Der Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Corona-Regeln für Ungeimpfte bei höheren Infektionszahlen zu verschärfen, stößt beim Koalitionspartner SPD auf Kritik. Spahns Position sei nicht die der Bundesregierung, sagte die sozialdemokratische Bundesjustizministerin Christine Lambrecht der "Augsburger Allgemeinen". Sie betonte auch: "Es liegen keine Pläne dieser Art auf dem Tisch." Allerdings stellte Lambrecht klar, dass private Veranstalter, Geschäftsinhaber und Gastronomen Vertragsfreiheit haben und selbst entscheiden können, Angebote nur an Geimpfte zu richten.
Mehrere SPD-Landesregierungschefs wiesen den Vorschlag des CDU-Bundesministers ebenfalls deutlich zurück. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte sagte der "Bild"-Zeitung: "Ich halte es für falsch und rechtlich unzulässig, Ungeimpfte vom öffentlichen Leben auszuschließen." Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte fast wortgleich: "Niemand soll vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden." Mit negativem Test sollten Ungeimpfte weiter zum Beispiel an Veranstaltungen teilnehmen dürfen, forderte Woidke.
Schwesig: "Drohungen bringen uns nicht weiter"
"Drohungen bringen uns da nicht weiter", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ebenfalls der "Bild"-Zeitung. Es sei wichtig, dass sich mehr Menschen impfen ließen. Und SPD-Bundestagsfraktionsvize Bärbel Bas sagte der "Welt": "Die bestehenden Testangebote sollten weiter genutzt werden - und den Zugang zu Angeboten in Innenräumen auch ermöglichen."
Selbst in der Union gibt es Zweifel, ob die von Spahn geplanten Einschränkungen für Ungeimpfte noch verhältnismäßig sind. Das ginge nur bei einer enorm hohen Inzidenz und starken Belastung der Kliniken, sagte Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU). Die AfD lehnt Spahns Ansatz rundherum ab. "Ein Lockdown für Ungeimpfte wäre verfassungswidrig und epidemiologisch ungerechtfertigt", teilte Fraktionschefin Alice Weidel mit. Sie sieht eine "Einkreisungspolitik gegen nicht geimpfte Bürger". Die Regierung müsse "den freien Willen der Bürger respektieren und unrealistische Impfziele aufgeben".
Spahn: Discos und andere Bereiche nur für Geimpfte
Spahn bekräftigte in einem Interview mit dem "Münchner Merkur", dass er sich Vorteile für Geimpfte und Genesene vorstellen kann. Zu einem Fußballspiel könnten dann vielleicht 30.000 Geimpfte kommen, aber nur 2.000 Menschen ohne Schutz gegen das Coronavirus. Diese Menschen bräuchten dann außerdem einen Test. Auch für Discos oder Theater, also Bereiche, die nicht zur Grundversorgung gehörten, halte er einen Zutritt nur für Geimpfte oder Genesene für vorstellbar.
Behördengänge, Fahrten im Nahverkehr und andere essenzielle Dinge sollen laut Spahn weiterhin für alle möglich bleiben, allerdings nur mit einer Maske oder einem Test. Laut Spahn gibt es zwar keine Impfpflicht, aber das Gebot, sich impfen zu lassen. Das sei ein patriotischer Akt, bei dem es nicht nur um Selbstschutz gehe, sondern um den Schutz der Gesellschaft. Zuletzt sorgte auch ein Papier aus Spahns Ministerium für Schlagzeilen, das bereits Einschränkungen für Ungeimpfte sowie eine weitere Maskenpflicht für alle im Herbst und Winter vorschlägt. Abhängig soll das demnach sein von der Impfquote, der Corona-Inzidenz und der Rate schwerer Klinikfälle.
Entschieden ist allerdings noch nichts. Am kommenden Dienstag treffen sich die Regierungschefs der Bundesländer mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), um das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie zu besprechen. Ob die Maskenpflicht für alle tatsächlich wie von Spahns Ministerium angedacht bis Frühjahr 2022 verlängert wird, ist ebenfalls offen. Bundesjustizministerin Lambrecht zeigte sich in der "Augsburger Allgemeinen" mit Blick auf einen derart langen Zeitraum skeptisch: "Welche Schutzmaßnahmen erforderlich sind, muss laufend anhand der aktuellen Situation geprüft werden", sagte sie. Das gelte auch für die Maskenpflicht.
Spahn-Vorschlag: FDP dagegen, Grüne offen
Kritik an möglicherweise schärferen Regeln für Ungeimpfte kommt auch von der FDP. "Wer nicht geimpft oder genesen ist, sollte mit einem tagesaktuellen Negativtest am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Alles andere wäre eine unverhältnismäßige Freiheitseinschränkung", sagte Parteichef Christian Lindner der "Welt". Aufgrund einer regional unterschiedlichen Corona-Lage sei es außerdem falsch, "das ganze Land über einen Kamm zu scheren". Parteivize Wolfgang Kubicki hatte zuvor bereits der Bundesregierung Wortbruch vorgeworfen, weil Spahns Vorschlag einer Impfpflicht gleichkomme.
Auch Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow forderte zuletzt, es müsse weiterhin möglich sein, "alle Aktivitäten, die für Geimpfte erlaubt sind, auch mit einem entsprechenden Testnachweis zu machen". Offener für eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Genesenen gegenüber lediglich Getesteten sind die Grünen. Baden-Württembergs grüner Gesundheitsminister Manfred Lucha verlangte ebenfalls in der "Welt" einen Paradigmenwechsel ab dem Zeitpunkt, wenn allen ein Impfangebot gemacht worden ist: "Geimpfte erhalten alle Freiheiten zurück, und für Ungeimpfte gelten verschärfte Regeln."
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