Die südostukrainische Hafenstadt Mariupol ist das Kriegssymbol schlechthin. Ein "Pars pro toto" für die völlige Zerstörung ganzer Städte durch massive russische Angriffe. Symbol eines Krieges, den Moskau euphemistisch "Spezialoperation" nennt.
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Zahl der Toten wird auf mindestens 20.000 geschätzt
Wochenlang wird die Wirtschaftsmetropole unter massiven Beschuss genommen. Wie viele Menschen genau bei den Bombardements und dem Feuer der russischen Infanterie getötet wurden, ist unbekannt. Schätzungen gehen allerdings davon aus, dass mindestens 20.000 Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt ums Leben kamen.
Vor dem Kriegsausbruch war Mariupol mit seinen über 440.000 Einwohnern ein wichtiges Handelszentrum. Von hier aus exportierte die Ukraine Eisen, Stahl, Getreide und Maschinen beinahe in die ganze Welt. Damit war Mariupol einer der wichtigsten ukrainischen Häfen am Asowschen Meer - und dementsprechend auch beim russischen Feldzug strategisch von Bedeutung.
Putin verwandelt Mariupol in Wüste der Zerstörung
Die Verteidiger der Stadt verschanzen sich im Stahlwerk Asowstal. Ein gewaltiger Industriekomplex der Wochen lang umkämpft bleibt, bis die letzten ukrainischen Soldaten schließlich im Mai 2022 auf Befehl aus Kiew ihren Kampf aufgeben und in russische Gefangenschaft geraten - so wie etwa Mychajlo Dianow.
"Einer unserer Kommandeure hat uns zusammengerufen und gesagt: 'Leute, wir müssen uns ergeben.' Aber wir sagten: 'Nein, wenn wir sowieso sterben, dann lasst uns mehr Russen mit in den Tod nehmen.' Er sagte: Das sei ein Befehl des Präsidenten der Ukraine und sein Befehl werde nicht diskutiert. Der Befehl lautete die Verteidigung der Stadt Mariupol zu beenden und die Waffen den Kommandeuren zu übergeben", erzählt Dianow. "Wir haben uns nicht ergeben, denn ich habe meine Waffe dem Kommandeur gegeben und nicht dem Feind."
Mitte September 2022 sollen nach übereinstimmenden Informationen aus Kiew und Moskau 215 ukrainische Gefangene, darunter hochrangige Kommandeure der Kämpfer aus dem Asow-Stahlwerk gegen 55 russische Militärs ausgetauscht worden sein.
Auf Putins Befehl wird Mariupol binnen zwei Monaten in eine Wüste der Zerstörung verwandelt. Die Angreifer machen vor nichts Halt. Bombardiert werden Industrieanlagen, Wohnhäuser, selbst Krankenhäuser und Kultureinrichtungen - darunter auch das Dramatheater von Mariupol. Ein Kriegsverbrechen, eines von mittlerweile so vielen. Mitte März 2022 wird das Theater bei einem verheerenden Luftangriff größtenteils zerstört. Mehrere hundert Zivilisten hatten in dem Gebäude Schutz gesucht, viele von ihnen kommen bei dem Bombardement ums Leben.
Das Inferno von Mariupol als Theaterstück
Die Schauspieltruppe "Conception" hat das Inferno von Mariupol zu einem Theaterstück verarbeitet. Ein besonders unter die Haut gehendes Schauspiel. Zumal alle im Ensemble aus Mariupol stammen. Die bedrückenden Szenen des Stücks basieren auf ihren eigenen Erlebnissen.
Sie erzählen vom traumatischen Überleben, unter anderem im Keller des Theaters von Mariupol. Für die Schauspieler, sagt einer von ihnen, Dmytro Grizenko, sei das jedes Mal ein Kraftakt. "Es ist wie jedes Mal schwierig, weil es für uns keine Aufführung ist, denn das haben wir erlebt und erleben es immer noch," so Grizenko. "Es bleibt uns erhalten, auch wenn das Publikum den Zuschauerraum verlässt."
Das Theater von Mariupol war eine Informationsbörse, auch für lebensrettende, aber gefährliche Evakuierungen aus der belagerten Stadt. Denn Fluchtkorridore werden von russischer Seite aus immer wieder beschossen. "Djeti – Kinder", das malen Theatermitarbeiter unübersehbar groß auf die Plätze vor das Gebäude.
Dann kommt der 16. März und russische Flugzeuge bombardieren das Theater. "Niemand hat etwas verstanden. Schreien. Über uns in der Aula wohnten Menschen die um Hilfe gerufen haben und von diesem Moment an erinnere ich mich an nichts mehr", sagt Vera Lebedynska, eine ehemalige Schauspielerin des Mariupoler Theaters. "Ich erinnere mich nicht daran, wie lange es gedauert hat. Ich habe den Eindruck, dass ich erstarrte und einfach so dastand. Dann hat einer gesagt: Leute, es gibt kein Theater mehr, es gibt nur noch Leichen. Schnell weg."
"Ein Theater ist ein Symbol des Widerstands"
Lebedynska ist eine von mehreren Schauspielerinnen des Mariupoler Theaters die nun ganz im Westen der Ukraine, in Uschgorod auf der Bühne stehen. Regisseurin Ljudmilla Kollosowitsch hat im Theater Uschgorod schon mehrere Stücke inszeniert. Ihre Erfahrungen mit einem Teil des Ensembles seien für sie schockierend gewesen, meint sie rückblickend.
"Ein Theater ist ein Symbol des Widerstands, es ist ein Symbol der Unbezwingbarkeit," sagt Kollosowitsch. "Wir wurden bombardiert, völlig zerstört, aber wir sind in Uschgorod wieder lebendig, produzieren Stücke und reisen zu Festivals ins Ausland. Unser Theater in Mariupol ist gestorben, aber jetzt lebt das Theater in Uschgorod weiter. Wir werden ein neues schaffen mit einer ukrainischen Haltung."
Während Russland aus dem besetzen Mariupol auf zynische Weise nunmehr eine russische Stadt machen will, ist der Verlust der Stadt für die Ukrainer eine tiefe Kriegswunde.
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