Offenbar mit stockenden Geländegewinnen konfrontiert haben die russischen Streitkräfte den Beschuss ukrainischer Städte nochmals verstärkt. Unter anderem schlugen am Dienstag in der belagerten Hafenstadt Mariupol zwei "extrem starke Bomben" ein, wie die Stadtverwaltung mitteilte.
"Es ist klar, dass die Belagerer sich nicht für die Stadt interessieren, sie wollen sie auslöschen, in Asche verwandeln", erklärte die Behörde. Die beiden besonders starken Bomben seien während einer Evakuierungsaktion eingeschlagen.
"Eiskalte Höllenlandschaft"
In Mariupol sind nach Behördenangaben noch mehr als 200.000 Menschen eingeschlossen. Die Lage ist nach wochenlangem russischen Beschuss und Belagerung dramatisch. Bewohner, denen die Flucht gelang, berichteten nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch von einer "eiskalten Höllenlandschaft voller Leichen und zerstörter Gebäude".
Tausende Menschen harren den Angaben zufolge in unterirdischen Räumen aus - ohne Wasser, Nahrung, Strom und Kommunikationsmöglichkeiten. Nach Angaben des von Human Rights Watch zitierten stellvertretenden Bürgermeisters starben in Mariupol bereits mehr als 3.000 Zivilisten. In die strategisch wichtige Hafenstadt sind bereits russische Panzer vorgedrungen, vollständig erobert wurde sie aber von den Angreifern noch nicht.
Nach US-Erkenntnissen wird Mariupol vom Asowschen Meer aus beschossen. Etwa sieben russische Schiffe seien in dem Gebiet im Einsatz, darunter ein Minensuchboot und auch Landungsschiffe, sagte ein ranghoher Mitarbeiter des Pentagons.
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Klitschko: "Wir werden uns niemals ergeben"
Auch den offensichtlich geplanten Belagerungsring um Kiew konnte die russische Armee weiterhin nicht schließen. Die Soldaten ständen etwa 30 Kilometer nordöstlich und 15 Kilometer nordwestlich der Stadt, verlautete aus US-Verteidigungskreisen. Russland habe nach wie vor Schwierigkeiten, seine Truppen mit Lebensmitteln und Treibstoff zu versorgen. Außerdem gebe es Hinweise, dass einige Einheiten nicht über die richtige Ausrüstung für kaltes Wetter verfügten und Erfrierungen erlitten hätten.
Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, betonte in der ukrainischen Hauptstadt: "Im schlimmsten Fall werden wir sterben, aber wir werden uns niemals ergeben." Das sagte Klitschko in einer Video-Ansprache vor dem Europarat. "Als Bürgermeister von Kiew verspreche ich Euch eines: Die Russen werden niemals in Kiew einmarschieren."
Karte: Die militärische Lage in der Ukraine
Gegenangriffe der Ukraine
Dem russischen Versuch wiederum, entlang der Schwarzmeerküste zur Metropole Odessa vorzudringen, standen weiterhin die Verteidiger der Stadt Mykolajiw entgegen, die noch nicht gänzlich von russischen Truppen eingeschlossen ist.
Zudem startete die ukrainische Armee nach US-Angaben in einigen Regionen Gegenangriffe. Diese hätten vor allem im Süden der Ukraine bereits zu Gelände-Rückeroberungen geführt, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby dem Fernsehsender CNN.
Biden: "Putin steht mit dem Rücken zur Wand"
Der offenbar stockende Vormarsch und die dabei erlittenen Verluste der russischen Truppen nähren Befürchtungen einer Zunahme der Brutalität des Krieges. US-Präsident Joe Biden betonte: "Putin steht mit dem Rücken zur Wand". "Und je mehr er mit dem Rücken zur Wand steht, desto härter wird die Taktik, die er anwenden wird."
Russlands Präsident Wladimir Putin ziehe auch den Einsatz biologischer und chemischer Waffen "in Erwägung", warnte Biden. Sollte dies wirklich geschehen, werde es eine "starke" Reaktion der Nato geben.
Kreml: Atomwaffen-Einsatz nur bei "existenzieller Bedrohung"
Zu den ebenfalls immer wieder als Drohkulisse aufgebauten russischen Atomwaffen sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow im US-Fernsehsender CNN, der Einsatz sei nur dann möglich, wenn sich Russland in seiner Existenz bedroht fühle. "Wenn es also eine existenzielle Bedrohung für unser Land gibt, dann kann sie (die Atombombe) in Übereinstimmung mit unserem Konzept genutzt werden."
Bei den Verhandlungen der beiden Kriegsparteien stand derweil weiter keine Einigung in Aussicht. Peskow beklagte langsame und nicht ausreichend "substanzielle" Gespräche. Zum Inhalt machte er keine Angaben, weil dies "den Verhandlungsprozess nur noch weiter behindern würde".
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schlug Papst Franziskus als Vermittler vor. Zuvor hatte er betont, sein Land werde nicht kapitulieren. Er zeigte sich allerdings bereit, mit Putin über einen "Kompromiss" in Bezug auf Gebiete in der Ostukraine und die Krim zu sprechen. Der französische Präsident Emmanuel Macron telefonierte erneut mit Putin und Selenskyj. Es sei keine Einigung erzielt worden, wie die französische Präsidentschaft mitteilte, aber Macron sei "weiterhin von der Notwendigkeit überzeugt, seine Bemühungen fortzusetzen" und er stehe an der Seite der Ukraine.
Westen will neue Sanktionen verhängen
Der Westen wird nach Angaben der US-Regierung neue Sanktionen gegen Russland verhängen. Der Nationale Sicherheitsberater von Biden, Jake Sullivan, kündigte für Donnerstag ein "weiteres Sanktionspaket" gegen Moskau an. Biden wird an diesem Tag in Brüssel an Gipfeltreffen von Nato, G7 und EU teilnehmen. Sullivan sagte, nicht nur sollten neue Sanktionen verhängt werden. Zugleich sollten bereits bestehende Strafmaßnahmen verschärft werden, um zu verhindern, dass diese umgangen werden könnten.
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