Rammstein-Sänger Till Lindemann muss sich derzeit mit schweren Vorwürfen von vielen Frauen auseinandersetzen. Erzählungen darüber kursieren vor allem in sozialen Netzwerken, teils auch anonym. Die Frauen sagen, sie seien im Rahmen von Konzerten in beängstigende bis gefährliche Situationen gebracht worden. Auch zu sexuellen Handlungen soll es zum Teil gekommen sein. Welche juristischen Folgen kann das nun haben? Und - wer klärt den Wahrheitsgehalt der Aussagen?
Könnten Ermittlungen aufgenommen werden?
Um mit den Ermittlungen beginnen zu können, brauchen Staatsanwaltschaften einen sogenannten Anfangsverdacht. Das heißt, es müssen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass eine Straftat begangen wurde. Bloße Vermutungen genügen nicht. Allerdings ist auch keine Anzeige oder ein Strafantrag nötig. Bei Verbrechen muss die Staatsanwaltschaft tätig werden – falls ein Anfangsverdacht besteht. Das kann auch gelten, wenn die Staatsanwaltschaft durch die Presse beispielsweise von einer Vergewaltigung erfährt.
In der aktuellen Berichterstattung zu Till Lindemann (Stand 12.6.) liegen laut Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I, "noch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Verwirklichung von Sexualstraftaten vor".
Insgesamt seien die Sachverhaltsschilderungen nicht aussagekräftig und detailliert genug, um vom Vorliegen eines Anfangsverdachts auszugehen, so Leiding gegenüber BR24. Geschädigte hätten sich bisher nicht an die Staatsanwaltschaft München gewandt, auch nicht nach den vier Rammstein-Konzerten in München.
Zuständigkeit hängt von Tatort oder Wohnort ab
Örtlich zuständig für Ermittlungen ist grundsätzlich meistens die Staatsanwaltschaft, in deren Gebiet sich der Tatort befindet. Es kann aber auch der Wohnsitz des Tatverdächtigen ausschlaggebend sein. Im Fall von Lindemann wäre unter Umständen die Berliner Staatsanwaltschaft zuständig. Dort hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) nachgefragt – die Antwort, Stand 8.6.: Derzeit seien keine Ermittlungsverfahren gegen Lindemann anhängig.
Laut einer litauischen Zeitung will die örtliche Polizei in Vilnius kein Ermittlungsverfahren einleiten. Allerdings hat die dortige Staatsanwaltschaft noch nicht endgültig darüber entschieden. Nach dem Auftakt der Tour von Rammstein in Vilnius Ende Mai hatte eine Frau aus Irland in sozialen Medien gesagt, sie sei bei dem Konzertbesuch betäubt und verletzt worden.
Lindemanns Anwälte weisen Vorwürfe zurück
Till Lindemann lässt sich von Anwälten vertreten und hat die Vorwürfe gegen ihn vergangene Woche als ausnahmslos unwahr zurückgewiesen. Das gaben die Berliner Rechtsanwälte Simon Bergmann und Christian Schertz am Donnerstag bekannt.
Vermeidung von Vorverurteilung
Momentan ist zwar nichts über Ermittlungen in dem Fall bekannt – allerdings darf eine mögliche zuständige Behörde erst dann Auskünfte erteilen, wenn "ein Mindestbestand an Belegtatsachen gegeben wäre", wie ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft dem RBB erklärte. Auch bei einer sogenannten Vorprüfung müsse die Staatsanwaltschaft noch keine Auskunft geben. Der Hintergrund: Die Justiz muss zwischen Persönlichkeitsrechten einerseits und dem Auskunftsanspruch der Presse andererseits abwägen.
Medien dürfen über Verdachtsfälle berichten - mit Regeln
Die Kanzlei, die Lindemann vertritt, ist auf Medien- und Presserecht spezialisiert. In einer Pressemeldung werfen die Anwälte den Medien "unzulässige Verdachtsberichterstattung" vor. Außerdem sei gegen die Vorgabe verstoßen worden, "ausgewogen und objektiv" zu berichten. "In fast allen Fällen fand eine nachhaltige Vorverurteilung zulasten unseres Mandanten statt", heißt es dort. Man werde dagegen "umgehend rechtlich vorgehen".
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, äußerte zum Schreiben der Anwälte: "Die Drohung mit rechtlichen Schritten gegen Journalistinnen und Journalisten ist der Versuch, Medien einen Maulkorb anzulegen." Verdachtsberichterstattung sei zulässig, solange sie sich an presserechtliche Spielregeln halte und über gesicherte Fakten berichte.
Dass sich der Rammstein-Sänger in Schweigen hülle, verhindere Berichterstattung nicht, so lange weitere glaubwürdige Informationen vorlägen: "Die Vorwürfe gegen den Frontmann einer der bekanntesten deutschen Bands sind so schwerwiegend, dass sie recherchiert und berichtet werden müssen."
Darum geht es im Rammstein-Skandal
Seit Ende Mai, auch im Vorfeld der Rammstein-Konzerte in München, kursieren die Gewaltvorwürfe. Es geht um angebliche verbale, sexuelle und körperliche Übergriffe auf Konzertbesucherinnen durch Frontmann Till Lindemann. Neben der Zurückweisung durch seine Anwälte hat der Sänger bisher nicht persönlich Stellung genommen - reagierte aber bei einem der vier Mega-Rammstein-Konzerte in München indirekt auf die Vorwürfe.
Nach dem Tour-Auftakt von Rammstein am 22. Mai in Vilnius in Litauen hatte die Irin Shelby Lynn auf Instagram und Twitter behauptet, sie sei im Umfeld ihres Konzertbesuches in Vilnius betäubt und verletzt worden. Ein Mitarbeiter der Band habe Fotos von ihr und anderen jungen Frauen gemacht und sie selbst während einer Konzertpause in einen Raum unter der Bühne geführt – wo Leadsänger Till Lindemann auf sie gewartet habe, in der Annahme, sie werde Sex mit ihm haben.
Nachdem sie sich geweigert habe, habe der Sänger wütend reagiert. Angefasst habe er sie jedoch nicht. Lynn berichtet außerdem, auf den Partys der Band sei ihr und anderen jungen Frauen Alkohol gereicht worden. Sie selbst glaubt, dabei unter Drogen gesetzt worden zu sein. Sie sei mit Erinnerungslücken und blauen Flecken aufgewacht.
Nach Lynns Posts auf Instagram und Twitter berichteten auch andere junge Frauen von ähnlichen Vorkommnissen bei Konzerten von Rammstein. Dem Rechercheteam von Süddeutscher Zeitung und NDR bestätigten mehrere Frauen, dass es im Umfeld von Rammstein-Konzerten ein "System der Anbahnung" gebe, in dessen Rahmen junge Frauen für Aftershowpartys rekrutiert würden.
Mit Informationen von dpa und KNA.
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