Als Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in Kiew eintrifft, glänzen die goldenen Türme des St. Michaelsklosters im Sonnenlicht, Menschen sitzen draußen in Cafés. Zugleich stehen zerschossene, demolierte Autos und Panzer auf dem Platz vor dem Kloster und zeugen vom Krieg. Das Militär ist omnipräsent, ebenso Sandsäcke, Luftalarm. Die Menschen haben gelernt, mit dem Krieg umzugehen, er ist ihr Alltag.
45 Millionen Euro für ukrainische Stromversorgung
Nur einen Tag vor dem Besuch der Bundesentwicklungsministerin griff Russland die Ukraine massiv mit Drohnen und Raketen an. Das Ziel: die Stromversorgung im Land zerstören. Auch während des Besuchs von Entwicklungsministerin Svenja Schulze in Kiew heulen die Sirenen auf. Sie ist trotzdem da. Die SPD-Politikerin will helfen, die Energieinfrastruktur wieder aufzubauen. Mit 45 Millionen Euro sollen beschädigte Teile des ukrainischen Stromnetzes repariert und Leitungen modernisiert werden.
Doch macht es Sinn, in Infrastruktur zu investieren, die wieder zerstört wird von Russland? Ja, meint Schulze, denn die Ukrainer bauen nach einer neuen Strategie auf: "Es ist deutlich schwieriger, dezentrale Strukturen zu zerstören, also dezentrale Windkraftanlagen, Solaranlagen – davon hat die Ukraine jetzt eine ganze Menge aufgebaut", so Schulze.
Das Dilemma des Wiederaufbaus
Der "Wiederaufbau", er bildet den roten Faden von Schulzes Reise – und birgt ein Dilemma: Rund elf Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind entweder an der Front, innerhalb des Landes vertrieben oder ins Ausland geflohen. Damit fehlen sie für den Wiederaufbau des Landes.
Für Schulze geht es daher um mehr als Geld, um mehr als Waffen: "Es werden hier Fachkräfte gebraucht, die Elektrizität wieder herstellen, die dafür sorgen, dass Wasser fließt, dass die Menschen ihr Leben hier weiterleben können. Und die Ärztinnen und Elektriker hier sind mindestens genauso wichtig wie die Panzer."
Die Kooperation zwischen Deutschland und der Ukraine ist deswegen auch auf Schulungen im Land ausgerichtet: neue Handwerker, Ingenieure, Elektriker. Die Reise der Entwicklungsministerin ist vor allem eine Vorbereitung auf die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine. Sie wird gemeinsam von Deutschland und der Ukraine im Juni in Berlin ausgerichtet. Schulzes Ziel: neue Unterstützer für die Ukraine zu gewinnen – vor allem für die ukrainischen Kommunen. Sie könnten den Wiederaufbau vorantreiben.
Klitschko in Kiew: "Sinnloser Krieg"
Für den Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, bedeutet Wiederaufbau auch Weitermachen. In seinem Amt sei das in Kriegszeiten oft kaum erträglich, betont er, etwa wenn er um die richtigen Worte ringen müsse, um Eltern vom Tod ihrer Kinder zu berichten. Klitschko spricht dann von einem "sinnlosen Krieg". Er deutet auf die Gedenkmauer für gefallene Soldaten in Kiew mit tausenden Fotos. Viele der Abgebildeten waren jünger als 30 Jahre. Und er "hasst" noch etwas, sagt er: "Krankenhäuser zu besuchen, Soldaten zu sehen, die schwer verletzt sind, amputierte Arme oder Beine haben."
In Bildern: Die Ukraine-Reise von Entwicklungsministerin Schulze
Kriegsverletzte: Neue Prothesenwerkstatt in Lwiw
Für Schulze wird das Leid des Kriegs am zweiten Tag ihrer Ukraine-Reise besonders deutlich. Rund sieben Stunden ist die Ministerin von Kiew wieder mit dem Zug Richtung Westen gefahren. In Lwiw besucht die SPD-Politikerin eine neue Prothesenwerkstatt und das daran angebundene Reha-Zentrum. Veteraninnen und Veteranen, Menschen, die durch Minen, Granaten oder eingestürzte Gebäude Beine oder Arme verloren haben, bekommen hier Hilfe. Deutschland hat den Bau des Zentrums mit 1,8 Millionen Euro unterstützt.
Das Problem: Es gibt zu viele Kriegsverletzte, zu wenige Prothesenmechaniker. Das soll sich mit der neuen Werkstatt ändern. 60 neue Fachkräfte werden hier ausgebildet. Die Produktion von Prothesen soll um das Dreifache erhöht werden. Etwa 1.200 Prothesen und Orthesen können nun pro Jahr hier gebaut werden. Es ist damit die größte Prothesenwerkstatt der Ukraine, die Schulze in Lwiw einweiht. Im dazugehörenden Reha-Zentrum werden Kriegsverletzte behandelt. Psychologen, Ärztinnen, Orthopäden und Physiotherapeutinnen arbeiten hier Hand in Hand.
Sparkurs: Entwicklungsministerin macht sich Sorgen
Am Ende ihres zweitägigen Ukraine-Besuchs wird deutlich: Svenja Schulze wollte mit ihrer Reise zwei Signale setzen. Eins an die Ukraine: Deutschland hilft. Das zweite an ihren Kollegen Lindner: es braucht Geld. Denn den Besuch der SPD-Politikerin in der Ukraine überschattet auch der sich abzeichnende Haushaltsstreit mit dem Bundesfinanzminister von der FDP. Der hat seinen Ressortkollegen einen rigiden Sparkurs für den Haushalt 2025 aufgetragen.
Für Schulze und ihr Haus wären Lindners Vorgaben mit bitteren Einschnitten verbunden. Schulze fordert 12,2 Milliarden Euro für ihren Etat im nächsten Jahr, bekommen soll ihr Ministerium 9,9 Milliarden Euro. Das geht aus einem Schreiben des Entwicklungsministeriums hervor, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Um der Ukraine weiterhin zu helfen, meldet das Ministerium Bedarf an verschiedenen Maßnahmen an: etwa an Klinikpartnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Krankenhäusern, am Wiederaufbau von Energieinfrastruktur und an Unterstützung von Binnenvertriebenen im Land.
Einfach klein beigeben wird die Entwicklungsministerin wohl nicht. Zumal sich die Ampel-Parteien in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, mindestens 0,7 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aufzuwenden. Entwicklungshilfeorganisationen warnen bereits, dass dieses Ziel mit den Sparvorgaben Lindners wohl nicht erreicht werde. Aus Sicht Schulzes ein fatales Signal, auch weil die Krisen weltweit zunähmen. "Wir sind jetzt in internen Verhandlungen in der Regierung", sagt Schulze, "und Herr Lindner weiß auch, wie wichtig das für uns ist, die Ukraine zu unterstützen. Aber klar mache ich mir Sorgen, ich sehe, was ich weniger machen kann, wenn weniger Geld da ist."
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