Bund, Kommunen und Gewerkschaften haben sich in der Nacht auf Sonntag nach mehrstündigen Verhandlungen in Potsdam auf höhere Tarife geeinigt, wie alle beteiligten Seiten mitteilten.
3.000 Euro Sonderzahlung
Die Einigung sieht unter anderem steuer- und abgabenfreie Sonderzahlungen von insgesamt 3.000 Euro in mehreren Stufen vor. 1.240 Euro davon sollen bereits in diesem Juni fließen, weitere 220 Euro dann jeweils in den Monaten von Juli bis Februar 2024.
Mehr Lohn: 200 Euro und 5,5 Prozent
Ab März 2024 soll es dann als Lohnplus einen Sockelbetrag von 200 Euro sowie anschließend 5,5 Prozent mehr geben. Wird dabei keine Erhöhung um 340 Euro erreicht, soll der betreffende Erhöhungsbetrag auf diese Summe gesetzt werden.
Bei dieser Lösung orientierten sich die Tarifparteien in großen Teilen am Kompromissvorschlag aus dem vor einer Woche beendeten Schlichtungsverfahren. Die Laufzeit der Vereinbarung soll 24 Monate betragen.
Werneke: "Größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte"
"Das ist die größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte im öffentlichen Dienst", sagte Verdi-Chef Frank Werneke im Anschluss an die Gespräche. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, mit diesem Abschluss könne eine Reinigungskraft im öffentlichen Dienst künftig 360 Euro beziehungsweise 13,3 Prozent mehr erhalten.
Werneke sagte: "Eine Pflegekraft bekommt im Rahmen dieses Tarifabschlusses dauerhaft wirkend eine monatliche Entgeltsteigerung von 400 Euro. Oder ein Müllwerker oder eine Müllwerkerin von 357 Euro." Das entspreche einem Plus von 13,4 Prozent.
Faeser: Kosten für den Bund bei 4,95 Milliarden Euro
"Wir sind uns unserer großen Verantwortung bewusst für die Beschäftigten, für die öffentlichen Haushalte, für die soziale Gerechtigkeit und für einen starken und handlungsfähigen Staat", sagte Faeser am späten Samstagabend. Die Gesamtkosten des Abschlusses für die vereinbarte Laufzeit beliefen sich für den Bund auf 4,95 Milliarden Euro.
"Wir sind den Gewerkschaften so weit entgegengekommen, wie wir es in schwieriger Haushaltslage noch verantworten konnten", sagte Faeser.
Kommunen sprechen vom "teuersten Tarifabschluss aller Zeiten"
Die Kommunen gehen gar von einem Vielfachen dieser Belastung aus. Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Karin Welge, sprach vom "teuersten Tarifabschluss aller Zeiten", der die ohnehin schon klammen Städte und Gemeinden rund 17 Milliarden Euro kosten werde. "Die kommunalen Arbeitgeber sind bis an die finanzielle Belastungsgrenze gegangen mit diesem Kompromiss", sagte Welge nach der Einigung. "Und ich glaube, das Paket kann sich insgesamt sehen lassen."
Der Kompromiss sei teuer für die Kommunen, sagte auch Harald Riedl, Personalreferent der Stadt Nürnberg dem Bayerischen Rundfunk. Jedoch konnte so ein monatelanger Arbeitskampf vermieden werden. Der Schlichterspruch sei eine gute Basis gewesen, so Riedl, der bei den Verhandlungen vor Ort war. Der Personalreferent rechnet mit Mehrkosten von 54 Millionen Euro für die Jahre 2023 und 2024. Mit 30 Millionen Euro hatte die Stadt Nürnberg bereits kalkuliert, die restlichen 24 Millionen Euro sollen aus Rücklagen kommen.
Kompromissvorschlag in Kernpunkten unverändert übernommen
Nach monatelangen Verhandlungen und drei ergebnislosen Runden im Tarifstreit hatte es ein Schlichtungsverfahren gegeben. Der dabei vor rund einer Woche zustande gekommene Kompromissvorschlag wurde nun von den Tarifparteien in den Kernpunkten unverändert übernommen.
Der Tarifabschluss gilt für Tausende Berufszweige: unter anderem Erzieherinnen, Busfahrer, Angestellte von Bädern, Feuerwehrleute, Krankenschwestern, Verwaltungsangestellte, Altenpflegerinnen, Klärwerksmitarbeiter, Förster und Ärzte. Es geht um das Einkommen von über 2,4 Millionen Tarifbeschäftigten der kommunalen Arbeitgeber und 134.000 des Bundes. Über den am Samstag getroffenen Beschluss lassen Verdi und der Beamtenbund nun noch die eigenen Mitglieder abstimmen. Werneke äußerte sich aber überzeugt, die Mitglieder für die Vereinbarung gewinnen zu können.
Ökonomen: "Erhöht Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale"
Ökonomen sehen Licht und Schatten im Tarifabschluss: "Alles in allem fällt das Lohnplus für den öffentlichen Dienst verglichen mit der Privatwirtschaft nicht völlig aus dem Rahmen", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer der Nachrichtenagentur Reuters.
Nach dem massiven Kaufkraftverlust durch die hohe Inflation sei klar gewesen, dass die Löhne auch im öffentlichen Dienst deutlich steigen werden. "Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Kommunen einen Teil der gestiegenen Arbeitskosten durch höhere Gebühren an die Bürger weitergeben werden – ähnlich agieren die Unternehmen", fügte Krämer hinzu. "Das Inflationsproblem ist noch lange nicht gelöst."
BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels zufolge dürfte der Tarifkompromiss die Alarmglocken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) läuten lassen. "Der Abschluss erhöht durchaus die Gefahr einer Preis-Lohn Spirale und dürfte der EZB Kopfzerbrechen bereiten", sagte Michels.
Auch wenn ein großer Teil des Abschlusses gestaffelte Einmalzahlungen und daher kein permanenter Lohnkostentreiber für die öffentliche Hand seien, dürften in der Folge Abgaben und Gebühren stärker steigen. "Dies dürfte sich auch in anhaltend hohen Druck bei der Kerninflation zeigen", sagte Michels. Da die Folgen dieses Abschlusses erst mit zeitlicher Verzögerung absehbar seien, dürfe die EZB erst Ende 2024 die Zinsen wieder senken.
Tarifeinigung hilft Fachkräfte zu halten
Die Tarifeinigung macht nach Ansicht der Kommunalen Arbeitgeber den Öffentlichen Dienst für Fachkräfte attraktiver. Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Karin Welge, sagte im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk in der radioWelt am Morgen auf Bayern2: "Die Tarifeinigung war nötig, um das Lohngefüge konkurrenzfähig zu halten. Wir alle kämpfen um Fachkräfte." Wenn der Öffentliche Dienst und damit Staat nicht mehr stark sei, könnten auch die vielen Herausforderungen der Zeit- angefangen vom Klimawandel über die Mobilitätswende - nicht gewährleistenwerden, so Welge.
In anderen Branchen weiterhin Streiks möglich
Verdi hatte in den vergangenen Monaten mit unzähligen Warnstreiks regelmäßig Stadtverwaltungen, öffentliche Bäder, Müllabfuhren oder Krankenhäuser lahmgelegt. Gemeinsam mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft - die nach wie vor mit 50 Eisenbahnunternehmen im Tarifkonflikt steht - gab es Ende März einen großangelegten bundesweiten Warnstreik im Verkehrssektor.
Auf der Schiene und auch an Flughäfen sind weiterhin Warnstreiks und damit Behinderungen der Fahrgäste möglich, da es hier um andere Branchen geht. So werden wegen eines Streikaufrufs der Gewerkschaft Verdi am Montag am Hauptstadtflughafen BER keine Abflüge von Passagierflügen abgefertigt. Auch ankommende Flüge am BER könnten durch den Warnstreik von Ausfällen und Änderungen betroffen sein, warnte der Flughafen. Bisher sind am Montag rund 70 von 240 geplanten Ankünften gestrichen worden. Das ging am Montagmorgen aus Daten auf der Webseite des Flughafens hervor. Ein BER-Sprecher sagte, dass sich diese Zahl absehbar nicht mehr groß verändern werden. Die Gewerkschaft Verdi bestreikt den Flughafen seit den frühen Morgenstunden. Zum Ausstand aufgerufen sind Beschäftigte im Luftsicherheitsbereich, in der Fluggastkontrolle und der Personal- und Warenkontrolle.
Streik auch am Hamburger Flughafen
Auch am Hamburger Flughafen mussten laut Verdi 31 von 160 geplanten Abflügen wegen eines Streiks abgesagt werden. Hier hatte die Gewerkschaft sehr kurzfristig die Beschäftigten des Abfertigungsunternehmens Aviation Handling Services Hamburg AHS zur Arbeitsniederlegung aufgerufen - sie sind zuständig für Check-in und Boarding bei verschiedenen Fluggesellschaften wie Lufthansa, Swiss, Austrian Airlines und Brussels Airlines. AHS war demnach am Montag zuständig für 84 Flüge.
Auch der ÖPNV in Bayern hat einen eigenen Tarifvertrag. Hier muss noch verhandelt werden, ob der Abschluss übernommen wird.
Im Eisenbahnsektor wiederum gehen Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn am Dienstag in Fulda weiter. Dort verhandelt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit dem Konzern über mehr Geld für rund 180 000 Bahnbeschäftigte. Auch hier sind jederzeit Warnstreiks möglich, die den Regional- und Fernverkehr im ganzen Land erneut lahmlegen könnten.
- Zum Artikel "Tarifstreit: Einmalzahlungen können zu Verlust führen"
Im Audio: Tarifabschluss im Tarifstreit im öffentlichen Dienst
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