Bundesweit sind am Samstag Hunderttausende gegen rechts und für die Demokratie auf die Straße gegangen. Nach ersten Zählungen der Polizei und der Veranstalter demonstrierten insgesamt mindestens 300.000 Menschen. Führende Politikerinnen und Politiker von CDU, Grünen und SPD stellten sich hinter die zahlreichen Demonstrationen.
"Es ist sehr ermutigend, dass tausende Menschen in ganz Deutschland friedlich gegen Rechtsextremismus demonstrieren", schrieb CDU-Chef Friedrich Merz am Samstag im Internetdienst X (früher Twitter). "Wir zeigen gemeinsam ein Stoppschild gegen jede Form von Extremismus und Rassismus, gegen Hass, Hetze und Geschichtsvergessenheit."
"Sie alle zeigen eindringlich: In unserem Land ist kein Platz für Brandstifter und Hetzer", sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). "Danke für dieses wichtige Zeichen der Demokratie", fügte er hinzu.
"Wachrütteln auf der Straße und im Parlament"
Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wertete die Proteste als "ein ermutigendes Zeichen". "Es ist jetzt wichtig, Haltung zu zeigen", hob Günther in den RND-Zeitungen hervor. Er rief alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich für die freiheitliche Gesellschaft starkzumachen. "Es gibt keine Ausrede mehr, wegzusehen und die eigene Stimme nicht gegen Rechtsextremismus zu erheben", sagte der Ministerpräsident.
Die Demokratie werde angegriffen und stehe vor großen Herausforderungen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Wir müssen sie aktiv verteidigen", forderte auch sie. "Es stimmt mich sehr positiv, dass so viele Menschen in den vergangenen Tagen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind", betonte Faeser.
"Alle demokratischen Kräfte sind gefordert, zusammenzustehen gegen Feinde der Demokratie", schrieb auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann im Internetdienst Bluesky. Es gehe jetzt um ein "Wachrütteln auf der Straße und im Parlament". Grünen-Parteichefin Ricarda Lang lobte ebenfalls die zunehmenden Proteste: "Die Mehrheit in diesem Land steht auf für Demokratie und gegen Rechtsextremismus." Lang sagte: "Das, wovon die Nazis leben, ist Gleichgültigkeit. Sie wünschen sich Gleichgültigkeit und jetzt bekommen sie Widerstand."
Arbeitsminister Heil: "Froh über jeden, der sich klar positioniert"
Auch aus der Wirtschaft kommen neue Mahnungen vor Rechtsextremismus und einem weiteren Aufstieg der AfD. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) rief die Wirtschaft dazu auf, sich gegen rechts zu stellen. Er sei über jeden Wirtschaftsvertreter froh, der sich klar gegen die AfD und Nazis positioniere, sagte Heil der "Rheinischen Post" (Samstag). "Wir sind eine offene Gesellschaft, darauf gründet auch unser wirtschaftlicher Erfolg."
Der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Siegfried Russwurm unterstützt die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ebenfalls. Er warnt die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland davor, die AfD zu wählen. Im BR24-Interview der Woche sagte Russwurm, Deutschland sei auf internationale Zusammenarbeit und Vernetzung angewiesen. Es mache keinen Sinn, die Zeit zurückdrehen zu wollen, wie es in rechten Parteiprogrammen gefordert werde.
Es sei wichtig, Stellung zu beziehen. Noch wichtiger sei aber die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Deshalb: "Wehret den Anfängen. Wehret auch den Anfängen einer rückwärtsgewandten Gesellschaftspolitik", so Russwurm. An die demokratischen Parteien appellierte er: "Reißt Euch zusammen." Der demokratische Diskurs um das bessere Argument müsse geführt werden, aber nicht dogmatisch, sondern um eine Einigung zu erzielen.
Zustimmung kommt von Joe Kaeser, Aufsichtsratschef von Siemens Energy und Daimler Truck. Er forderte in einem am Samstag veröffentlichten Reuters-Interview Wirtschaftsvertreter auf, offen auf die Folgen von AfD-Wahlerfolgen hinzuweisen. "Wer die AfD wählt, entscheidet sich für den Verlust des Wohlstands unseres Landes und seiner Bürger", sagte Kaeser.
Video: Interview mit Peter Neumann, Extremismusforscher
Schuster hofft auf Zivilcourage auch im Alltag
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sieht in den Demonstrationen gegen die AfD ein wichtiges Signal gegen eine Gleichgültigkeit der Gesellschaft angesichts von wachsendem Extremismus. "Ich bin wirklich erfreut, dass die Mitte der Gesellschaft aufsteht", sagte Schuster der "Augsburger Allgemeinen" vom Samstag. "Ich habe immer das Gefühl gehabt, man sieht die Prognosen und Wahlergebnisse der AfD, aber das lockt niemanden hinter dem Ofen hervor", sagte Schuster. Dies habe ihm Sorgen gemacht. Umso mehr freue er sich, "wenn Leute jetzt auf die Straßen gehen und ihren Unmut zum Ausdruck bringen".
Der Zentralrats-Präsident äußerte die Hoffnung, dass Menschen nun auch im Alltag Zivilcourage zeigen. "Wenn im persönlichen Gespräch, am Arbeitsplatz, in der Familie, im Bekanntenkreis, im Sportverein oder in der Jugendgruppe jemand aufsteht und Ideologien äußert, die rassistisch, menschenverachtend oder antisemitisch sind", wäre es gut, aufzustehen und zu sagen: "Weißt Du, was Du da gerade gesagt hast?", sagte Schuster. Man müsse entsprechenden Menschen den Spiegel vorhalten. "So lässt sich eine Menge erreichen."
Tuchel: "Keine Stimme zu viel" gegen Rechtsextremismus
Auch Bayern Münchens Trainer Thomas Tuchel hat sich eindeutig gegen Rechtsextremismus gestellt. Bei diesem Thema müsse man "natürlich ganz klar sagen, dass da nicht genug aufstehen können. Da stehen wir tausend Prozent dagegen auf. Da gibt es keine Zweifel gegen jede Art von Extremismus - insbesondere aktuell in der Diskussion und bei unserer Geschichte. Da kann es keine Stimme zu viel geben", sagte Tuchel.
Die Bundesliga machte in den vergangenen Tagen mobil gegen Rechtsextremismus. Viele Klubs setzten Zeichen gegen rechts, insbesondere Freiburgs Trainer Christian Streich hielt einen flammenden Appell gegen die politische Rechte um die AfD: "Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden. Das steht außer jeder Frage. Es ist fünf Minuten vor zwölf".
Auch Bayern Münchens Ehrenpräsident Uli Hoeneß hatte am Freitag bei der Gedenkfeier für Franz Beckenbauer klare Kante gezeigt. Der Kaiser habe durch die WM 2006 in Deutschland "einen Prozess angestoßen". Beckenbauer habe daran mitgewirkt, dass viele ausländische Mitbürger einen anderen Blick auf Deutschland bekommen hätten. Wie offen und freundlich dieses Land sein könne, sei damals eindrucksvoll bewiesen worden. Dies sei auch in Zukunft wünschenswert, "die AfD möchte ich aber nicht dabei haben", betonte Hoeneß.
Auslöser der Proteste war rechtsextremes Geheimtreffen
Anlass für die Proteste, die an diesem Wochenende weitergehen, sind Enthüllungen des Netzwerks Correctiv über ein rechtsextremes Geheimtreffen in Potsdam. Dort war über Pläne für eine massenhafte Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland beraten worden sowie von weiteren Deutschen, die sich beispielsweise für Geflüchtete einsetzen. Unter anderem nahmen daran Mitglieder der AfD teil sowie auch zwei Mitglieder der rechtskonservativen Werteunion und zugleich der CDU.
Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters
Video: Proteste gegen rechts
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