Es ist dunkel. Ein hoher Berg aus alten Christbäumen und Balken brennt. Die Flammen greifen nach der Hauptperson: der Funkenhexe. Sie steht, dem Allgäuer Brauch nach, für den kalten und rauen Winter. Wenn sie fällt, grölt die Menge. So läuft ein ganz normales Funkenfeuer im Allgäu ab. "Das finde ich mittlerweile einfach makaber und kränkend", sagt Elisabeth Brock.
Frau Brock will uns den Spaß verderben
Seit 40 Jahren kritisiert sie die Hexenverbrennung beim Funkenfeuer. Die heute 77-Jährige erinnert sich noch genau an den entscheidenden Moment: "Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, dass wir hier im Allgäu Hexen verbrennen, wie es real über Jahrhunderte im Allgäu war und in ganz Europa, das darf nicht sein." Sie fängt an sich für Frauenrechte einzusetzen, gründet die Frauenliste, wird in den Kemptener Stadtrat gewählt. Weil sie die Funkenhexe kritisiert, muss sie viele Vorwürfe einstecken. "Ich wurde als Spaßverderberin tituliert. Die Frau Brock will uns den Spaß verderben", erzählt sie.
Eine Frau wird verbrannt
Elisabeth Brock schüchtert das nicht ein. "Man kann die Augen nicht davor verschließen, man kann nicht so tun, als ob man nicht sieht, dass das eine Frau verbrannt wird", sagt sie. Sie schreibt Leserbriefe, sammelt viele Artikel zum Thema und will aufklären. Von ihrem Traum sei sie trotzdem weit entfernt: "Einen riesengroßen Funken. Ohne dass irgendwas verbrannt wird. Erst recht keine Frau."
"Nur eine Puppe!"
In Bihlerdorf bei Sonthofen darf der BR beim Hexebinden dabei sein. Barbara Salomon-Mägdefrau stopft dafür Stroh in eine Feinstrumpfhose. "Es ist einmal ein Brauchtum und es ist ja nur eine Puppe. Wir machen das für das Brauchtum. Ich finde, dass es nicht unbedingt eine Frau sein muss, aber es macht mir auch nichts aus", erklärt die 25-Jährige.
Funken ohne Hexe?
Auf die Frage, ob ein Funken ohne Hexe auch vorstellbar wäre, rudert der Vorstand der Freiwilligen Feuerwehr, Johannes Stieber zurück: "Die Frage ist, wie weit sind wir da wieder vom Brauchtum weg? Oder sagen wir, wir wollen ein Brauchtum machen, wie wir es jetzt schon immer gemacht haben?"
Historikerin: Hexe gehört nicht zum Funkenfeuer dazu
Zu diesem "wir haben das immer schon so gemacht" sagt die Allgäuer Historikerin Dr. Veronika Heilmannseder: Funkenfeuer habe es wohl schon in der Römerzeit gegeben. Damals seien sie wahrscheinlich als Fruchtbarkeitsritual entzündet worden, um den Frühling zu begrüßen. Und weiter: "Wir können sehen, dass der Funken traditionell ganz flächendeckend verbreitet ist und dass er sehr weit zurückreicht, aber dass da unbedingt eine Hexenpuppe drauf verbrannt wird, lässt sich nicht nachweisen." Historisch gesehen gehört die Hexe also nicht dazu.
- Zum Artikel: Tag gegen Hexenwahn: Verfolgungen früher und heute
Zweifel am Funkenhexen-Brauch
In vielen Dörfern wurde sie aber zum Brauch: zum Beispiel in Westerheim im Unterallgäu. Dort bereitet auch die Freiwillige Feuerwehr das Funkenfeuer vor. Beim Hexebinden entsteht eine Diskussion, warum es denn eine Frauengestalt sein muss, die beim Funken verbrannt wird. Die jungen Erwachsenen erklären, dass sie sich bisher nur wenige Gedanken über den Brauch gemacht haben. "Wir kennen das ja nicht anders. Das war schon so, als wir Kinder waren", sagt zum Beispiel der 24-jährige Martin Stiegeler. Und Anna Königsberger (28) fügt an: "Bei uns hat sich nie jemand Gedanken darübergemacht, ob da jetzt ein Mann oder eine Frau ist. Das war halt schon immer die Funkenhex'." Sie wollen nächstes Jahr in der Vorstandschaft der Feuerwehr diskutieren, ob man die Hexe künftig vielleicht weglässt.
Der Winter endet auch ohne Funkenhexe
Fest steht: Das Funkenfeuer hat eine sehr lange Tradition, die Hexenverbrennung nicht. Ob es noch zeitgemäß ist, eine Hexe auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, das muss jedes Dorf für sich entscheiden.
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