In der Schweiz stehen heute mehrere Abstimmungen an. Neben der Volksabstimmung über das Covid-Gesetz der Regierung geben die Bürgerinnen und Bürger auch ihr Votum über eine Initiative des Berufsverbands des Pflegepersonals ab.
"Damit wir für Sie da sind, wenn Sie uns brauchen – Ja zur Pflegeinitiative" steht auf dem Schild, das sich Pierre-Alain Meyer auf den Rücken geschnallt hat. Abstimmungswahlkampf auf dem Wochenmarkt in Genf. "Wenn ich die Ja-Stimmen voranbringe, halte ich es hier auch in der Kälte aus", sagt er und reibt sich die Hände warm. Seit über 30 Jahren arbeitet Pierre-Alain als Krankenpfleger in der Genfer Uniklinik. Was Pflegenotstand in der Schweiz bedeutet, weiß er nur zu gut. "Ungefähr 6.000 Pflegepersonal-Stellen sind unbesetzt. Also es gibt Geld dafür, die Budgets sind da, aber es gibt einfach nicht genug Personal", sagt er.
Viele Pflegekräfte geben den Job auf
Denn über 40 Prozent der Pflegefachkräfte steigen schon nach wenigen Jahren wieder aus. Auch in der reichen und wohlorganisierten Schweiz ist Pflege ein Knochenjob. Vor allem jetzt in der Pandemie, wo sich gerade wieder die Krankenhäuser füllen mit schwerkranken Covid-Patientinnen und Patienten.
"Die Erschöpfung ist enorm", sagt Pierre-Alain. "Körperlich und vor allem auch emotional." Natürlich seien Pflegekräfte ausgebildet, um Menschen in schwierigen Situationen zu begleiten. "Aber so brutal und intensiv wie das jetzt ist – das ist schon eine enorme, emotionale Belastung für meine Kollegen und mich."
Pandemie macht Bedeutung der Pflegeberufe bewusst
Die Pandemie hat auch in der Schweiz den Menschen bewusst gemacht, wie wichtig – und "systemrelevant" - die Pflegeberufe sind und: dass Applaus am Lockdownfenster nicht reicht; dass die Politik dringend etwas tun muss gegen den Pflegenotstand.
Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, sagt, dass man schon seit über zehn Jahren versuche, die Politik zum Handeln zu bewegen – für eine bessere Ausbildung und bessere Arbeitsbedingungen mit dem Ziel, die Pflegequalität zu sichern.
Umfragen sehen Mehrheit für Pflege-Initiative
Bleibt die Volksinitiative zur Verfassungsänderung. Und das könnte klappen. Nach Umfragen wollen die Schweizerinnen und Schweizer mit einer deutlichen 67 Prozent-Mehrheit der Initiative für "eine starke Pflege" zustimmen. Der Schweizer Regierung und dem Parlament gehen die Forderungen zu weit. Unter anderem halten sie es nicht für die Aufgabe des Bundes, Arbeitsbedingungen und Löhne zu regulieren, und fürchten eine Sonderstellung, wenn Pflegeberufe extra in der Verfassung erwähnt werden. Dass gegen den Pflegenotstand etwas unternommen werden muss, hat man aber auch in Bern begriffen.
Ein Gegenvorschlag des Parlaments verspricht Investitionen von einer Milliarde Franken in die Ausbildung von Pflegepersonal. Das sei zwar gut, reiche aber nicht, sagt die Pflegefachfrau Yvonne Ribi, denn es gehe eben nicht nur um die Ausbildung, sondern auch die Arbeitsbedingungen.
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