Ukrainische und westliche Nachrichtendienste sind sich einig: Die Destabilisierung der politischen Lage in der Republik Moldau sei in vollem Gange, heißt es. Sichtbar werde dies unter anderem an den von Moskau orchestrierten, anti-westlichen Protesten, der Verbreitung von Fake News sowie durch gezielte Cyberangriffe. Abgesehen davon sind russische Streitkräfte längst in unmittelbarer Nähe der Republik, die an den Westen der Ukraine grenzt. Gemeint ist damit ihre Präsenz in Transnistrien, einer seit über 30 Jahren abtrünnigen Region im Osten Moldaus. Hier, nur eine Autostunde von Moldaus Hauptstadt Chisinau entfernt, hat der Kreml 1.500 Soldaten stationiert.
Wachsende Kriegsgefahr
Die ehemalige Sowjetrepublik Moldau ist seit 1991 unabhängig. In dem kleinen Land leben derzeit rund zweieinhalb Millionen Menschen. Das Gebiet, das weitgehend identisch ist mit der historischen Landschaft Bessarabien, ist gerade einmal halb so groß wie Bayern. Früher häufig als "Gemüsegarten der Sowjetunion" bezeichnet, ist Moldau bis heute vor allem landwirtschaftlich geprägt und hat wenig Industrie, was es zu einem der ärmsten Länder Europas macht. Im Westen grenzt es an Rumänien, der Rest Moldaus ist komplett von der Ukraine umschlossen.
Die Hauptstadt Chisinau liegt nur 150 Kilometer von der ukrainischen Hafenstadt Odessa entfernt – und ist damit näher am Kriegsgebiet als jede andere europäische Hauptstadt. Der Konflikt zwischen kremltreuen und pro-westlichen Kräften in der Republik Moldau flammt seit den 1990er Jahren immer wieder auf. Doch so greifbar wie seit dem Kriegsausbruch im Nachbarland Ukraine war die konkrete Bedrohung durch Russland noch nie.
Seit Monaten etwa rufen regierungskritische und russlandfreundliche Kräfte in Moldau zu großen Protestmärschen in Chisinau auf. Die Gegner der pro-europäischen Regierung und deren Gallionsfigur, Staatspräsidentin Maia Sandu, machen die Regierungspartei PAS für die heftige Energiekrise, rasant steigende Preise und eine kaum kontrollierbare Inflation verantwortlich. All das sähe mit einem freundlicheren Blick nach Moskau anders aus, so die Argumentation der antiwestlichen Stimmen. In Sprechchören fordern sie dementsprechend den Rücktritt der Präsidentin Maia Sandu.
Plant Moskau einen Umsturz?
Der alles andere als spontane Protest ist so etwas wie die Begleitmusik zu den heftigen politischen Turbulenzen der vergangenen Tage und Wochen: Russlands Außenminister Sergiej Lawrow, der Moldau unverblümt ins Visier nimmt. Dann der Rücktritt der kompletten Regierung unter der pro-westlichen Premierministerin Natalia Gavrilitia und die Amtseinführung des neuen, ebenfalls pro-europäischen Premiers Dorin Recean Mitte Februar. Mehrere Einschläge russischer Raketenteile auf moldauischem Staatsgebiet gab es auch noch, zwischenzeitlich war der komplette Luftraum über Moldau gesperrt.
Mitte Februar warnte Präsidentin Maia Sandu vor einem möglichen Staatsstreich, unterstützt durch "ausländische Saboteure": Es könne zu Angriffen auf staatliche Gebäude und Geiselnahmen kommen, so die Staatspräsidentin Moldaus. Ziel sei am Ende die gewaltsame Machtübernahme durch Moskau-nahe Kräfte in der Republik Moldau. In dieses Bild fügt sich auch ein geheimes, russisches Strategiepapier, das Mitte März westlichen Medien zugespielt wurde und das unabhängige Beobachter für echt halten. Das fünfseitige Dokument fasst zusammen, was Russland in den kommenden zehn Jahren vorhat mit und in der Republik Moldau. Es gehe darum, "den Versuchen externer Akteure entgegenzuwirken und sich in die internen Angelegenheiten der Republik einzumischen".
Shor-Partei als Agent Provocateur
"Externe Akteure" – das zielt auf die Nato. Im Land selbst, so heißt es explizit in dem Papier, solle eine "prorussische Stimmung" geschürt werden. Der Kreml bezeichnete all das umgehend als "Fake" und wird dabei flankiert von pro-russischen Stimmen in Moldau, wie der von Marina Tauber, der stellvertretenden Vorsitzende der pro-russischen, links-populistischen Shor-Partei. Politisch spielt die Shor-Partei keine große Rolle, sie hat nur sechs von insgesamt 101 Sitzen im Parlament der Republik Moldau.
Die pro-europäische PAS, der auch Präsidentin Maia Sandu angehört, regiert hingegen seit Juli 2021 mit einer komfortablen Mehrheit von 63 Parlamentssitzen, die restlichen Mandate verteilen sich auf einen russlandfreundlichen Block aus Sozialisten und Kommunisten. Doch vor allem die Shor-Partei ist in der Lage, die prekäre wirtschaftliche Lage zu instrumentalisieren und die Regierung mit ihren populistischen Forderungen immer wieder vor sich herzutreiben.
Das liegt auch daran, dass sie die Mittel dazu hat: Namensgeber und Vorsitzender der Partei ist der Oligarch und Milliardär Ilan Shor. Shor selbst allerdings tritt auf "seinen" Protestveranstaltungen, wenn überhaupt, nur per Videoschaltung auf: 2019 setzte sich Shor nach Israel ab, nachdem er in Chisinau zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Der Geschäftsmann und Politiker soll seine Finger mit im Spiel gehabt haben, als 2014 quasi über Nacht eine Milliarde US-Dollar von Konten moldauischer Banken verschwand.
Von Moskau inszenierte Proteste
Die wirtschaftlichen Probleme durch den Krieg seien immens, vielen Menschen im Land gehe es schlecht, meint Iulian Groza, Chef des liberalen Thinktanks IPRE in Chisinau. Gleichzeitig korrigiert der Politologe das Bild von einer in dieser schwierigen Lage untätigen Regierung. Die Regierung, so Groza, habe schon im vergangenen Jahr mit Unterstützung der EU und der USA Schritte unternommen, um vor allem etwas gegen die hohen Energiepreise im Land zu tun.
Sie habe rund 300 Millionen Euro in die Hand genommen und damit die Hälfte der privaten Rechnungen für Gas und Strom bezahlt. Davon rede aber keiner auf den Demos der Shor-Partei, kritisiert der Moskau-kritische Politologe Iulian Groza. Gleichzeitig könnte man in der Republik Moldau seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 zahlreiche Fake-News-Kampagnen beobachten. Und zwar nicht nur aus Russland, sondern auch durch lokale Medien und Parteien, wie die des Kremlnahen Oligarchen Illan Shor.
Dass die Proteste inszeniert seien, meint Iulian Groza, ließe sich unter anderem daran erkenn, dass die Demonstranten für ihre Teilnahme Geld bekämen. Geld, damit sie auf die Straße gehen und lautstark gegen den pro-westlichen Kurs der Regierung wettern. Bis zu 100 Euro pro Person und Tag wurden demnach bei den bislang größten Protesten im Herbst 2022 bezahlt, wenn die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zum Beispiel in Protestcamps übernachteten. Das haben unabhängige Journalisten recherchiert, die sich regelmäßig unter die Protestierenden mischten.
Experte: "Lage in Moldau zunehmend angespannt"
Der Analyst Iulian Groza verweist auch auf die riskanten und schmerzhaften, seiner Meinung nach aber notwendigen Schritte heraus aus der gefährlichen Abhängigkeit von russischem Gas. In der Tat ist die Energieversorgung eine Achillesferse des Landes: Moldau bezog über Jahrzehnte sein Gas komplett aus Russland, Strom wurde aus der Ukraine importiert - größtenteils allerdings aus der von Russland kontrollierten Region Transnistrien, die sich nach einem blutigen Bürgerkrieg mit hunderten Toten 1992 von Chisinau lossagte. Das ist einer jener "eingefrorenen Konflikte" nach dem Zerfall der Sowjetunion, wie es sie auch im Südkaukasus gibt, zum Beispiel in Bergkarabach, Abchasien, Südossetien.
Als Russlands Staatskonzern Gazprom im vergangenen Jahr die Gaszufuhr drosselte und wegen des Krieges auch kein Strom mehr aus der Ukraine floss, gingen in Moldau teilweise buchstäblich die Lichter aus. Energie werde als politisches Druckmittel des Kreml gegen die prowestliche Regierung in Chisinau genutzt, konstatiert der Politologe Iulian Groza.
Als zunehmend angespannt beschreibt auch Moldaus Innenministerin Ana Revenko die aktuelle Lage im Land. Wie konkret die angeblichen Pläne zum Sturz der Regierung sind, wer genau daran beteiligt sein könnte – dazu könne sie sich aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern, sagt die Ministerin, verweist nur darauf, dass auch dem ukrainischen Geheimdienst sehr konkrete Hinweise darauf vorlägen, wie Russland die Kontrolle in Moldau übernehmen wolle. Die Stabilität in der Region hängt laut Revenko mittel- und langfristig vor allem davon ab, wie sich das Verhältnis zum von Russland am Leben gehaltenen De-facto-Regime in Transnistrien entwickelt.
"Seit 30 Jahren haben wir in Transnistrien russische Truppen, russische Propaganda, russische Versuche, einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben. Und damit erpresst uns Russland seit 30 Jahren", klagt Innenminister Ana Revenko. "Unsere Botschaft hier ist eindeutig: Moskau muss seine Truppen abziehen, wir selbst suchen immer nur nach friedlichen Lösungen, aber das geht eben nur mit einer Demilitarisierung Transnistriens. Und das wollen ja auch die Menschen, die dort leben. Das sind ja genauso Moldauer wie wir."
Gefährliche Lage in Transnistrien
Nikolai Kuzmin ist einer dieser Menschen. Er lebt in der transnistrischen Hauptstadt Tiraspol, arbeitet dort als politischer Analyst für eine Menschenrechts-NGO. Die Lage in der abtrünnigen Region und die Haltung der Menschen dort würden von außen oft zu sehr in Schwarz-Weiß-Bildern dargestellt, kritisiert er. Transnistrien, meint Kuzim, habe den Ruf ausschließlich pro-russisch zu sein. Das heiße aber nicht, dass alle Menschen Russlands Politik gutheißen würden. Untersuchungen zufolge – so der politische Analyst – sähen rund ein Drittel der Bewohner Transnistriens die EU durchaus positiv. Seiner Einschätzung nach dürften ungefähr genauso viele Russlands Krieg in der Ukraine verurteilen.
Die Sichtweise der Menschen hänge vor allem davon ab, ob sie sich nur über russische Propagandakanäle informieren oder auch unabhängige Medien nutzen. Als Beispiel nennt der Politologe etwa nicht belegte Meldungen russischer Staatsmedien, dass ein ukrainischer Anschlag auf den Separatistenführer Vadim Krasnoselski am 9. März in Tiraspol vereitelt werden konnte. Solche Nachrichten versetzten viele Menschen natürlich in Angst, sagt Nikolai Kuzmin. Interessant dabei ist: Die transnistrische Führung um den selbst ernannten Präsidenten Krasnoselski hält sich eher bedeckt, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht. Kein Wunder, sagt der Chisinauer Analyst Iulian Groza: Denn die Machtclique in Transnistrien habe überhaupt kein Interesse daran, in einen bewaffneten Konflikt hineingezogen zu werden.
Moldaus Zukunft ungewiss
Transnistrien bleibt trotz allem ein gefährlicher Brandherd. Gleichzeitig wird Moldau in der aktuellen Lage schmerzlich vor Augen geführt: Das Land hat die eigene Verteidigungskraft sträflich vernachlässigt, die moldauische Armee hat eine magere Truppenstärke von 6.000 Soldaten, eine Luftwaffe ist quasi nicht existent. Immerhin hat die Nato signalisiert, Moldau hier stärker zu unterstützen. Im Januar hat die deutsche Bundeswehr 19 Transportpanzer aus eigenen Beständen nach Chisinau geliefert. Und gemeinsam mit der Ukraine ist die Republik Moldau seit Juni 2022 EU-Beitrittskandidat, laut Umfragen sieht auch die Mehrheit der Menschen ihre Zukunft in Westeuropa, und nicht im Schulterschluss mit Moskau. Das Schicksal der kleinen Republik entscheidet sich aber nicht nur in Chisinau oder Brüssel, sondern vor allem auf den Schlachtfeldern der Ukraine.
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