Der Oberpfälzer Alois Mühlbauer ist seit 30 Jahren Lkw-Fahrer bei der Firma Dischner in Weiding. Er hat den Wandel in der Branche miterlebt. Als er anfing, war er stolz darauf, Trucker zu sein und hat vergleichsweise gut verdient. Heute sagt er: "Das war ein Traumjob am Anfang, ja. Aber ich sag immer so: Jetzt nach 30 Jahren – der Traum ist weg und der Job ist geblieben."
Die schlechten Arbeitsbedingungen zehren an seinen Nerven: 13 Stunden Tage sind normal für ihn. Dazu kommt das Nomadenleben, immer weg von Zuhause. Vom Aufwachsen seines Sohnes hat er nicht viel mitbekommen.
Lkw-Parkplätze sind Mangelware
Sein Alltag spielt sich auf wenigen Quadratmetern Fahrerkabine ab. Vor allem die tägliche Parkplatzsuche macht ihm zu schaffen. Eine schier unlösbare Aufgabe. Denn wenn die Lenkzeit nach einem langen Arbeitstag zu Ende geht, wird es richtig stressig. Oft sucht er zwei Stunden und mehr nach einem Stellplatz.
Gemäß einer Studie des Bundesamts für Verkehrswesen aus dem Jahr 2018 fehlten damals 23.200 Lkw-Parkplätze. Und weil der Warenverkehr auf den Straßen immer weiter zunimmt, hat sich die Situation noch verschärft: Branchenverbände sprechen inzwischen von rund 40.000 fehlenden Lkw-Abstellmöglichkeiten in Deutschland. Besonders schlimm ist es in Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Der Beruf wird immer unattraktiver
Die Mautstatistik des Bundesamtes für Güterverkehr zeigt, dass der Anteil deutscher Speditionen auf den Straßen seit Jahren sinkt. Speditionen aus Polen, Rumänien oder Litauen können Transporte viel günstiger anbieten. So haben Transportunternehmen aus osteuropäischen EU-Ländern mittlerweile über 40 Prozent des europäischen Marktes erobert. Die Fahrer stammen zunehmend aus Ländern außerhalb der EU wie Belarus, Kasachstan oder der Ukraine. In jüngster Zeit haben 228.000 Fahrer aus sogenannten Drittstaaten eine EU-Arbeitserlaubnis erhalten. Das belegen Zahlen der EU-Kommission. Denn der Beruf des Fernfahrers ist mittlerweile so unattraktiv geworden, dass es auch in den osteuropäischen EU-Ländern immer schwieriger wird, neue Fahrer zu finden.
Oft ist es kaum möglich Lenk- und Ruhezeiten korrekt einzuhalten, denn die einzige Chance, stehen zu bleiben, ist der Seitenstreifen. Eine lebensgefährliche Situation für die Fahrer. Für den Oberpfälzer Alois Mühlbauer kommt das nicht infrage: "Da würd ich mich nie hinstellen. Lieber fahr ich über die Fahrzeit und dann sollen sie mich bestrafen dafür, dass ich einen sicheren Parkplatz will."
Ärger im Gewerbegebiet
Doch was tun? Viele fahren in ihrer Not in die Gewerbegebiete nahe der Autobahn. Ohne Mülleimer, Dusche und Toilette. Aktuell gibt es deshalb in Garching Zoff. Denn der Müll wird oft einfach aus dem Fenster entsorgt und die Notdurft im angrenzenden Vogelschutzgebiet verrichtet. Rad- und Fußwege werden als Stellplätze für die 40-Tonner missbraucht. Dabei werden häufig Straßenlaternen umgefahren. Die Gemeinde will nun Leitplanken errichten, um Abhilfe zu schaffen.
Doch das Problem wird dadurch nicht gelöst, sondern nur verlagert. Der Staat kommt bei der Schaffung neuer Lkw-Abstellplätze einfach nicht hinterher. Das Bundes-Verkehrsministerium setzt daher inzwischen auch auf privatwirtschaftliche Lösungen und hat dafür 90 Millionen Euro bereitgestellt.
Parkplatz-App
Denise Schuster hat das Startup "Park your Truck" gegründet. Sie betreibt Büros in Dessau und München. Ihre Idee: Parkflächen in Autobahnnähe, die bereits versiegelt und Lkw-tauglich sind, sollen intensiver genutzt werden. Oft ist eine Mehrfach- oder Zwischennutzung möglich – z.B. an Fußballstadien oder Messehallen. Denise Schuster sucht solche Flächen und schließt Verträge mit den Besitzern ab. Per App können Speditionen dann einen Stellplatz für ihre Fahrer buchen. Dadurch ist mehr Parkfläche im Angebot, ohne dass immer neu gebaut werden muss.
Mittelständische Speditionen unter Druck
Alois Mühlbauers Arbeitgeber, die Spedition Dischner in Weiding, sucht – wie alle Speditionen – händeringend nach Fahrern: "Früher standen die Schlangen bis zur Toreinfahrt", so Josef Dischner. "Jetzt sind wir froh, wenn ab und zu mal jemand vorbeischaut und sich über das Profil eines Berufskraftfahrers überhaupt informiert und nach den Arbeitsbedingungen fragt." Früher gab es auch noch Springer, die Urlaubs- und Krankheitsvertretung gemacht haben. Heute bleiben die Lkw in solchen Situationen immer öfter am Hof stehen.
Mittelständische Spediteure in Westeuropa stehen unter großem Wettbewerbsdruck. Wie sollen hiesige Betriebe mithalten mit Dumpinglöhnen, die oft illegalerweise vor allem bei ausländischen Fahrern gezahlt werden? Vorschriften und Regelungen gibt es durchaus. Doch werden diese auch umgesetzt? Gibt es genügend Kontrollen, um Schlupflöcher zu schließen und Wettbewerbsnachteile zu verhindern?
Die Politik will gegensteuern
Mit dem sogenannten Mobilitätspaket möchte die EU einen sicheren und sozial verantwortlicheren Straßentransportsektor schaffen, also die Arbeitsbedingungen und Entlohnung der Fahrer verbessern und illegale Praktiken bekämpfen. Im Februar 2022 sind weitere Regelungen aus dem Paket in Kraft getreten. Grenzübertritte müssen jetzt mit dem digitalen Fahrtenschreiber aufgezeichnet werden, um sie besser kontrollieren zu können. Zudem gibt es eine Rückkehrpflicht für Lkw in ihr jeweiliges Heimatland spätestens alle acht Wochen. Maßnahmen, die helfen sollen, Konkurrenz durch Dumpinglöhne zukünftig einzuschränken. Doch damit die Maßnahmen wirken, müssen sie kontrolliert werden. Und das scheitert oft am fehlenden Personal.
Belgiens Anti-Sozialdumping-Polizist
Schon seit Jahren setzt sich der belgische Hauptinspektor Raymond Lausberg gegen das Sozialdumping auf Europas Straßen ein. Ihm tun die osteuropäischen Fahrer leid, die oft monatelang auf den westeuropäischen Autobahnen unterwegs sind, ohne nach Hause zu kommen und oft auch ohne die ihnen in der EU zustehenden Mindestlöhne zu erhalten. Merkt er schon, dass das EU-Mobilitätspaket greift? "Im Gegenteil, die Unternehmer werden dreister, die werden dermaßen dreist, die nehmen es einfach in Kauf, ab und zu einmal kontrolliert zu werden."
Raymond Lausberg macht sich keine Illusionen. Er ist bei den Unternehmen als eiserner Kämpfer gegen das Sozialdumping gefürchtet, doch alleine sein Revier passieren täglich über 8.000 Lkw. Das Pensum, das er und sein Team im ganzen Jahr bewältigen, sind gerade einmal 3.500 Kontrollen. Die Chancen, nicht erwischt zu werden, sind - wie in der gesamten EU - auch in Belgien dementsprechend groß. Für Raymond Lausberg ein unerträglicher Zustand: "Hier wird das Recht mit Füßen getreten und wir schauen zu. Das ist, was mich im Moment am meisten aufregt, dass die Behörden zuschauen."
Ein Regelwerk mit Schlupflöchern
Nach dem Willen der EU soll ein Fahrer möglichst alle vier Wochen zurück nach Hause können. Doch es genügt auch, wenn der Lkw zum Sitz des Unternehmens zurückgefahren wird. So hat als Reaktion auf das EU-Mobilitätspaket das niederländische Transportunternehmen Reining eine deutsche Niederlassung in der Nähe von Mönchengladbach eröffnet. Auf dem Gelände sind als Unterkünfte für die Fahrer Wohn-Container aufgestellt. Geschäftsführer Gerrit Hes sagt: "Fahrer, die mehrere Wochen hintereinander arbeiten, bekommen hier die Gelegenheit, jedes zweite Wochenende bei uns auf dem Gelände zu verbringen."
Ihre Fahrer kämen vor allem aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien und den Nicht-Schengen-Ländern. Für sie lohne es sich nicht, alle vier Wochen nach Hause zu fahren.
EU-Staaten versagen bei der Durchsetzung geltender Normen
Der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema kämpft schon lange darum, die Situation der Kraftfahrer zu verbessern. Er und sein Team haben aufgedeckt, dass mangels Kontrollen insbesondere Fahrer aus Nicht-EU-Ländern häufig Opfer illegaler Praktiken werden. Fast jedes Wochenende ist er auf Europas Rastplätzen unterwegs und sammelt im Gespräch mit Fahrern Beweise. Ausdrücklich lobt er allein den Einsatz der Belgier im Kampf gegen Sozialdumping: "In vielen Mitgliedsländern - in den Niederlanden und in Deutschland auch - machen die Behörden gar nichts und hier in Belgien zeigt man den anderen Behörden den Weg, wie das sein muss".
Aufgrund seiner Recherchen gab es im Dezember 2021 im belgischen Hafen Zeebrügge eine Razzia. Wegen Verdachts auf Menschenhandel, der schlimmsten Form der Ausbeutung wirtschaftlich abhängiger Personen, wurden elf Autotransporter beschlagnahmt. Beladen waren sie mit Neuwagen von Mercedes, Tesla und BMW. Schon 2018 hat Edwin Atema deutsche Autokonzerne darüber informiert, dass die Billigpreise für ihre Transporte auf Kosten der Fahrer erreicht werden. Bislang bekam er dazu keine Reaktion.
Das neue Lieferkettengesetz könnte etwas ändern
Ganz besonders im Visier hat Edwin Atema derzeit deutsche Autokonzerne. Trotz seines Erfolgs in Belgien sagt Atema: "Wir haben keine Hoffnung, dass die EU irgendetwas lösen wird. Wir arbeiten daran, dass die Unternehmen an der Spitze der Lieferkette ihre Verantwortung wahrnehmen."
Die Autoindustrie ist ein Schwergewicht für die europäische Transportbranche. Würde sie ihre eigenen Vorgaben beachten, könnte sich einiges ändern. Bislang haben sich die Autokonzerne in ihren sozialen Richtlinien auf freiwilliger Basis zur Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten verpflichtet. Das Sorgfaltspflichtengesetz zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Edwin Atema setzt große Hoffnung auf das Gesetz, das es ermöglicht, Fahrerrechte auch über den Auftraggeber einzuklagen. Noch ist Deutschland hier Vorreiter, doch ein EU-weites Lieferkettengesetz soll folgen.
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