Raumluftfilter in einem Klassenzimmer (Symbolbild)
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Luftfilter für Bayerns Schulen: Widerstand in Kommunen

Luftfilter für Bayerns Schulen: Widerstand in Kommunen

Im September in jedem Klassenzimmer ein mobiler Lüfter: Das hat Bayerns Ministerpräsident Söder Ende Juni gefordert. Ob das Ziel erreicht wird, ist fraglich. Ausgerechnet Söders Parteifreund und Gemeindetagspräsident Brandl lehnt eine Anschaffung ab.

Die Sommerferien haben gerade erst begonnen, aber schon Mitte September startet das neue Schuljahr - weiterhin unter Corona-Bedingungen. Ein klares Ziel für den nahenden Herbst formulierte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Ende Juni nach einer Sitzung des bayerischen Kabinetts: "Für uns ist das klar, dass wir eigentlich als Vorgabe haben wollen, dass im September in jedem Klassenzimmer ein mobiler Lüfter ist", betonte er. Auch weil der Schulbesuch verpflichtend sei, müsse jeder einen Beitrag leisten, damit die Schulen sicher seien. "Staat und Kommunen Hand in Hand."

Seitdem sind ziemlich genau zwei Monate vergangen. Längst sind auch die Details des Förderprogramms klar: Der Freistaat übernimmt die Hälfte der Kosten für die Raumlüfter. Die andere Hälfte müssen die Kommunen zahlen, die sich auch um die Beschaffung der Geräte kümmern sollen. Doch noch immer sind tausende Klassenzimmer im Freistaat ohne Raumlüfter - auch weil einige Kommunen sich gegen die Anschaffung entschieden haben. Ende Juni waren laut Söder rund 14.000 Klassenzimmer in Bayern mit mobilen Luftfiltern ausgestattet. Insgesamt gibt es im Freistaat aber rund 80.000 Klassenzimmer.

Brandl: "Weg der Nachhaltigkeit" gehen

Mehrfach hatte Söder in Pressekonferenzen von sich aus darauf verwiesen, dass die Stadt München nicht in Raumlüfter investieren wolle, und für ein Umdenken geworben. Jetzt schafft die grün-rot-geführte Landeshauptstadt doch tausende Luftreinigungsgeräte an – und Ablehnung kommt ausgerechnet vom Abensberger CSU-Bürgermeister und Präsidenten des Bayerischen Gemeindetags, Uwe Brandl.

Auf dem Youtube-Kanal des Gemeindetags informiert der CSU-Politiker die "Kolleginnen und Kollegen", also die anderen bayerischen Bürgermeister, dass bei ihm in Abensberg keine mobilen Geräte angeschafft würden. Vielmehr wolle man "den Weg der Nachhaltigkeit gehen", "das heißt, bei Sanierungsmaßnamen werden wir die Option einer stationären Lüftungsanlage zentral prüfen und gegebenenfalls – in Abhängigkeit von den Kosten natürlich – umsetzen." Das bedeutet also: auf absehbare Zeit im Regelfall keine Lüftungsanlagen in den Klassenzimmern.

Keine vernünftige Kosten-Nutzen-Relation?

Gemeindetagspräsident Brandl nährt grundsätzlich Zweifel an mobilen Luftfilter-Anlagen. Die Entscheidung sei nach einer "intensiven Vorbereitung und Beratung durch ein Ingenieurbüro" gefallen: "Weil wir gesehen haben, dass das aktuell absolut in keiner vernünftigen Kosten-Nutzen-Relation steht", betont der CSU-Politiker.

Er stellt sich bereits auf Kritik ein: "Ich weiß, dass jetzt die Zeit uns ins Haus steht, wo wir das dann auch aushalten müssen in der Argumentationsführung gegenüber den Eltern und Lehrern." Den anderen Bürgermeistern wünscht Brandl "ein glückliches Händchen bei allen weiteren Entscheidungen". Auch der bayerische Landkreistrag hatte das Luftfilter-Programm kritisiert und unter anderem einen höheren Zuschuss des Freistaats gefordert: "Dass 50 Prozent zu wenig ist, ist für alle offensichtlich", sagte Landkreistagspräsident Christian Bernreiter (CSU) im Juli.

FDP macht Söder mitverantwortlich

Des FDP-Bildungsexperte im Landtag, Matthias Fischbach, macht Söder für Widerstand in den Kommunen mitverantwortlich. Zu wenig habe der Ministerpräsident die unterschiedliche Finanzsituation der Kommunen berücksichtigt. "Zu zurückhaltend hat seine Staatsregierung die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse weitergetragen, und zu empathielos reagierte er auf erste Kritik aus den Städten und Gemeinden. Das rächt sich nun", sagte Fischbach dem BR.

Gerade weil Söder erst Monate nach dem Auslaufen des vorangegangenen Förderprogramms für Luftreiniger ein neues aufgelegt habe, sei es "töricht" gewesen, die kommunalen Spitzenverbände außen vor zu lassen.

"Im Herbst droht ein Déjà-vu"

Deutliche Worte adressiert Fischbach aber auch an die Adresse Brandls, der Söders Vorgaben völlig ungeniert in aller Öffentlichkeit konterkariere: "Für den obersten Vertreter der Gemeinden stehen vor lauter Verärgerung über Söders Alleingang nun offensichtlich die Kostenargumente im Vordergrund. Die Sorgen der Schüler kommen nur indirekt im Nebensatz über eventuelle Widerstände der Lehrer und Eltern vor."

Der FDP-Politiker erinnerte an den vorigen Corina-Winter, den viele Schüler nur mit Decken neben dem geöffneten Fenster überstanden hätten. Im Herbst droht laut Fischbach ein Déjà-vu. "Söder wird die Verantwortung dafür aber nicht mehr auf andere abschieben können. Weder auf die Kommunen, noch auf seinen Kultusminister, dessen Überforderung schon länger offensichtlich war."

Piazolo will "vollen Präsenzunterricht"

Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) hatte Ende Juli in einem Brief an die Eltern als Maxime für das neue Schuljahr "vollen Präsenzunterricht" ausgegeben. "Daher tun wir beim Infektionsschutz an den Schulen alles, was machbar ist, damit die Schülerinnen und Schüler in Bayern auch im Herbst täglich zur Schule gehen können", versprach er den bayerischen Eltern. Als Maßnahmen zählt er regelmäßige Tests in den Schulen, Impfungen und das Lüften auf. "Luftreinigungsgeräte können das Lüften ergänzen. Deshalb unterstützen wir die Schulaufwandsträger vor Ort bei der Anschaffung solcher Geräte – auch mit Blick auf die kalte Jahreszeit, wenn die Fenster nicht ständig geöffnet sein können."

Aus der Antwort auf eine Anfrage Fischbachs ging vor einigen Wochen hervor, dass es zum damaligen Zeitpunkt in ungefähr fünf von sechs bayerischen Klassenzimmern keine Luftreinigungsgeräte gab. Demnach gibt es einzelne Kommunen, zum Beispiel den oberbayerischen Landkreis Ebersberg, der sehr viele Klassenzimmer mit mobilen Luftfiltern ausgestattet hat. In den allermeisten Kommunen im Freistaat lag die Quote zuletzt aber zwischen 0 und 20 Prozent.

Landesschülerrat: Nicht wieder zögern

Kritik an Brandl kommt auch vom Koordinator des Landesschülerrats in Bayern, Moritz Meusel. Die Haltung des Gemeindetagspräsidenten sei "zutiefst bedauerlich". Aus Sicht der Schüler sei es dringend notwendig, Klassenzimmer mit Anlagen auszustatten. Denn an vielen Stellen sei es in Schulen gar nicht möglich, richtig zu lüften. "Uns ist bewusst, dass das kein Klassenzimmer zu 100 Prozent sicher macht", sagte Meusel dem BR. Aber mobile Lüfter seien eine sinnvolle zusätzliche Maßnahme.

Es gelte, jedes Mittel zu nutzen, um sicher in den Herbst und Winter starten zu können. Meusel warnte eindringlich davor, wieder zu zögern und Zeit verstreichen zu lassen. Das "ständige Hin- und Her-Schieben von Verantwortung" sei zermürbend. Den Schülern, die im Winter bei Minusgraden am Fenster sitzen müssten, sei es letztlich egal, woher das Geld für mobile Geräte hätte kommen müssen. Der Schülervertreter kritisierte darüber hinaus, dass Brandl es so hinstelle, als gehe es um horrende Investitionen. Meusel zufolge wäre die Anschaffung von Luftfiltern schließlich auch über die Corona-Krise hinaus nützlich: Denn sie filterten nicht nur Coronaviren aus der Luft, sondern steigerten auch grundsätzlich die Luftqualität.

"Aufgabe, die für das erste Halbjahr ansteht"

Die Staatsregierung hält an ihrem Ziel grundsätzlich weiter fest, Ministerpräsident Söder formulierte es Mitte Juli aber in etwas abgeschwächter Form. "Schulstart ist wünschenswert", sagte er nach einer Kabinettssitzung. "Aber das ist eine Aufgabe, die für das erste Halbjahr ansteht, um das zu versuchen, in alle Gemeinden zu bringen." Die wissenschaftlichen Erkenntnisse gingen "relativ eindeutig" in die Richtung, "dass es ein gutes Instrument sein kann", führte Söder aus. Relativ bald könne nun bestellt werden - "und mit etwas Glück klappt das dann bis zum Herbst, dass viele jedenfalls damit beginnen können".

Landesschülersprecher Meusel zeigt sich skeptisch. Auch wenn "weitsichtige Landräte" bereits Geräte bestellt hätten, fehlten noch in zu vielen Klassenzimmern Luftfilter. Ob das von Söder und Piazolo ausgerufene Ziel tatsächlich erreicht wird? "Das wage ich zu bezweifeln."

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