Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger
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Prekäre Wissenschaft: Protest gegen Ampel-Reform geht weiter

Prekäre Wissenschaft: Protest gegen Ampel-Reform geht weiter

Das Bundesforschungsministerium hat seine umstrittenen Reformvorschläge für bessere Arbeitsbedingungen an Unis und Hochschulen inzwischen zurück genommen. Trotzdem geht der Aufschrei dagegen weiter, mehr als 3.000 Professoren protestieren mit.

Über dieses Thema berichtet: Campus Magazin am .

Schlechte Bezahlung, zu wenig Zeit für die eigentliche Aufgabe, weil zu vieles Andere nebenher erledigt werden muss und vor allem: sich jahrelang von einer befristeten zur nächsten befristeten Stelle hangeln, um dann mit Mitte 40 plötzlich rauszufallen, weil es keinen neuen Vertrag mehr gibt. Für mehr als 85 Prozent aller wissenschaftlichen Angestellten an den Universitäten und Hochschulen in Deutschland ist das Realität.

Um das ändern, hatte das Bundeswissenschaftsministerium vor kurzem Reformvorschläge für das sogenannte "Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ vorgelegt. Die sogenannten "Post Docs", also die wissenschaftlichen Mitarbeitenden mit Doktor- aber noch ohne Professorentitel, sollten demnach nur noch maximal drei Jahre befristet werden dürfen, anstatt wie früher sechs Jahre.

Bundesforschungsministerium will "Anregungen mitnehmen"

Der Aufschrei nach diesem Reformvorschlag war groß, so dass das Ministerium mittlerweile den Entwurf zurückgezogen hat. Das Bundesforschungsministerium schreibt in einem schriftlichen Statement an BR24: Man nehme die entbrannte Diskussion "sehr ernst" und habe sich deshalb bereits nochmals mit den Betroffenen ausgetauscht. Und weiter: "Man werde die Anregungen dazu mitnehmen in weitere koalitionsinterne Verständigungen."

Über 3.000 "Profs für Hanna" haben offenen Brief unterschrieben

Aber noch immer brodelt es: Inzwischen mehr als 3.000 Professorinnen und Professoren haben sich unter #profsfuerhanna solidarisiert (Stand 6.4.2023) und einen offenen Brief an das Ministerium unterschrieben. Und auch andere Betroffene haben sich unter #IchbinHanna zusammengeschlossen. Eine von ihnen ist Helena. Sie ist Mitte dreißig, promovierte Historikerin und seit sieben Jahren an der Uni München angestellt.

Sie sagt: in drei Jahren ist die Habilitation nach der Promotion als Bewerbung für eine mögliche Professoren-Stelle in Deutschland nicht zu schaffen: "Du musst dein Buch machen, du musst ein neues Projekt anfangen, dann in dieser Zeit vielleicht Kinder kriegen, dann sollst du dich vernetzen, ins Ausland gehen, und schauen, dass du genug publizierst." Das sei nicht hinzukriegen in so kurzer Zeit. Insgesamt seien die jahrelangen befristeten Ketten-Verträge sehr belastend, sagt die heute 37-Jährige: "Bis Mitte 40 weiß man nicht, wie es weitergeht, ob es in der Wissenschaft weiter geht oder nicht. Lohnt sich nicht, sich jetzt verrückt zu machen, wenn man es eh nicht weiß. Ich versuche das zu verdrängen."

Professorin: Verkürzung als "Schlag in die Kniekehle"

Es sei zwar richtig, zu versuchen, die Angestellten früher aus der Befristung holen zu wollen, aber einfach nur eine Verkürzung sei falsch, das sei ein "Schlag in die Kniekehlen, für alle, die wissenschaftlich arbeiten", sagt Irene-Paula Villa Braslavsky, Professorin für Soziologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), eine der Initiatorinnen von #profsfuerhanna, die den offenen Brief an das Bundesforschungsministerium mit verfasst hat.

Und der Präsident der Technischen Universität (TU) München, Thomas Hofmann, befürchtet im BR24-Interview: "Diese Reduktion von sechs auf drei Jahre, das wird zum nachhaltigen Schaden zur deutschen Akademia sein, oder sie gehen ins Ausland. Oder sie gehen in die Wirtschaft. Das ist wirklich Grund zur Sorge."

Forderung der Profs und Verbände: Zielvereinbarungen mit garantierter Entfristung

Doch wie könnte man es dann schaffen, die prekären Arbeitsbedingungen an den Unis und Hochschulen zu ändern? Bernhard Emmer ist Vorsitzender des Landesverbands „Wissenschaftliches Personal in Bayern“. Er schlägt vor, bei einer Verkürzung der Befristungen entweder die Ansprüche runterzuschrauben oder eine langfristige Perspektive für die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu schaffen: Nach der Promotion könne man eine vertragliche Zielvereinbarung aufsetzen, in der es heißt, wenn man etwa ein bestimmtes Forschungsziel in der befristeten Zeit erreicht hat, bekommt man anschließend garantiert eine unbefristete Stelle im sogenannten „akademischen Mittelbau“.

Bei Professuren wird dieses Prinzip des sogenannten "Tenure Track" bereits angewandt. Etwa an der TU München, wie deren Präsident Hofmann bestätigt: „Die jüngste Professorin, die wir berufen haben, ist 28 Jahre, das heißt, wir bringen ganz junge Leute auf diesen Tenure Track. Das ist eine zunächst befristete Professur von sechs Jahren, aber mit klaren Spielregeln, und auch die Stelle danach für die Entfristung ist da. Und damit haben wir enormen Erfolg.“

"Es braucht mehr unbefristete Stellen in Deutschland"

Das Problem dabei: es müssen die unbefristeten Stellen danach auch vorhanden sein. Professorin Irene-Paula Villa Braslavsky fordert deshalb, in Deutschland deutlich mehr solcher entfristete Stellen zu schaffen.

In anderen Ländern sei das gängig, dass unbefristete Stellen bereits vor der Professur angeboten würden: etwa in Dänemark oder in den Niederlanden. Allerdings, gibt sie zu, müsse man dafür auch die Unis und Hochschulen besser finanziell ausstatten. Sie fordert von den Bundesländern, die Grundfinanzierung deshalb anzuheben.

Prekäre Promotionsphase: befristete Teilzeit oder Stipendium

Für die Betroffenen, die aktuell im Befristungs-System hängen, hilft das erstmal wenig. Helena, die im "Mittelbau" an der Uni München angestellt ist, sagt: in der Promotionsphase sei es sogar noch prekärer. Stellen würden nur selten, und wenn dann niemals eine volle, sondern maximal eine Zweidrittel-Stelle angeboten.

Das sei schon ein "Privileg", wie sie sagt, wenn man dort eine Stelle ergattere. Denn dann sei man immerhin sozialversichert. Alternativ müsse man sich über Stipendien finanzieren. Und die Befristungen seien für Promotionen in den Geisteswissenschaften oft zu kurz. Sie habe ihre Promotion, für die sie in Archiven im Ausland in einer anderen Sprache forschen musste, gerade so auf den Tag genau in den vorgegebenen sechs Jahren geschafft.

Nur fünf von 30 Promovierenden übrig

Dann folgte die nächste Befristung als sogenannte "Post Doc" an der Uni, wo die Wissenschaftlerin jetzt arbeitet. Sie ist glücklich und stolz, es bis hierher trotz Widrigkeiten geschafft zu haben. Aber von den rund 30 Historikerinnen und Historikern, die mit Helena promoviert hatten, sind heute gerade nur noch fünf in der Wissenschaft tätig - und oft genug denken sie und ihre Kolleginnen darüber nach, hinzuschmeißen: „Also im Semester hab ich bestimmt ein- bis zweimal mit meinen befreundeten Kolleg*innen das Gespräch: 'Ich steig jetzt aus', weil man natürlich nicht weiß, ob ich das jetzt schaff oder nicht, des macht ja auch psychisch was mit einem.“

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