Es war eine Szene, die exemplarisch ist für den Aufstieg Peter Boehringers innerhalb der AfD: Auf dem Bundesparteitag in Dresden im April stimmt die AfD ab über ihr Wahlprogramm. Beim Thema "Dexit" ergreift der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland das Wort und warnt die Delegierten davor, den Austritt Deutschlands aus der EU ins Programm zu schreiben: "Das wird – auch wenn wir andere Gründe haben – von Europäern unter Umständen falsch verstanden, und dann geht die Sorge um vor dem deutschen Sonderweg!"
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Auch Parteichef und EU-Parlamentarier Jörg Meuthen appelliert eindringlich: "Wenn wir Dinge ändern wollen, brauchen wir Partner. (…) Wenn wir jetzt hingehen und sagen 'wir wollen raus aus dem Laden', dann werden unsere Partner nicht mehr mit uns zusammenarbeiten."
Direkt nach Gauland tritt Peter Boehringer ans Mikrofon und zieht die Bedenken seines Vorredners ins Lächerliche: "Herr Gauland, es kann nicht sein, dass wir hier Churchill-Reden von 1947 paraphrasieren (…) Es ist allerhöchste Zeit, dass dieser Antrag endlich eine Mehrheit findet." Donnernder Applaus. Dem Antrag stimmen 58 Prozent der Delegierten zu. Kurz danach macht ein Foto der stolzen Dexit-Kämpfer die Runde: Boehringer in der Mitte, umrahmt von bayerischen AfD-Politikern.
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Neues Hauptthema: Corona
Boehringer ist ein Taktiker, der sich mit seiner Finanzexpertise Respekt und Einfluss verschafft hat innerhalb der Partei. Als Vorsitzender des mächtigen Haushaltsausschusses im Bundestag und als Sprecher des AfD-internen Bundesfachausschusses "Euro, Geld- und Finanzpolitik" konnte der Diplom-Informatiker und Kaufmann bei den Mitgliedern mit dem Ursprungsthema der AfD punkten: der Europa-Skepsis.
Doch Boehringer beschränkt sich nicht auf die Aufzählung von Euro-Schulden, Haftungsrisiken und Haushalts-Milliarden – bei seinen Auftritten bespielt er alle Themen, mit denen die AfD Stimmen holen will: Auf seiner Youtube-Seite etwa spricht er von "Messermorden" durch Migranten, wettert gegen offene Grenzen und kritisiert die "Politisierung der Regenbogenflagge". Seit vergangenem Jahr ist vor allem die Corona-Politik der Bundesregierung Thema seiner Oppositionsarbeit. Boehringer trat auf Querdenker-Demos auf. Das Robert-Koch-Institut? Ein "Befehlsempfänger". Der digitale Impfpass? "Schritt zur Totalüberwachung." Und Corona? "Eine saisonale Krankheit". Der Bundestagsabgeordnete polarisiert und trifft damit den Ton seiner Parteianhänger.
Rhetorisch sticht Boehringer die meisten seiner AfD-Mitbewerber in Bayern aus. Auch aus diesem Grund haben ihn beide internen AfD-Lager, also der offiziell aufgelöste völkische Flügel und das verhältnismäßig bürgerlichere Lager, mit 94 Prozent auf Platz eins der Landesliste gewählt, ohne Gegenbewerber. Damit landete der Spitzenkandidat noch vor der Landesvorsitzenden Corinna Miazga. Als ausgewiesener Team-Player gilt der AfD-Politiker nicht: Kollegen beschreiben Boehringer als "eigenbrötlerisch", "introvertiert" und "eigen".
Boehringer: "Stehe in der Mitte der Partei"
Der gebürtige Schwabe bezeichnet sich selbst als "Realist", das Parteiprogramm als seine "Bibel". Auf die Frage, wie er zum rechtsextremen Flügel stehe, antwortet er dem BR, er arbeite "stilistisch anders" und "stehe fest in der Mitte der Partei": "Weder Höcke noch Meuthen sind für mich hier gesetzte Autoritäten, weder inhaltlich noch stilistisch." Und: "Ich bin auf Platz 1 gekommen. Die Partei weiß, was sie tut."
Boehringer kommt aus der Wirtschaft, er hat als Unternehmensberater und Vermögensberater gearbeitet. Um die Jahrtausendwende wollte er nach eigener Aussage "Fehlentwicklungen aktiv angehen": "Zuerst nur in der Finanzwirtschaft, der realen BWL der Unternehmen und der Volkswirtschaft, später wirklich in allen Bereichen: Lug, Trug, Verdrehung, Framing."
Sein Weg führte 2015 zur AfD: "Bis heute ist meine Arbeit auch für mich selbst eine Art Ventil, um den omnipräsenten Lügen etwas entgegenzusetzen." Was er konkret damit meint, lässt sich ablesen aus den Anliegen, die Boehringer als bayerischer Spitzenkandidat vertreten will: "Verteidigung des Nationalstaats gegen eine inzwischen illegal zum EU-Bundesstaat entartete EU, Verteidigung unserer Grundrechte auch in Zeiten einer statistisch völlig überhöhten Pandemie, Minimierung der Lockdown-Folgen soweit noch möglich, Schließung der Grenzen gegen illegale Immigration und die Rettung von Kernsektoren der bayerischen Wirtschaft".
Großwetterlage für AfD "derzeit schwierig"
Ein konkretes Ziel an Prozenten bei der Bundestagswahl hat Boehringer nicht vor Augen. Dem BR sagt er: "Ein Ergebnis in der Nähe des 2017er-Ergebnisses wäre ein toller Erfolg für die AfD in Bayern." Damals holte die AfD in Bayern 12,4 Prozent und 14 Mandate im Bundestag. Damals habe die AfD Rückenwind gehabt, sagt der Spitzenkandidat, und räumt ein, dass die Situation seit 2018 anders sei: "Zudem haben wir zu viele parteiinterne Streits, und die Großwetterlage ist medial und auch politisch derzeit schwierig für uns." Ja, Schuld haben laut Boehringer auch die Massenmedien, die die AfD durch "Framing", "Verdachtsberichterstattung und absurd-einseitig gefilterte Datenpunkte völlig verzerrt" darstellten.
Zu hohe Erwartungen jedenfalls will Boehringer vor der Wahl nicht wecken und betont: "Mein eigener Beitrag zum Ergebnis in Bayern wird bescheiden sein, egal ob im Erfolgs- oder Misserfolgsfall."
Die anderen bayerischen Spitzenkandidatin im Porträt
- Alexander Dobrindt (CSU)
- Uli Grötsch (SPD)
- Daniel Föst (FDP)
- Nicole Gohlke (Die Linke)
- Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen)
- Hubert Aiwanger (Freie Wähler)
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