Tief in der Nacht, Stunden bevor der Prozess am 6. Mai 2013, einem Montag, begann, bildete sich eine Warteschlange aus normalen Zuschauern und Medienvertretern vor dem Münchner Strafjustizzentrum an der Nymphenburgerstraße. An der Straße waren auf einer Länge von mehreren hundert Metern Übertragungswagen geparkt. Vom Prozessbeginn gegen Beate Zschäpe, einzige Überlebende der rechtsextremen Terrorzelle, und mehrere andere Angeklagte wurde weltweit berichtet. Es gab eine Demonstration vor dem Gerichtsgebäude, bei der lückenlose Aufklärung gefordert wurde. Politiker kamen auf den Gerichtsvorplatz, um sich zur Bedeutung des Verfahrens zu äußern, über das Karl Huber, damals Präsident des Oberlandesgerichts, vorab gesagt hatte, es werde ein "ganz normaler Strafprozess.“
Warum in München?
Fünf der zehn NSU-Morde wurden in Bayern begangen – drei in Nürnberg und zwei in München. Deshalb wurde München, dessen Oberlandesgericht einen für solche Verfahren zuständigen Staatsschutzsenat hat, zum Schauplatz des wichtigsten deutschen Terrorismus-Prozesses seit der Zeit der Roten Armee Fraktion. Mit der organisatorischen Vorbereitung des Verfahrens tat sich die Münchner Justiz teils schwer. Selbst der größte geeignete Verhandlungsort, der Saal A 101 des Strafjustizzentrums, bot, auch nach einem Umbau, nur begrenzten Platz für die vielen Verfahrensbeteiligten und das große öffentliche Interesse.
Prozess verzögerte sich
Die Zahl der zugelassenen Pressevertreter wurde deshalb auf 50 begrenzt. Das Gericht vergab die Plätze, nach dem sogenannten "Windhundprinzip“, an die Journalisten, die sich am schnellsten anmeldeten. Türkische Medien gingen leer aus. Das sorgte für öffentliche Empörung, denn acht der Mordopfer hatten türkische Wurzeln. Das Bundesverfassungsgericht ordnete eine Neuvergabe der Presseplätze an. Sie wurden schließlich verlost. Der Prozessbeginn verzögerte sich um drei Wochen.
Hauptangeklagte Zschäpe
Als es dann losging, an jenem 6. Mai, richtete sich das öffentliche Interesse vor allem auf Beate Zschäpe. Sie hatte mit den Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt und nach Ansicht der Bundesanwaltschaft, deren Taten, die Morde und Sprengstoffanschläge aus rassistischen Motiven, gebilligt und mit ermöglicht. Als Zschäpe am ersten Tag des Prozesses in den Gerichtssaal geführt wurde, dauerte das Blitzlichtgewitter der Fotografen eine gefühlte Ewigkeit. Die Frau mit den langen dunklen Haaren trug einen schwarzen Hosenanzug – "Der Teufel hat sich schick gemacht“ – titelte die BILD-Zeitung.
Mammutverfahren
Zusammen mit Zschäpe auf der Anklagebank: vier Männer, denen unterschiedliche Unterstützungs-Taten für den NSU zur Last gelegt wurden. Mehr als 90 Angehörige der Mordopfer und Überlebende der Sprengstoffanschläge waren als Nebenkläger zugelassen. Dass der Prozess ein Mammutverfahren werden und Jahre dauern würde, zeichnete sich schon vorher ab. Die Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft füllten zu Prozessbeginn rund 650 Aktenordner, am Ende waren es 1200 Ordner. Der größte Rechtsterrorismus-Prozess in der bundesdeutschen Geschichte dauerte mehr als fünf Jahre und wenige Monate nach dem Urteil schätzte das Gericht die Kosten auf bis zu 37 Millionen Euro.
Auch Rolle des Staates Thema
Nach Prozessbeginn standen bald die Morde der Terrorzelle im Mittelpunkt der Beweisaufnahme. Wenn Angehörige der Opfer und andere Zeugen, die Taten schilderten, zog das Grauen in den Gerichtssaal ein, wurde deutlich wie sehr die Angehörigen, auch viele Jahre danach, noch unter den Taten und darunter litten, dass zum Teil sie selbst verdächtigt wurden. Dass die Ermittler einen möglichen fremdenfeindlichen Hintergrund der Taten, trotz der ausländischen Herkunft der meisten Mordopfer, zwar erwogen, im Ergebnis aber verwarfen und stattdessen mögliche kriminelle Verstrickungen der Mordopfer als Mordmotive sahen, wurde im Prozess ebenso Thema wie die Rolle der Verfassungsschutzbehörden. Die NSU-Terroristen lebten jahrelang unentdeckt im Untergrund, obwohl es in ihrem Umfeld Informanten der Sicherheitsbehörden gab. Das Gericht, unter dem Vorsitz des erfahrenen Richters Manfred Götzl, führte die Beweisaufnahme sehr genau durch, ging zahllosen Beweisanträgen nach und verwendete unter Anderem viel Zeit, um die Herkunft der Ceska-Pistole zu klären, mit der die meisten NSU-Morde begangen wurden. Das Gericht konzentrierte sich darauf, die angeklagten Sachverhalte aufzuklären. Das ging vielen Nebenklägern nicht weit genug.
Dauerthema: Zschäpe und ihre Anwälte
Die Beweisaufnahme zog sich auch durch den Streit zwischen Beate Zschäpe und ihren Anwälten in die Länge. Zschäpe versuchte das Team, mit dem sie das Verfahren begann, loszuwerden und durch andere Anwälte zu ersetzen. Das Gericht ließ das nicht zu, erlaubte der Angeklagten aber ihr Verteidigerteam zu erweitern. Zschäpe äußerte sich lange nicht zu den Vorwürfen der Anklage und brach ihr Schweigen erst mehr als drei Jahre nach Prozessbeginn, um sich dann als reine Mitläuferin darzustellen, die die Taten von Mundlos und Böhnhardt abgelehnt habe.
Urteile nach mehr als fünf Jahren
Am 11. Juli 2018, nach 438 Verhandlungstagen, verkündete das Gericht die Urteile. Beate Zschäpe wurde als Mittäterin bei den Morden, Bombenanschlägen und Überfällen sowie wegen der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung NSU zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt. Die vier mit angeklagten NSU-Helfer erhielten Haftstrafen, die zum Teil bereits durch die Untersuchungshaft abgegolten waren.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!