Vorbehalte gegenüber (außereuropäischer) Zuwanderung deutlich – bei gleichzeitig großem Abstand gegenüber ethnischer Ausgrenzung, wie sie in Teilen der AfD vertreten wird. Kai Arzheimer bezweifelt, dass diese eher moderate Position "genügt, um im größeren Maßstab und auf Dauer der AfD Wählerinnen und Wähler abzuwerben".

Noch ist das BSW keine Partei, die Gründung soll im Januar erfolgen, im Laufe der ersten Jahreshälfte 2024 sollen Landesverbände entstehen. Noch steht das BSW auf wackligen Füßen. Es ist auf Geld angewiesen – Wagenknecht rief heute zu Spenden auf – und auf Personal. Die derzeitige Kernmannschaft besteht fast ausschließlich aus Überläufern aus der Linken, die sich als Sprachrohr der alten Arbeiterklasse verstehen und linke Identitätspolitik vehement ablehnen. Ob diese enge Klientel an Funktionären zum Garanten dauerhaften Erfolgs wird, ist keineswegs sicher.

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