Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis hat bei der Parlamentswahl seine Regierungsmehrheit verloren. Deutlich in Führung lag nach Auszählung fast aller Wahlbezirke am Samstagabend eine Gruppe mehrerer konservativer und liberaler Oppositionsparteien, die eine Ablösung von Babis und dessen populistischer Partei ANO anstrebt. "Wir bleiben ein Teil des demokratischen Europa", sagte der Chef des Oppositionsbündnisses Zusammen, Petr Fiala. Er und der Chef der Piratenpartei, Ivan Bartos, kündigten Gespräche über die Bildung einer neuen Regierung an.
ANO bleibt stärkste Einzelpartei
Eine wichtige Rolle spielt allerdings Staatspräsident Milos Zeman, der laut Verfassung den Ministerpräsidenten ernennt. Er hatte angekündigt, der stärksten Einzelpartei den Regierungsauftag zu erteilen. Das war erneut die ANO von Babis, während es sich bei den Oppositionsgruppen um Bündnisse aus mehreren Parteien handelt. Babis gratulierte der Opposition zwar zu ihrem Wahlerfolg, kündigte aber Gespräche über die Bildung einer Regierung für den Fall an, dass Zeman ihn darum bitte.
Mehrheit der Sitze für Mitte-Rechts-Bündnis Zusammen
Von den 200 Parlamentssitzen dürften 108 an das Mitte-Rechts-Bündnis Zusammen und an die liberale Formierung Piraten/Bürgermeister gehen, wie eine Berechnung des tschechischen Fernsehens auf Basis der Ergebnisse fast aller Wahlbezirke ergab. Beide Gruppen haben bereits vor der Wahl erklärt, sie lehnten jegliche Zusammenarbeit mit Babis ab.
Dem Zwischenergebnis zufolge kommt das Parteienbündnis Zusammen auf 27,78 Prozent der Stimmen und Piraten/Bürgermeister auf 15,60 Prozent. Dagegen erreichte Babis' populistische ANO 27,13 Prozent, während die mit ihr verbündeten Sozialdemokraten und Kommunisten einen Wiedereinzug ins Parlament verpassten. Die Kommunisten sind damit erstmals seit 1948 nicht im Parlament in Prag vertreten. Eine weitere Kraft im Parlament ist die Partei Freiheit und Direkte Demokratie. Die Wahllokale waren von Freitag bis Samstagmittag geöffnet.
Babis wegen Corona-Politik in der Kritik
Babis, der für eine zweite Amtszeit angetreten war, steht wegen seiner Corona- und Schuldenpolitik in der Kritik. Zudem wirft die Opposition dem Gründer des Konzernimperiums Agrofert Interessenkonflikte vor. Wenige Tage vor der Abstimmung waren in Zusammenhang mit der Veröffentlichung der sogenannten Pandora Papers zudem persönliche Geschäfte des Regierungschefs in Steueroasen bekanntgeworden. Der 67-jährige Milliardär bestreitet ein Fehlverhalten.
Im Wahlkampf hatte Babis versprochen, weiter die Löhne, Gehälter und Pensionen im öffentlichen Dienst zu erhöhen. An der großzügigen Ausgabenpolitik aus der Corona-Zeit und der damit einhergehenden Staatsverschuldung hatte Babis festgehalten, obwohl sich die Lage im Land entspannt hat. Die Opposition warf ihm in der Pandemie ein chaotisches Krisenmanagement vor. Tschechien hat mit mehr als 30.000 Corona-Toten einen der europaweit höchsten Anteile an pandemiebedingten Sterbefällen an seiner Bevölkerung.
Möglicherweise besseres Verhältnis zur EU
Mit einem Regierungswechsel könnte sich das Verhältnis Tschechiens zur EU verbessern, weil zumindest der Streit um Interessenskonflikte aus der Welt wäre. Eine Ablösung von Babis, der im Wahlkampf gegen Einwanderung und gegen die EU ins Feld gezogen ist, würde das Land zudem politisch von Ungarn und Polen entfernen, die mit Brüssel in juristischen Fragen rund um das Demokratieverständnis über Kreuz liegen.
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