Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin in seiner ersten Rede vor dem UN-Sicherheitsrat scharf attackiert. "Der Grund dafür, dass das Leid in der Ukraine und überall auf der Welt andauert, ist erschütternd einfach: Russlands Präsident will seinen imperialistischen Plan zur Eroberung seines souveränen Nachbarn, der Ukraine, umsetzen", sagte Scholz am Mittwoch vor dem mächtigsten UN-Gremium in New York.
Er forderte Putin auf, der Aufforderung der UN-Vollversammlung nachzukommen, seine Truppen abzuziehen und so den Krieg zu beenden. "Bis heute wurde sie nicht beantwortet. Nichts tönt heute lauter als Russlands Schweigen als Reaktion auf diesen globalen Friedensappell", sagte Scholz.
Die UN-Vollversammlung hatte im Februar – ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine – eine Resolution verabschiedet, in der der Truppenabzug gefordert wird. 141 der 193 Mitgliedstaaten stimmten dafür und nur sechs zusammen mit Russland dagegen. Es gab 32 Enthaltungen, unter anderem von China und Indien. Seitdem hat es aber keine neue Resolution gegeben.
"Frieden ohne Gerechtigkeit ist ein Diktat"
Der Kanzler warf Russland auch vor, dem Weltmarkt bewusst Millionen Tonnen Getreide und Düngemittel entzogen zu haben, die von Ländern auf der ganzen Welt benötigt würden. "Russland zielt bewusst auf Getreidesilos und Hafeninfrastruktur. Und Russland hat einseitig die Schwarzmeer-Getreide-Initiative aufgekündigt und so die Armut und Ernährungsunsicherheit überall auf der Welt verschärft."
Wie schon am Dienstagabend vor der Vollversammlung stellte sich Scholz zwar hinter Friedensbemühungen, warnte aber auch vor einer Schein-Lösung des Konflikts. "Frieden ohne Freiheit ist Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit ist ein Diktat", sagte er. "Je entschiedener wir uns für einen gerechten Frieden einsetzen und je geeinter wir in unserer Ablehnung der russischen Aggression zusammenstehen, desto früher wird dieser Krieg beendet sein."
Selenskyj geißelt "verbrecherischen" Angriff
Scholz war der letzte Redner in der rund dreistündigen Sitzung des Sicherheitsrats. Zunächst hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Russland einen "verbrecherischen und unbegründeten" Angriff auf sein Land vorgeworfen – und für einen ständigen Sitz Deutschlands in dem UN-Gremium geworben. "Der Großteil der Welt erkennt die Wahrheit über diesen Krieg an", sagte Selenskyj. "Es ist ein verbrecherischer und unbegründeter Angriff durch Russland gegen unsere Nation mit dem Ziel, sich das Territorium und die Ressourcen der Ukraine einzuverleiben."
Wie bereits bei seiner Rede am Dienstag vor der UN-Vollversammlung warf Selenskyj Russland auch im Sicherheitsrat einen "Völkermord" vor. Der ukrainische Präsident beklagte zugleich, dass Russland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates über ein Vetorecht verfügt. Mittels dieses Rechts blockiere Russland das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen: "Das Vetorecht in den Händen des Angreifers hat die Uno zu einem toten Punkt geführt."
Der ukrainische Präsident forderte deswegen, gegen das russische Vetorecht vorzugehen. Zugleich warb er für einen ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat. "Deutschland ist zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden", sagte Selenskyj. "Deutschland verdient deswegen einen Platz unter den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates."
Lawrow wirft Westen "Überlegenheitskomplex" vor
Bei der offenen Sitzung des UN-Sicherheitsrates ging auch US-Außenminister Antony Blinken hart mit Russland ins Gericht. "Russland begeht in der Ukraine fast täglich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sagte Blinken. "In diesem Krieg gibt es einen Aggressor und ein Opfer. Eine Seite greift die Kernprinzipien der UN-Charta an. Die andere Seite kämpft dafür, sie zu verteidigen."
Bei den Reden von Scholz und Blinken war Selenskyj längst nicht mehr im Raum. Eine Stunde, nachdem der Ukrainer umringt von seiner Entourage den Saal verlassen hatte, begann der russische Außenminister Sergej Lawrow mit einer langen geschichtlichen Abhandlung, in der er vor allem dem Westen schwere Vorwürfe machte und eine Mitschuld am Konflikt gab.
Lawrow warf dem Westen einen "Überlegenheitskomplex" vor. Von Fall zu Fall greife der Westen selektiv auf Normen und Prinzipien zurück, "ausschließlich auf der Grundlage seiner engstirnigen geopolitischen Bedürfnisse". Dies habe zu einer Erschütterung der globalen Stabilität sowie zur Verschärfung und Entstehung neuer Spannungsherde geführt. "Die Risiken globaler Konflikte sind gestiegen", anstatt sie einzudämmen und die Dinge auf einen friedlichen Weg zu bringen, sagte der russische Außenminister. Russland bestehe weiterhin darauf, dass alle Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen respektiert und angewendet werden, "nicht punktuell, sondern in vollem Umfang".
Mit Informationen von dpa und AFP
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