Dass die Wähler ein Regierungsbündnis im Bund zur Halbzeit der Wahlperiode auf Landesebene abwatschen, ist nicht ungewöhnlich. Wohl aber das Ausmaß der Verluste in Bayern und Hessen, die die Ampel-Parteien zu verkraften haben. Im Freistaat kommen SPD, Grüne und FDP nur noch auf ein Viertel der Stimmen. In Hessen bringen es alle drei ungefähr auf einen Stimmenanteil, den die CDU für sich allein verbuchen kann.
Normalweise würde eine Koalition in dieser Lage versuchen, die Ergebnisse mit landespolitischen Widrigkeiten zu erklären. Doch das bleibt diesmal aus, weil der Zusammenhang zur Bundespolitik allzu offensichtlich ist. "Alle drei Koalitionspartner haben Federn gelassen", stellt beispielsweise FDP-Chef Christian Lindner am Montag fest.
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Bayern und Hessen gehören zu den bevölkerungsreichsten Ländern
Die bundespolitische Bedeutung der beiden Landtagswahlen erschließt sich schon durch einen Blick auf die Statistik: In Bayern und Hessen lebt nicht weniger als ein Viertel der deutschen Bevölkerung. Zudem hat eine Mehrheit der Wähler in den Wahlen eine Möglichkeit gesehen, der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen. Das zeigen Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap. Demnach sind in Hessen fast 70 Prozent der Befragten unzufrieden mit der Ampel-Regierung. In Bayern sind es noch mehr.
Zu diesem Stimmungsbild gehört auch, dass bundespolitische Themen diese Landtagswahlen entschieden haben. Wirtschaftliche Entwicklung, Zuwanderung sowie Klima- und Energiepolitik werden in Bayern und in Hessen als die wichtigsten Themen genannt – wenn auch in leicht unterschiedlicher Reihenfolge. Klassische landespolitische Themen wie die Situation an den Schulen spielten im Wahlkampf keine große Rolle.
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Bittere Niederlage für SPD
Deshalb sind die Verluste für die Ampel-Parteien in Berlin besonders bitter. Die SPD erlebt einmal mehr ein Debakel. Keine neun Prozent mehr in Bayern – und in Hessen reicht es nach einem dicken Minus nur für den dritten Platz hinter CDU und AfD. Im Freistaat sind die Sozialdemokraten an Niederlagen gewöhnt, aber in Hessen haben sie jahrzehntelang regiert. Umso mehr muss das schlechte Abschneiden dort am Selbstbewusstsein der Kanzlerpartei insgesamt nagen.
Dazu passt, dass eine der großen Verliererinnen dieses Wahlabends ihren Schreibtisch nicht in München oder Wiesbaden hat, sondern in Berlin: Nancy Faeser wollte hessische Ministerpräsidentin werden, doch die SPD-Politikerin hat das Ziel klar verfehlt. Die Doppelrolle als Innenministerin im Bund und Wahlkämpferin in Wiesbaden, dazu der monatelange Streit übers Heizungsgesetz und zuletzt eine hitzige Migrationsdebatte: Darin dürften die wichtigsten Gründe für Faesers Niederlage liegen.
Wie es aussieht, will sie aber Ministerin bleiben. Das Wahlergebnis in Hessen sei "sehr schmerzvoll", sagt sie am Montag in der Berliner SPD-Zentrale. Und fügt eilig hinzu, dass sie nach wie vor über einen "starken Rückhalt" in der Partei verfüge. Was Co-Parteichefin Saskia Esken bestätigt: Faeser habe eine "großartige Arbeit gemacht und mehr erreicht als viele ihrer Vorgänger", zum Beispiel im Kampf gegen Rechtsaußen und in der Migrationspolitik. Klar ist aber auch: Faeser geht geschwächt aus der Hessenwahl hervor – keine optimale Ausgangslage für künftige Verhandlungen über die Asylpolitik.
Alle Ampel-Parteien verlieren Stimmen
Enttäuschend sind die Wahlergebnisse auch für die FDP. In Hessen haben es die Liberalen nur knapp wieder in den Landtag geschafft, in Bayern sind sie klar an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Parteichef Lindner weist am Montag mehrmals darauf hin, dass die Koalition insgesamt verloren habe – und nicht nur die Liberalen. Tatsächlich haben die Grünen ebenfalls Stimmenverluste erlitten, auch wenn sie in beiden Ländern zweistellige Ergebnisse eingefahren haben.
Die Ampel steht jetzt vor der Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen, wie es Grünen-Co-Chef Omid Nouripour formuliert. Nur wie? Die Koalition habe eine "große Menge" hinbekommen, allerdings fliege das Erreichte streitbedingt oft "unter dem Radar" der Öffentlichkeit, so Nouripour. Wegen der vielen Konflikte in der Ampel wird der Ruf nach mehr Führung in der Koalition laut. Ganze 83 Prozent der Befragten in Bayern sind der Ansicht, der Kanzler müsse in Berlin klarer die Richtung vorgeben.
Union fordert Fortschritte bei Einwanderungspolitik
Gerade in der Migrationspolitik verlangt auch die Union von Olaf Scholz, dass er die Initiative ergreift. "Jetzt wäre wichtig, dass der Bundeskanzler auftaucht und einlädt zum Gespräch", ruft CSU-Chef Markus Söder von München aus der Ampel zu. Und CDU-Chef Friedrich Merz versichert, die Union stehe für einen "Deutschland-Pakt" bereit, wie ihn Scholz vor rund einem Monat vorgeschlagen hat. Bislang sei aber in dieser Sache nichts passiert.
Bei der Bewertung des Wahlausgangs greift Merz zum großen Besteck: "Die Ampel-Koalition ist durch dieses Wahlergebnis in einer geradezu historischen Weise abgestraft worden." Dann folgen Glückwünsche an den bayerischen Ministerpräsidenten und dessen hessischen Kollegen Boris Rhein. Letzterer habe für die CDU einen "überragenden Wahlsieg" eingefahren. Ein Erfolg, den Merz auch für sich reklamiert. Was er nicht sagt: Rhein pflegt einen völlig anderen Kommunikationsstil als sein Parteichef, auch in Wahlkampfzeiten: "immer in einem Sound, der nie überdreht hat", wie der hessische Ministerpräsident es selbst beschreibt. Erst vor wenigen Tagen sah sich Rhein gezwungen, auf Abstand zu Merz und dessen umstrittener Äußerung zur Zahnbehandlung von Asylbewerbern zu gehen.
Die deutlichen Zugewinne für die Hessen-CDU stärken innerhalb der Union diejenigen, die sich für einen Kurs der Mitte aussprechen. Neben Rhein sind das auch die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, Hendrik Wüst und Daniel Günther. Alle drei regieren mit den Grünen, die Merz mal als "Hauptgegner" in der Ampel-Koalition ausgemacht hat. Und alle drei dürften mindestens mitreden wollen, wenn CDU und CSU im kommenden Jahr über eine Kanzlerkandidatur entscheiden.
CSU-Ergebnis keine Empfehlung für etwaige Kanzlerkandidatur
Eine Kandidatur, die bei einem CSU-Ergebnis von mehr als 40 Prozent möglicherweise auf Söder zugelaufen wäre. Mit den für CSU-Verhältnisse eher mageren 37 Prozent hat sich Söder aber nicht unbedingt als Zugpferd für einen Bundestagswahlkampf empfohlen, sollte er öffentlichen Beteuerungen zum Trotz noch entsprechende Ambitionen haben.
Die eigentliche Wahlgewinnerin ist nach Einschätzung vieler in Berlin ohnehin die AfD. Platz zwei in Hessen, Platz drei in Bayern: "Die AfD ist kein Ostphänomen mehr", sagt Co-Parteichefin Alice Weidel. Tatsächlich konnte die Partei in beiden Ländern deutlich zulegen – und fuhr in Hessen ihr bisher bestes Ergebnis im Westen ein. Zudem wächst der Anteil derer, die die AfD aus Überzeugung wählen. Und: Ihre Kompetenzwerte haben sich Meinungsforschern zufolge verbessert – vor allem auf dem derzeit entscheidenden Gebiet der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Für die Linke geht es nach den Worten von Co-Parteichef Martin Schirdewan darum, "dass wir gegen diesen Rechtsruck ein klares Zeichen setzen". Allerdings stellt sich die Frage, wieviel Kraft eine Partei hat, die im Bund vor allem mit sich selbst ringt und die gerade aus dem hessischen Landtag geflogen ist.
Als Konsequenz aus den Wahlen dringt im Regierungslager vor allem die FDP auf eine "Asylwende" – also auf eine Begrenzung von ungeregelter Einwanderung. Sachleistungen statt Geldleistungen, schnellere Abschiebungen, mehr Mittel für Städte und Gemeinden: Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ob aber die Ampel-Parteien diesmal an einem Strang ziehen, bleibt am Tag nach den Wahlen unklar. Anfang November steht die nächste Spitzenrunde von Bund und Ländern an. Nach diesem Wahlsonntag ist der Einigungsdruck auf die Ampel jedenfalls enorm.
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