Wenn seine Restaurantgäste die Speisekarte betrachten, kommt es seit Anfang Dezember häufig zu Verwunderung, berichtet Giorgio Cherubini. Viele fragen nach, warum die Preise so komisch angegeben sind. Denn neben den Speisen steht nicht nur der Bruttopreis geschrieben, den die Kunden zahlen müssen, sondern auch ein Netto-Betrag. "Das schafft Klarheit", erklärt Cherubini. Er will den Gästen seines Münchner Restaurants "Osteria Der Katzlmacher" aufzeigen, warum im nächsten Jahr die Preise steigen: Die Mehrwertsteuer in der Gastronomie wird wieder von sieben zum regulären Satz von 19 Prozent zurückkehren.
Entlastung in der Corona-Krise: Mehrwertsteuersatz wurde gesenkt
Der Steuerersatz für Speisen in Restaurants und Cafés war vorübergehend gesenkt worden, um die Betriebe während der Corona-Pandemie zu entlasten. Für Getränke blieb er bei 19 Prozent. Danach wurde die Ausnahmeregelung wegen der Energiekrise mehrmals verlängert, zuletzt bis Ende 2023.
Bayern war im Bundesrat mit einem Vorstoß gescheitert, die niedrigere Mehrwertsteuer in der Gastronomie dauerhaft beizubehalten. Ein entsprechender Entschließungsantrag, der den niedrigeren Steuersatz von sieben Prozent für Speisen auch auf Getränke ausweiten wollte, fand in der Länderkammer keine Mehrheit. Er steigt damit ab Januar wieder auf 19 Prozent.
Verband warnt vor Preisexplosion und Insolvenzen
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte im Bundesrat: "Tausende von Existenzen sind betroffen, in ganz Deutschland." Tourismusministerin Michaela Kaniber (CSU) warnte vor Folgeschäden über die Gastronomie hinaus. "Diese Steuererhöhung ist kurzsichtig, weil die erhofften Einnahmen deutlich geringer ausfallen werden, wenn sich viele das Essengehen nicht mehr leisten können." Leidtragende seien Gäste und Wirte. "Aber es trifft darüber hinaus die ganze Wertschöpfungskette, also zum Beispiel auch Bäcker, Metzger und Landwirte."
Auch der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband kritisiert das Ende der reduzierten Mehrwertsteuer als fatale Entscheidung. Präsidentin Angela Inselkammer warnt: "Es wird in der Gastronomie zu Betriebsschließungen, steigenden Preisen, sinkenden Umsätzen und einem enormen Verlust an Arbeitsplätzen und Lebensqualität führen, gerade auch in ländlichen Regionen."
Wie stark werden die Preise wirklich steigen?
Experte Stephan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erwartet dagegen weit weniger dramatische Folgen: "Es wird nicht dazu kommen, dass die Restaurantpreise so stark steigen, dass sich niemand mehr das Essengehen leisten kann", erklärt Bach im Gespräch mit BR24. "Die Betriebe werden abwägen und sich eher nicht für so drastische Anpassungen entscheiden, durch die ihre Gäste fernbleiben." Realistisch sei eine Preisanhebung von zehn Prozent. Ein Gericht, das heute beispielsweise 13,50 Euro kostet, würde dann 14,85 Euro kosten.
Bei einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Anfang Dezember gaben 89 Prozent der Befragten an, die Preise anheben zu wollen. Ob und in welchem Umfang die Steuererhöhung auf die Preise durchschlägt, entscheide den Angaben zufolge am Ende aber jeder Wirt selbst. Die Steakhouse-Kette Blockhouse kündigte auf Anfrage der dpa an, die Preise nicht sofort, sondern erst am 13. Januar zu erhöhen, und dann auch nur um sieben Prozentpunkte. "Wir geben die Erhöhung nur anteilig weiter", sagte eine Sprecherin. Die Pizza-Kette L’Osteria will die Preise im Februar erhöhen und dann regional nach Kaufkraft staffeln. Nicht überall steigen daher die Preise, so eine Sprecherin: "In den preissensibleren Regionen haben wir uns entschieden, je nach Gericht nur minimale oder gar keine Preiserhöhung vorzunehmen." Alle anderen Mitte Dezember angefragten Ketten machten demnach noch keine konkreten Angaben.
Gäste haben Verständnis für Preiserhöhung
Laut dem Münchner Gastronomen Cherubini sind einige Wirte – auch in seinem Umfeld – schlicht noch unentschlossen, was sie tun sollen. Er selbst hat sich dafür entschieden, die Mehrausgaben voll auf die Verbraucherkosten umzulegen. Die Minestrone-Suppe auf seiner Speisekarte kostet dann nicht mehr 13,50 Euro, sondern 15,02 Euro. "Unsere Berechnungen basieren auf den Nettopreisen. Wenn die Mehrwertsteuer nun steigt, haben wir ein wirtschaftliches Problem. Das möchte ich als Unternehmer vermeiden", erklärt er. Seit 40 Jahren gibt es das Restaurant in der Münchner Altstadt bereits, die Eröffnung war 1983. 2007 übernahm Cherubini den Betrieb.
Dass er die Preise erhöhen kann, liegt auch daran, dass Cherubini ein Fernbleiben seiner Gäste nicht erwartet: Auf die Preiserhöhung ab Januar reagierten die Gäste mit Verständnis. Viele Stammkunden besuchten das Restaurant – es habe sich ein gutes Verhältnis entwickelt und man könne offen über das Thema sprechen.
Umfrage: Gut zwei Drittel wollen seltener Essen gehen
Eine Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur kommt zu einer pessimistischeren Prognose. Demnach lehnten 69 Prozent der Befragten die Rückkehr zum alten Steuersatz ab. Als Konsequenz wollen viele künftig seltener ins Restaurant gehen oder dort weniger ausgeben. 44 Prozent der Befragten gaben an, ihr Verhalten mit Blick auf Restaurantbesuche ändern zu wollen. Gut zwei Drittel davon wollen seltener Essen gehen, ein Viertel sogar ganz auf Restaurantbesuche verzichten. Für die Umfrage hatte Yougov in der Woche vor Weihnachten insgesamt 2.042 repräsentativ ausgewählte Bürger in ganz Deutschland befragt.
Kommt ein Restaurant zu dem Schluss, dass die Kundschaft weitere Preiserhöhungen nicht akzeptiert, sind auch andere Maßnahmen denkbar, um finanzielle Schwierigkeiten zu vermeiden: günstiger einkaufen zum Beispiel. Für den Münchner Gastwirt Cherubini ist dies keine Option. "Frische Produkte und Qualität – da möchte ich auch künftig keine Kompromisse eingehen", betont er.
Preise sind stetig gestiegen – trotz Senkung der Mehrwertsteuer
Der Grund, warum nicht alle Restaurants ihren Gästen eine Preisanpassung werden zumuten können: Sie haben die Preise bereits in der Vergangenheit erhöht – und zwar über die Inflation hinaus. Der Verbraucherpreisindex bildet die Veränderung des Preisniveaus bestimmter Waren und Dienstleistungen ab. Für den "Verzehr von Hauptspeisen" in einem Restaurant oder Café lag der Index im Januar 2020, also vor der Pandemie, bei 99,1, im Juni 2020 bei 100,7, nach Senkung der Mehrwertsteuer im Juli bei 99,4. Dann stieg er sofort wieder an. Im Juni 2021, damals galt ein Satz von sieben Prozent, lag der Index bei 103,5. Im November 2023 lag er schließlich bei 121,5. Allerdings hätten sich Lebensmittel laut Dehoga auch stark verteuert, von Januar 2021 bis Oktober 2023 beispielsweise um 29,3 Prozent. Das sei einer von mehreren großen Kostenfaktoren der Branche.
Eine Grafik des Statistischen Bundesamts zeigt: Im Sommer 2020 – dem Zeitpunkt der Mehrwertsteuersenkung auf fünf Prozent bis zum Jahresende 2020 – ist lediglich ein sehr kleiner Knick in der Grafik erkennbar. Danach steigt der Graph wieder. "Als die Mehrwertsteuer gesenkt wurde, wurde dies nicht an die Restaurantgäste weitergegeben", erklärt Experte Bach. Auch der Münchner Gastronom Cherubini entschied sich dagegen: "Wir haben damals die Preise so gelassen. Das war in dieser Zeit, in der die Mitarbeiter auch in Kurzarbeit waren. Wir haben mit diesem übrigen Geld unsere Mitarbeiter unterstützt", erinnert er sich. 15 Menschen beschäftigt er in seinem Restaurant.
Grafik: Verbraucherpreisindex Gastronomie
Wird es zu einem Gastro-Sterben kommen?
Vor der Pandemie galten 10,7 Prozent der Unternehmen als insolvenzgefährdet. Inzwischen ist jeder achte Betrieb und damit 12,6 Prozent laut einer Crif-Analyse von der Pleite bedroht. Tendenz steigend. In Bayern waren Stand August 1.866 von 18.624 Lokalen insolvenzgefährdet. In ganz Deutschland waren 14.219 von 119.853 betroffen. "Die Anhebung der Mehrwertsteuer wird vor allem für bereits finanziell angeschlagene Gastronomiebetriebe die Lage weiter verschärfen", erläuterte Crif-Geschäftsführer Frank Schlein. Im kommenden Jahr würden die Insolvenzen in der Gastronomie weiter steigen, prognostiziert er.
"Natürlich werden auch Betriebe Insolvenz anmelden müssen, das hängt aber eher mit einem strukturellen Wandel der Branche zusammen, wie es auch im Einzelhandel der Fall ist. Aus diesem Grund weiterhin die Restaurants zu fördern, ist nicht sinnvoll", betont Bach.
Wandel stellt Gastronomie vor Herausforderungen
Seit der Corona-Pandemie hat sich das Verhalten der Menschen im Hinblick auf Restaurantbesuche verändert. Sie arbeiten seltener im Büro, verbringen mehr Zeit zu Hause. Wer essen geht, tut das häufiger in Wohnortnähe. In der Mittagspause kochen viele selbst, statt kochen zu lassen. Auch Cherubini hat eine deutliche Veränderung beim Mittagsgeschäft wahrgenommen. Das Restaurant liegt in der Münchner Innenstadt – wo zwar viele Menschen arbeiten, doch es gibt weniger Wohnraum als anderswo. "Mittags sind wir eigentlich auf die Geschäftsleute angewiesen", erklärt er.
Dass Lokale schließen müssen, das kann also durchaus passieren. Dann waren die Restaurants aber wohl schon zuvor in einer durch den Wandel bedingten Schieflage – die von der Mehrwertsteuersenkung abgefedert wurde. Laut dem Experten Bach kann und sollte man nicht verhindern, dass sich nicht wettbewerbsfähige Betriebe der neuen Situation anpassen oder die Lokale aufgegeben werden müssen.
Folgen für die wirtschaftliche Gesamtsituation in Deutschland seien dadurch nicht zu erwarten. "Dafür ist die Branche nicht groß genug", erklärt Bach. Man könne den Betrieben noch eine kurze Übergangsfrist mit reduzierter Mehrwertsteuer gewähren. So hätten die Restaurants mehr Zeit, um sich auf das Ende der Förderung einzustellen. Die Corona-Hilfe für Restaurants noch weiterlaufen zu lassen, dafür gebe es aber inzwischen keine Rechtfertigung mehr.
Mit Informationen von dpa und AFP.
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