Die Frage sei, sagte Verena Bentele: Was wolle man für ein Bild vermitteln über Menschen, die in Not oder soziale Schieflage geraten sind? Die Präsidentin des mit mehr als 2,1 Millionen Mitgliedern größten deutschen Sozialverbands VdK kritisierte dabei insbesondere Politikerinnen und Politiker der Unionsparteien. Diese hätten ein Bild verbreitet, dass sich Arbeiten nicht mehr lohne und jetzt lauter Leute kämen, die ein Vermögen hätten und die Grundsicherung oder Bürgergeld beantragen würden.
"Das fand ich absolut verwerflich, das hat mich wirklich gestört, wie da über Menschen gesprochen wurde", sagte Bentele am "Sonntags-Stammtisch" im BR Fernsehen. Das Bild entspreche nicht der Realität und sei ein absolutes No-Go, so die VdK-Präsidentin.
Kompromisse beim Bürgergeld
Insbesondere CDU und CSU hatten die Pläne zum Bürgergeld der Ampel-Koalition massiv kritisiert und mit einer Blockade im Bundesrat etliche Kompromisse abgerungen. Die Vertrauenszeit, eine halbjährige Schonfrist für Bürgergeldbezieher, wurde komplett aus dem Gesetzesvorhaben gestrichen. Die Karenzzeit, in der Ersparnisse und Wohnung geschont werden, wurde auf ein Jahr verkürzt. Die Höhe der Ersparnisse, die man noch haben darf, um Bürgergeld zu beantragen, wurde reduziert.
Gerade die von CDU und CSU durchgesetzten Sanktionsmöglichkeiten kritisierte Bentele – zumal Studien deutlich aufzeigen würden, dass diese nichts brächten. Auch die Höhe der Regelsätze – geplant ist eine Erhöhung von 449 auf 502 Euro im Monat – sei zu gering: "Weil das für viele Menschen mit den teuren Preisen immer noch extrem schwer wird, in einer Stadt wie München oder Hamburg zu leben."
Weiterbildung schafft Chancen
Gut sei hingegen, so Bentele, dass das Bürgergeld auf Weiterbildung und Qualifizierung der Menschen setze. Wer wolle, dass die zwei Millionen offenen Stellen in Deutschland besetzt würden, müsse insbesondere jungen Menschen ermöglichen, Schul- und Ausbildungsabschlüsse nachzuholen. Nach dem Gesetzesvorhaben sollen arbeitslose Menschen eine komplette Berufsausbildung nachholen dürfen, anstatt sofort in einen Hilfsjob vermittelt zu werden.
Das sei genau das richtige Signal, findet auch die Präsidentin der Hochschule der Bayerischen Wirtschaft, Evelyn Ehrenberger: "Wenn man mal zurückdenkt, wie Hartz IV ins Leben gerufen wurde: Da hatten wir wahnsinnig viele Arbeitslose und die Jobs nicht. Wir sind jetzt in einer anderen Situation." Die deutsche Wirtschaft brauche dringend mehr gut ausgebildete Fachkräfte.
Verhältnismäßigkeit: Sozialbetrug vs. Steuerbetrug
Besonders sauer stößt der VdK-Präsidentin Bentele die Verhältnismäßigkeit in der Debatte auf. Natürlich gebe es Fälle von Sozialbetrug. Im Jahr 2020 sind nach Zahlen der damaligen Bundesregierung durch falsch angegebene Kapitalerträge und Vermögen 57,3 Millionen Euro zu viel ausgezahlt worden – an etwa ein Prozent aller Hartz-IV-Empfänger. Die überwältigende Mehrheit dagegen ist ehrlich.
Dagegen entgehen dem deutschen Staat nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung jährlich 100 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung. Andere Schätzungen gehen sogar von 125 Milliarden Euro aus. Ein krasses Missverhältnis, findet Verena Bentele: "Ich würde mir wirklich wünschen, dass unser Finanzminister sich mal um das Thema Steuerhinterziehung kümmert", forderte sie am "Sonntags-Stammtisch".
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