"Kommunalpolitik fängt da an, wo der Gullydeckel klappert", heißt es landläufig. Und: In der Kommunalpolitik gibt weniger die Partei den Ausschlag als der Kandidat. Beide Befunde spielen beim Erfolg der AfD im thüringischen Landkreis Sonneberg eine Rolle. Die Wahl Robert Sesselmanns zum bundesweit ersten Landrat der AfD ist eine Zäsur – sie hat bei näherer Betrachtung gleich mehrere Gründe, deswegen ist das Ergebnis wenig aussagekräftig für den Rest Deutschlands.
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Thüringer AfD: Seit Jahren mit gutem Stand
Obwohl die AfD in Thüringen vom dortigen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet wird, hat das der Partei in den Umfragewerten nicht geschadet. Die Einstufung scheint viele Bürger nicht zu beeindrucken. Auch interne Konflikte in der thüringischen AfD-Fraktion haben zu keinen nennenswerten Einbußen geführt. Trotzdem gilt die AfD im Landtag und in den Kommunen parteiintern als professionell aufgestellt.
Hinzu kommt, dass die Partei in Thüringen nicht mehr nur in Umfragen gut abschneidet, sondern auch in realen Ergebnissen: Bei der Bundestagswahl holte sie mit 24 Prozent von allen Parteien die meisten Zweitstimmen und gewann vier der acht Direktmandate für den Bundestag. Bei der Kreistagswahl 2019 stimmten 24 Prozent in Sonneberg für die AfD, sie hat dort mit neun Sitzen mehr als SPD, Grüne und FDP zusammen. Auch im Sonneberger Stadtrat stellt die AfD rund ein Viertel aller Mitglieder. All das schafft ein Umfeld, in dem der AfD-Kandidat Sesselmann gleich auf mehreren Ebenen unterstützt wurde.
Mit dem hohen Zuspruch auf kommunaler Ebene geht eine andere Rolle der AfD einher: weniger Fundamental-Opposition, mehr konkretes Arbeiten. Hier konnte sich die Partei bei vielen als Kraft etablieren, die sich um die Alltagssorgen der Menschen kümmert.
AfD-Kandidat hat Wähler nicht abgeschreckt
Rechtsanwalt, Ur-Sonneberger, Familienvater und vor Ort bekannt – das Format des AfD-Wahlgewinners Robert Sesselmann passte offensichtlich für viele Sonneberger mit dem Posten des Landrats zusammen. Bislang ist Sesselmann nicht mit schrillen Tönen aufgefallen. Schon bei der letzten Landratswahl erhielt der 50-Jährige fast 30 Prozent der Stimmen. Und: Sesselmann konnte in den letzten zwei Wochen noch zusätzliche Wähler von sich überzeugen. Erhielt er am 11. Juni 46,6 Prozent, so waren es in der Stichwahl nun 52,8 Prozent.
Geholfen haben könnte ihm auch eine Art Reflex vieler Sonneberger: Viele Bürgerinnen und Bürger fühlten den Wahlkreis in den bundesweiten Medien zu Unrecht an den Pranger gestellt, heißt es von Seiten der AfD. Selbst Thüringens Ex-CDU-Landesvorsitzender Mike Möhring räumt nach der Niederlage seines Parteikollegen ein, dass die große Anti-AfD-Allianz aller anderen Parteien dem CDU-Amtsinhaber nicht gerade geholfen haben könnte: "Wie kommt das bei den Wählern an, wenn alle anderen sich mit ihrer eigenen inhaltlichen Programmatik zurücknehmen, nur um die Partei AfD zu verhindern", sagt Möhring in einem ZDF-Interview.
Gleichzeitig wirft das Ergebnis auch ein schlechtes Licht auf den Unions-Kandidaten: Ihr Landrat Jürgen Köpper ist vor rund drei Monaten aufgrund einer Erkrankung des CDU-Vorgängers ins Amt gekommen. Er konnte die Bürger aber offensichtlich nicht ausreichend von sich überzeugen.
Ostdeutschland anderes politisches Pflaster
Dass die AfD in den ostdeutschen Bundesländern in nächster Zeit weitere Wahlerfolge erzielen kann, ist durchaus möglich. Ein "Durchmarsch", wie ihn sich manche AfD-Anhänger nun auch im Westen der Bundesrepublik erhoffen, ist aber alles andere als sicher. Ostdeutschland ist gesellschaftlich gesehen ein anderes Pflaster: Zivilgesellschaftliche Akteure wie die Kirchen sind traditionell in der Fläche kaum präsent. Nach dem Ende der DDR kam es mancherorts nicht zu den "blühenden Landschaften", die vom damaligen Kanzler Helmut Kohl prophezeit wurden.
Blickt man beispielsweise auf Thüringen, ist das BIP je Erwerbstätigem das geringste im bundesweiten Vergleich. Hoffnungen wurden enttäuscht. Mit den Preischocks bei Energie und Lebensmitteln kommt die derzeitige Rezession direkt im Geldbeutel an. Die etablierten Parteien konnten die Erwartungen vieler nicht erfüllen. Das hat die AfD schon lange erkannt und will den Frust aufgreifen und in Wählerstimmen ummünzen. In Sonneberg hat sie deshalb im Wahlkampf neben dem Heizungsgesetz auf andere bundesweite Themen wie Migration, Euro-Austritt oder Inflation gesetzt.
Stimmung gegen Ampel, AfD bundesweit im Aufwind
Seit Wochen befindet sich die AfD im Aufwind. Bundesweit kommt sie in Umfragen mittlerweile auf rund 20 Prozent. Die klare Abgrenzung zur Ampelregierung in Berlin, aber auch zum Regierungsbündnis in Erfurt bestehend aus Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen hilft der Rechtsaußenpartei im Wahlkampf. Die Wahl in Sonneberg könnte viele Urnengänger auch als eine Art Denkzettel gemeint haben. Lokale oder regionale Themen standen jedenfalls weniger im Fokus der Stichwahl.
Wenig Aussagekraft: Thüringen ist nicht Bayern
Folgt nun eine Art "Dammbruch" zugunsten der AfD? Davon ist Stand jetzt nicht auszugehen. Die Landtagswahl in Bayern findet unter gänzlich anderen Vorzeichen statt. Ein Erfolg in Thüringens kleinstem Landkreis sagt wenig über die Ergebnisse in kleinen oder großen Städten geschweige denn in einem ganzen Bundesland aus. Traditionell tut sich die AfD im urbanen Milieu besonders schwer.
Hinzu kommt die politische Konkurrenz durch konservative Parteien in Bayern: Die CSU schlägt seit jeher andere Töne an als ihre Schwesterpartei im Bund, ihre Verwurzelung auf dem Land macht es AfD-Kandidaten schwer, dort Boden zu gewinnen. Nur im Allgäu und in Niederbayern konnte die AfD in der Vergangenheit nennenswerte Wahlergebnisse erzielen. Und: Mit den Freien Wählern und ihrem obersten Wahlkämpfer Hubert Aiwanger haben die Rechtsaußen in Bayern einen Wettbewerber, der vor Klartext und populistischen Sprüchen nicht zurückschreckt. Derzeit bieten sich Freie Wähler und AfD in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen, beiden liegen derzeit bei zwischen elf und zwölf Prozent.
Motivationsschub für AfD-Mitglieder
Einen Effekt wird das Ergebnis in Sonneberg aber sicherlich haben: Für Wahlkämpfer der AfD ist der erste Posten auf exekutiver Ebene, wenn auch mit begrenzten Möglichkeiten, ein Prestigeerfolg. Die Mitglieder dürfte das motivieren und ihnen als Argument am Wahlkampfstand dienen. Innerhalb der Partei fühlen sich die Vertreter des offiziell aufgelösten völkisch-nationalen Flügels bestätigt. Sie fordern schon lange, ihrem Vorbild Björn Höcke in Thüringen in Sachen Rhetorik und Provokationen zu folgen.
Gespräch mit Johannes Reichart, BR-Redaktion Landespolitik, über AfD-Erfolg bei Landratswahl
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