In München stehen die Menschen in Deutschland am längsten im Stau – einer Studie zufolge 65 Stunden im Jahr, trotz Corona. Langes Warten auch auf den Straßen von Berlin, Nürnberg und Hamburg.
Solche Probleme kennt Franziska Richter aus dem ARD-Studio Singapur nicht. Dort gibt es eines der angesehensten Verkehrssysteme der Welt. Preiswerte und qualitativ hochwertige Zug- und Busverbindungen, minimale Staus sowie weit verbreitete und subventionierte Taxifahrten machen das Fortbewegen im Stadtstaat sehr einfach.
Singapur: eines der angesehensten Verkehrssysteme der Welt
Zum hoch gelobten öffentlichen Verkehrskonzept gehören gut ausgebaute Straßen, 370 Buslinien, ein weit verzweigtes U-Bahn-Netz mit modernen fahrerlosen Zügen und sehr niedrige Fahrpreise: Der Höchstbetrag für eine Fahrt liegt bei 1,35 Euro.
Gleichzeitig macht Singapur das Autofahren unattraktiv, erhebt hohe Steuern auf Autos und eine Straßenmaut. Als erstes Land weltweit führte es 1975 ein "Road-Pricing-System" ein. Auf Autos herrschen Einfuhrzölle und extrem hohe Steuern. Ein neuer VW Golf kostet dort zum Beispiel rund 124.000 Euro (in Deutschland: ca. 50.000 Euro).
Anzahl zugelassener Autos sehr stark begrenzt
Und dann gibt es da auch noch das "COE-System" ("Certificate of Entitlement", übersetzt "Berechtigungszertifikat"): Die Ausgabe eines Nummernschildes für ein Auto setzt den Besitz eines sogenannten COE voraus. Vom Verkehrsministerium wird nur eine bestimmte Anzahl von COEs aufgelegt, die in einem öffentlichen Bieterverfahren erworben werden können. Zweimal im Monat findet eine öffentliche Auktion statt, bei der Interessenten für ein COE mitbieten können.
Der Preis hängt von PS oder Kubikzentimeter Hubraum des Autos ab, für das ein COE ersteigert werden soll. Der günstigste Preis für ein COE liegt bei 35.000 Euro. Wie viel am Ende ein COE wirklich kostet, hängt von Angebot und Nachfrage ab. Das COE gilt für zehn Jahre und kann nach Ablauf nochmal um fünf bis zehn Jahre verlängert werden. Diese strengen Maßnahmen führen dazu, dass in Singapur auf 1.000 Einwohner nur 97,5 Autos kommen (Deutschland: 573).
New York: Ohne Fahrrad geht hier gar nichts
Fahrrad-Boom auf gefährlichen Wegen
Seit Covid-19 New York heimgesucht hat, gibt es dort trotz aller Widrigkeiten einen regelrechten Fahrrad-Boom. Aber wer sich in New York aufs Fahrrad setzt, muss wirklich alle Sinne beisammen haben, weiß ARD-Korrespondentin Christiane Meier. Die Fahrradwege sind eng, zugestellt und sehr oft nicht von der Straße getrennt. Wenn man nicht das Glück hat, auf dem Fahrrad-Highway am Hudson entlangfahren zu können oder eine der geschützten "Bike Lanes" erwischt, lebt es sich gefährlich.
Die Folge: Viele Lieferanten, Pendler, Touristen und wer sonst noch in die Pedale tritt, treffen sich in einer unglücklichen Allianz auf der Busspur und kämpfen im Abgasnebel um die Vorherrschaft. Sie fahren über rote Ampeln, quer zum Verkehr – totale Anarchie. Der September vergangene Jahres war in New York der bislang tödlichste Monat für Fahrradfahrer: Sieben Menschen starben.
Autos müssen dem Radverkehr weichen
Die Stadt will Abhilfe schaffen. In Manhattan etwa wurde eine Straße komplett für Autos gesperrt. Auf der 14. können Fahrradfahrer jetzt quer über die Insel strampeln. Die Längsachse leidet allerdings unter den genannten Problemen. Wie schön wäre es, wenn jemand zum Beispiel die extrabreite Park Avenue mit einer Fahrradspur versehen würde, sagt Christiane Meier.
Der Autoverkehr liegt schon wieder fast auf altem Niveau, die U-Bahn hingegen hat nur noch ein Drittel der Fahrgäste. Damit die Fahrrad-Begeisterten aus Brooklyn und Queens nach Manhattan radeln können, sollen künftig auf der Brooklyn-Bridge und der Queensborough-Bridge je eine ganze Autospur zum Fahrradweg werden.
Bilanz bisher: In allen fünf Stadtteilen wurden im vergangenen Jahr allein 28 Meilen (45 Kilometer) neuer geschützter Wege geschaffen, es sollen irgendwann 80 Meilen (130 Kilometer) werden. Und dann heißt es hoffentlich für die Radler: Good Bye, Busspur!
Schweden: Stockholms City entlasten mit Tunnel unterm See
Es ist momentan nichts Ungewöhnliches, dass Stockholmer in den Abendstunden ein dumpfes Grummeln in ihren Häusern wahrnehmen: Tief unten wird regelmäßig gesprengt – und das fast rund um die Uhr, wie Randi Häussler aus dem ARD-Studio Stockholm berichtet. Die Arbeiten dienen dem Großprojekt "Förbifart Stockholm" ("Umleitung Stockholm") – ein enormes Bauprojekt, das den Norden und Süden der Stadt miteinander verbinden und den Verkehr durch die Stadt entlasten soll. Der neue Streckenausbau der E4 wird 21 Kilometer lang sein und besteht zum großen Teil aus Tunneln. Die Strecke führt unter dem See Mälaren entlang, aber eben auch unter stadtnahen Wohngebieten.
Das Projekt soll 2030 fertig sein. Die Fahrt zwischen Nord- und Süd-Stockholm würde dann nur noch etwa 15 Minuten dauern.
Um den Stau aus der Innenstadt zu verbannen, hat Stockholm allerdings auch schon andere Maßnahmen ergriffen. Seit 2007 müssen Autofahrer tagsüber unter der Woche Mautgebühren zahlen, wenn sie ins Zentrum der Stadt wollen. Die Gebühren sind nach Verkehrsaufkommen gestaffelt – in den Hauptverkehrszeiten kostet das Passieren der Mautgrenze umgerechnet knapp 4,50 Euro. Das und die nicht gerade niedrigen Parkgebühren in der Innenstadt sorgen dafür, dass viele Stockholmer das Auto stehen lassen und auf öffentliche Transportmittel umsteigen.
Indien: Überall Stau in Delhi
Das Thema Stau ist in Delhi allgegenwärtig. Selbst für kurze Fahrten bis zu einem Kilometer müsse man dort teilweise über eine halbe Stunde einkalkulieren, sagt ARD-Korrespondent Oliver Mayer. Die Stadt sei sich dieses Problems bewusst und arbeite an Lösungen.
Die Parkgebühr soll schrittweise erhöht werden, um das Autofahren unattraktiver zu machen. Die Synchronschaltung der Ampeln soll verbessert werden, um einen effektiveren Verkehrsfluss herzustellen. Zudem sollen elektronische Fortbewegungsmittel wie E-Rikshas und E-Taxis bezuschusst werden.
Vision: Höhere Parkgebühr, bessere Ampeln und Öffis
Auch das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs soll erweitert werden. Schon in den vergangenen Jahren wurden rund um Delhi zwei Umgehungsstraßen angelegt, so dass die Lastwagen nicht mehr durch die Stadt fahren müssen.
Noch sind viele der Verbesserungsvorschläge allerdings Visionen. In der Realität staut sich der Verkehr in der Millionenmetropole täglich. In der Rushhour ist kaum ein Vorankommen. Die ohnehin schon schlechte Luft wird durch die vielen Tausend Autos weiter belastet. Einige Pendler weichen zwar auf öffentliche Verkehrsmittel wie Busse und U-Bahnen aus, insgesamt aber sind noch immer viel zu viele Autos auf den Straßen unterwegs. Wirkliche Besserung ist noch lange nicht in Sicht. Corona hat da nur kurze Entspannung gebracht – mittlerweile ist der Verkehr wieder so stark wie vorher.
Rom und das Lied vom ewigen Stau
Der öffentliche Nahverkehr ist in Rom ein eher schwieriges Thema, weiß ARD-Korrespondentin Anja Miller. Die knapp drei Millionen Einwohner haben auch gerade mal drei U-Bahnlinien und eine Handvoll Straßenbahnlinien zur Verfügung. Den restlichen Nahtransport erledigen unzählig viele Buslinien. Und die alleine sorgen bereits für eine Menge Verkehr. Eine wichtige Entscheidung zur Verkehrsberuhigung aus dem vergangenen Jahr war sicherlich das Einfahrtverbot von touristischen Bussen ins Zentrum.
Der Römer an sich bewegt sich daher gerne mit dem "motorino", also dem Moped oder der Vespa. Damit kommt er am schnellsten voran. An roten Ampeln trifft man regelmäßig auf Motorino-Heere, deren einziges Ziel es offenbar ist, bei Grün vor allen Autos zu starten. Als Autofahrer braucht man daher gute Nerven und die Augen müssen wirklich überall sein.
Luftverschmutzung kostet jeden 1.400 Euro pro Jahr
Roms Innenstadt setzt auf verkehrsberuhigte Zonen. Die Einfahrt gibt es generell nur mit Sondererlaubnis gegen eine Jahresgebühr. Das Verbot gilt wochentags in der Regel von 6 bis 18 Uhr, am Wochenende, vor Feiertagen oder in Ausgehvierteln auch nachts (ca. 23 bis 3 Uhr).
Einer europäischen Umfrage zufolge kosten jeden Römer die Folgen der Luftverschmutzung vor allem durch den Verkehr jährlich 1.400 Euro. Die Corona-Pandemie hat das Verkehrsaufkommen in Rom deutlich stärker beruhigt als alle bisherigen Konzepte. Laut dem "Global-traffic-scorcard"-Ranking vergeudete 2020 jeder Einzelne 60 Prozent weniger Zeit mit Warten im Stau als im Vorjahr. Doch ein wirkliches Verkehrskonzept mit einem gut funktionierenden Nahverkehr fehlt der ewigen Stadt.
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