Seit Mittwochabend ist klar: Die Ampel-Koalition ist am Ende – in den ersten Monaten des kommenden Jahres dürfte es Neuwahlen geben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, nur über den Zeitpunkt wird derzeit noch diskutiert. Was ist die Vertrauensfrage, was folgt aus dem Ergebnis und welche Bundeskanzler haben sie bereits gestellt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was genau bedeutet die Vertrauensfrage?
Nach Artikel 68 des Grundgesetzes kann der Bundeskanzler im Bundestag beantragen, ihm das Vertrauen auszusprechen. Er kann – muss aber nicht – es mit einem konkreten Gesetzgebungsvorhaben verknüpfen. Eigentlich soll das Instrument einem Kanzler helfen, die Reihen zu schließen und die eigene Machtbasis zu festigen. Alle Abgeordnete des Bundestags dürfen abstimmen, im Normalfall verfügt eine Regierungskoalition dabei über eine Mehrheit.
Was ist eine "unechte Vertrauensfrage" und wann ist sie zulässig?
Eine Vertrauensfrage kann auch mit dem Ziel gestellt werden, keine Mehrheit zu kriegen – sondern den Weg zu einer vorgezogenen Bundestagswahl zu ebnen. Das kam bereits vor und ist jetzt auch der Plan von Bundeskanzler Scholz. Rechtlich zulässig ist das: In der Vergangenheit erhielten "unechte Vertrauensfragen" nachträglich den Segen des Bundesverfassungsgerichts.
Verantwortlich dafür ist letztlich eine Besonderheit der deutschen Verfassung: Der Bundestag kann sich nicht selbst auflösen – eine Lehre aus der politisch instabilen Weimarer Republik (1918 bis 1933).
Welche Fristen gibt es, wann kommen Neuwahlen?
Wenn der Kanzler bei der Vertrauensfrage im Bundestag keine Mehrheit bekommt, wird er im nächsten Schritt den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat dieser nach Artikel 68 maximal 21 Tage Zeit. Kommt es dazu, dann muss gemäß Artikel 39 innerhalb von 60 Tagen ein neuer Bundestag gewählt werden.
Welche Rolle spielt der Bundespräsident?
Theoretisch kann der Bundespräsident auch seine Zustimmung verweigern und keine Neuwahlen ermöglichen. Der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) kündigte aber bereits an, den Bundestag bei einer verlorenen Vertrauensfrage von Scholz aufzulösen. Das Land brauche stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung, betont Steinmeier.
Welche Bundeskanzler haben die Vertrauensfrage gestellt?
In der bundesdeutschen Geschichte haben Kanzler insgesamt fünfmal die Vertrauensfrage gestellt. Nur in zwei Fällen hatten die Amtsinhaber die Absicht, sich den Rückhalt der Parlamentsmehrheit zu sichern: 1982 ließ sich Helmut Schmidt (SPD) in einer Koalitionskrise das Vertrauen aussprechen, trotzdem zerbrach seine Koalition mit der FDP kurz darauf. 2001 sicherte sich Gerhard Schröder (SPD) die Zustimmung für den umstrittenen Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, indem er die Abstimmung mit der Vertrauensfrage verband.
In den drei anderen Fällen nutzten Kanzler die Vertrauensfrage als Schachzug, um Neuwahlen einzuleiten: Dass 1972 Willy Brandt (SPD), 1982 der gerade ins Amt gekommene Helmut Kohl (CDU) und 2005 Gerhard Schröder (SPD) die Vertrauensabstimmungen verloren, war vorher abgesprochen. Alle drei Politiker handelten in der Hoffnung, bei Neuwahlen ihre Koalition zu stabilisieren.
Was ist der Unterschied zu einem konstruktiven Misstrauensvotum?
Einen Regierungswechsel ohne Neuwahl des Parlaments ermöglicht das Grundgesetz durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Ein Kanzler mitsamt seiner Regierung kann nur gestürzt werden, indem der Bundestag mit absoluter Mehrheit einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin wählt. Ohne ein solches konstruktives Vorgehen kann das Parlament der Regierung formal nicht das Misstrauen aussprechen.
Ist das Land nach einer Auflösung des Bundestags regierungslos?
Nein, auch nach der Auflösung des Bundestags ist Deutschland nicht politisch führungslos. Der Kanzler und sein Kabinett – mit Ausnahme dreier FDP-Minister – bleiben im Amt. Sie sind allerdings ohne Regierungsmehrheit im Bundestag, müssen also für Mehrheiten auf die Opposition zugehen. Die Aufgaben der ausgeschiedenen FDP-Kabinettsmitglieder (Finanzen, Justiz, Bildung) werden von Volker Wissing (Justiz) und Cem Özdemir (Bildung) übernommen. Auf den Posten von Christian Lindner als Finanzminister folgt Staatssekretär Jörg Kukies nach.
Die Bundesregierung bleibt auch vorerst im Amt, wenn nach der vorgezogenen Neuwahl die Koalitionsbildung schwierig wird. Das Grundgesetz sieht vor, dass der Kanzler auf Ersuchen des Bundespräsidenten verpflichtet ist, die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen.
Mit Informationen von dpa und Reuters
Dieser Artikel ist erstmals am 07.11.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.
Im Video: Der Weg zu Neuwahlen - Was ist eigentlich die Vertrauensfrage?
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