Armut: Das bedeutet Mangel, Verzicht, Scham und auch schlechtere Zukunftschancen. In Deutschland gelten mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene als armutsgefährdet. Das ergab eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung. Demnach waren 2021 knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche und weitere rund 1,55 Millionen junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren betroffen. Die Lage habe sich durch aktuelle Krisen und Preissteigerungen noch verschärft, heißt es in der Studie.
Kinder von Alleinerziehenden besonders gefährdet
Als armutsgefährdet gelten Kinder und Jugendliche in Familien mit einem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens in Deutschland. Besonders häufig trifft es Jungen und Mädchen in alleinerziehenden Familien sowie Heranwachsende in Familien mit drei und mehr Kindern. Die große Betreuungsverantwortung mache es den Eltern in diesen Fällen oftmals unmöglich, voll erwerbstätig zu sein, so die Studie. Auch regionale Unterschiede seien erkennbar: Am niedrigsten falle die Armutsgefährdungsquote in Bayern aus, am höchsten in Bremen. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen liege etwa im Mittelfeld.
Ampel-Koalition plant Kindergrundsicherung ab 2025
Viele dieser jungen Menschen benötigten staatliche Hilfen, um sich über Wasser zu halten, heißt es weiter in der Studie. Die vom Bund angekündigte Kindergrundsicherung müsse "schnellstmöglich" und mit der erforderlichen Ausstattung beschlossen werden. Zentraler Maßstab müsse sein, dass die Kindergrundsicherung Armut "wirksam vermeidet", fordert die Stiftung. Die Ampel-Koalition strebt eine Einführung im Jahr 2025 an. Staatliche Leistungen für Kinder - Kindergeld, Kinderzuschlag, Leistungen für Kinder im Bürgergeldbezug, Zuschüsse für Schul- und Freizeitaktivitäten oder steuerliche Kinderfreibeträge - sollen darin zusammengefasst und unbürokratisch ausgezahlt werden.
Anstieg von Kindern und Jugendlichen in Hartz-IV-Haushalten
Auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit nahmen die Forschenden auch in den Blick, wie viele armutsgefährdete junge Menschen schon jetzt Leistungen beziehen. Demnach stieg die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Hartz-IV-Haushalten leben, in Deutschland zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder an. Unter den von Armut bedrohten Kindern und Jugendlichen erhielten im Sommer 2022 rund 1,9 Millionen junge Menschen unter 18 Jahren Grundsicherung nach Sozialgesetzbuch (SGB) II – eine deutschlandweite Quote von 13,9 Prozent. Bei jungen Erwachsenen bis 24 Jahren waren es "nur" rund 432 000 Personen – eine Quote von 7,1 Prozent. Hier sind aber laut Stiftung andere Unterstützungen wie BAföG, Wohngeld oder Ausbildungsbeihilfen unberücksichtigt.
Der Anstieg der Kinderarmut, gemessen am Bezug von Hartz-IV, sei auch auf Fluchtbewegungen wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zurückzuführen. Geflüchteten aus der Ukraine sowie deren Familien stehen seit Juni vergangenen Jahres Hartz-IV-Leistungen zu. Auch Flüchtlingskinder hätten laut der UN-Kinderrechtskonvention einen ebenso großen Anspruch auf "gutes Aufwachsen und Teilhabe", fügte die Stiftung an.
Wohlfahrtsverband fordert höhere Grundsicherung
In Reaktion auf diese Zahlen hat der Paritätische Wohlfahrtsverband seine Forderung bekräftigt, Grundsicherungsleistungen, also das Bürgergeld als Hartz-IV-Nachfolger, sofort um mindestens 200 Euro pro Monat anzuheben. Die hohe Zahl armutsgefährdeter Kinder sei für ein Land mit der weltweit viertstärksten Wirtschaftskraft ein Skandal, betont der Verband. "Kinderarmut ist kein Schicksal, sondern Resultat jahrzehntelanger politischer Unterlassungen", kritisiert Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. "Durch armutspolitische Ignoranz und Tatenlosigkeit werden Millionen Kinder einer unbeschwerten Kindheit beraubt und die Zukunft dieser Gesellschaft als guter Wirtschafts- und Lebensstandort gefährdet."
Die von der Koalition aktuell vorangetriebene Kindergrundsicherung sei zur Bekämpfung der Kinderarmut von herausragender Bedeutung. Darüber hinaus seien erhebliche Investitionen in Bildung und Jugendhilfe erforderlich. Damit armutsgefährdete Kinder und Jugendliche an all dem teilhaben können, was auch für andere Kinder selbstverständlich ist, seien jedoch auch kurzfristige Lösungen und Hilfen nötig. "Man kann es drehen und wenden wie man will: Es gibt keine armen Kinder, es gibt nur arme Familien und gegen Armut hilft vor allem Geld", so Schneider.
Mit Informationen von dpa und AFP.
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