Für den Bundestag war es eine gedenkpolitische Premiere: Erstmals würdigte das Parlament in besonderem Maße jene Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden. Schwule Männer, aber auch lesbische Frauen und Transsexuelle wurden im Zuchthaus und in Konzentrationslagern gequält.
Ihr Leid war 1945 nicht zu Ende: Der von den Nazis verschärfte Strafrechtsparagraf 175, der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte, galt in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert fort. Erst 1994 wurde er vollständig abgeschafft. Dieser Opfer und ihres Leides zu gedenken, sei wichtig, um eine Erinnerungslücke zu schließen, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD).
Homosexuelle Männer in NS-Zeit sterilisiert
Die queere Opfergruppe habe "lange um ihre Anerkennung kämpfen" müssen, sagte Bas in ihrer Rede. Viele homosexuelle Männer seien in der NS-Zeit zu langen Haftstrafen verurteilt, zur Sterilisation gezwungen und oft auch in Konzentrationslagern ermordet worden, erinnerte sie. Doch "auch lesbische Frauen waren vor Verfolgung keineswegs sicher", fügte Bas hinzu.
Für eine lebendige Erinnerungskultur sei es wichtig, "dass wir die Geschichten aller Verfolgten erzählen. Ihr Unrecht sichtbar machen. Ihr Leid anerkennen", so Bas. Es könne keinen Schlussstrich geben. Sich mit der deutschen Vergangenheit und der Shoah auseinanderzusetzen heiße auch, Antisemitismus in jeder Form, Rassismus und der Diskriminierung von Minderheiten entschieden entgegenzutreten.
Seit 1871 wurde gemäß Paragraph 175 im Reichsgesetzbuch Geschlechtsverkehr zwischen Männern mit Gefängnis bestraft. Die Nationalsozialisten brandmarkten homosexuelle Männer mit einem sogenannten "rosa Winkel". Erst 1994 sei der Strafrechtsparagraf 175 vollständig gestrichen worden. "Es dauerte noch einmal viele Jahre, bis alle Urteile aufgehoben wurden", sagte die Bundestagspräsidentin.
- Zum Artikel: Ehrenzeichen für homosexuelles NS-Opfer August Gänswein
Holocaust-Überlebende Rozette Kats erzählt von ermordeter Familie
Auch die Holocaust-Überlebende Rozette Kats forderte in ihrer Rede dazu auf, alle Opfer der Nazis gleichermaßen in das Gedenken einzuschließen. Sie begrüßte ausdrücklich das Gedenken auch an die queeren Opfer des Nationalsozialismus, sie erkenne dabei "wichtige Gemeinsamkeiten mit meinem eigenen Leben". "Jeder Mensch, der damals verfolgt wurde, verdient achtungsvolle Erinnerung", sagte die 80-Jährige. "Jeder Mensch, der heute verfolgt wird, hat Anspruch auf unsere Anerkennung und unseren Schutz“, ergänzte sie.
Weitere Rednerinnen und Redner erinnerten an die Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus, deren Lebensgeschichten exemplarisch für die Verfolgung sexueller Minderheiten während des Nationalsozialismus sind. Der Aktivist Klaus Schirdewahn, der als Vertreter der queeren Community zu Wort kam, schilderte sein Doppelleben als Homosexueller in der Bundesrepublik, aus dem er sich erst spät lösen und zu seiner Identität stehen konnte.
Schirdewahn sagte, die Gedenkstunde sei für die queere Community ein Zeichen der Anerkennung und ein Signal an die Gesellschaft. Sie drücke die Trauer über das Leiden aus, das queeren Menschen von den Nazis angetan worden sei, mache aber auch deutlich, dass das Unrecht 1945 nicht endete und gebe den Betroffenen etwas von ihrer Würde zurück. Schirdewahn war 1964 als 17-Jähriger nach dem Strafrechtsparagrafen 175 verurteilt und erst 2017 rehabilitiert worden.
Scholz erinnert an historische Verantwortung
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erinnerte zum Jahrestag der Auschwitz-Befreiung an die Opfer des Nationalsozialismus. "Unvergessen ist das Leid von sechs Millionen unschuldig ermordeten Jüdinnen und Juden – genauso wie das Leid der Überlebenden", erklärte er via Twitter. Damit das "Nie wieder" auch in Zukunft Bestand habe, "erinnern wir am Holocaust-Gedenktag an unsere historische Verantwortung".
27. Januar 1945 – Rote Armee befreit Vernichtungslager Auschwitz
Am 27. Januar 1945 hatten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz im besetzten Polen befreit. Die Nazis hatten dort mehr als eine Million Menschen ermordet. Seit 1996 wird das Datum in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen. An vielen Orten werden an diesem Freitag zur Erinnerung Kränze niedergelegt.
Auschwitz-Komitee erinnert auch an russischen Angriffskrieg
Das Internationale Auschwitz-Komitee zog eine Parallele zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. "In diesem Jahr sind die Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager an diesem für sie immer wieder peinvollen Gedenktag mit neuen Schmerzen und Schrecken konfrontiert: In die Erinnerung an ihre ermordeten Familienmitglieder und Mithäftlinge mischt sich das Entsetzen über den Horror eines neuen Krieges in Europa", erklärte das Komitee.
Die Überlebenden von Auschwitz erinnerten sich voller Dankbarkeit an die Soldaten der Roten Armee, die sie befreit haben. "Umso mehr ist ihnen bewusst, dass in diesen Tagen die russische Armee in der Ukraine einen brutalen Angriffskrieg führt unter dem auch die Überlebenden des Holocaust in der Ukraine leiden, auf deren Erinnerungen neue Schreckensbilder und Traumata herabstürzen", heißt es in der Erklärung des Auschwitz-Komitees.
Mit Informationen von dpa, AFP und KNA
Zeitzeugin Hannah Malka im BR24-Gespräch
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