Michael schaut in die Kamera und kommt gleich zur Sache: Er sei einer der "Aktivisten", der sich am Morgen "über eine Hausdurchsuchung freuen durfte", sagt der junge Mann. Dabei hätten Beamte "wertvolle und wichtige Technik" beschlagnahmt. Deswegen bittet er jetzt um Spenden.
Unter dem Video, das seit Ende August im Messengerdienst Telegram verbreitet wird, ist ein Konto bei einer in Deutschland ansässigen Bank angegeben. Es steht für eine Herausforderung, die Ermittler, Behörden und Politiker umtreibt: Wie kann der Staat dem Rechtsextremismus seine finanzielle Grundlage nehmen?
Geld für rechtsextreme Aktionen
Das Konto, auf das Spender Geld einzahlen sollen, gehört zur Identitären Bewegung, einer rechtsextremen Organisation. Diese steht nach Einschätzung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) für Inhalte, die "gegen die grundgesetzlich verankerte Menschenwürde sowie das Demokratieprinzip" verstoßen und "mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar" sind.
Die Hausdurchsuchung geht zurück auf eine Aktion von Rechtsextremen Anfang Februar vor einer Asylunterkunft im bayerischen Peutenhausen, nordöstlich von Augsburg. Vermummte hatten dort Pyrotechnik entzündet und ein ausländerfeindliches Banner auf dem Boden ausgebreitet. Beides kostet Geld, ebenso wie Kameras, mit denen die rechtsextremen Täter ihre Aktionen für Propaganda festhalten. Seit der Aktion in Peutenhausen laufen Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung.
Bundesinnenministerin will rechtsextreme Netzwerke finanziell "austrocknen"
Solche Gruppen finanziell "austrocknen" – das ist das erste Ziel im "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus", den Bundesinnenministerin Nancy Faeser im März vergangenen Jahres gemeinsam mit den Chefs von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz in Berlin vorgestellt hat. "Denn ohne Finanzmittel gibt es keine Propaganda und keine Aktivitäten, um Menschen zu radikalisieren und zu rekrutieren", sagte Faeser. Die Maßnahmen im Aktionsplan sollten schnell umsetzbar sein – das zeigen interne Unterlagen aus dem Innenministerium, die BR Recherche vorliegen.
Doch es gibt Zweifel, dass in den vergangenen eineinhalb Jahren wesentliche Finanzströme der extremen Rechten trockengelegt wurden. "In der Praxis müssen wir sagen: Wir haben bisher nicht festgestellt, dass sich da viel geändert hat", sagt Miro Dittrich vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Die Forscher der gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Berlin beobachten rechtsextreme Aktivitäten systematisch.
Klassisches Bankkonto am beliebtesten
CeMAS hat für einen Report 1,3 Millionen Nachrichten aus mehr als 400 deutschsprachigen Telegram-Kanälen ausgewertet und untersucht, wie Rechtsextreme dort um Spenden werben. Der Bericht, der dem Bayerischen Rundfunk vorab vorlag, soll heute veröffentlicht werden. Er umfasst den Zeitraum September 2016 bis Mai 2023.
Die Analyse zeigt: Rechtsextreme werben offen um Spenden und verwenden dabei meist ihren echten Namen. Dabei nutzen sie vielfältige Wege, wie etwa den Zahlungsdienstleister PayPal, Kryptowährungen, Crowdfunding oder Spenden über Livestreaming-Plattformen.
Doch das klassische Bankkonto ist für Rechtsextreme nach wie vor das wichtigste Mittel, um für Spenden zu werben. "Es gibt zwar einzelne rechtsextreme Akteure, deren Bankkonto gekündigt wurde, aber allgemein stellt das eine sehr sichere und einfache Form der Finanzierung dar", sagt Miro Dittrich von CeMAS.
PayPal schließt nach BR-Anfrage Accounts von Rechtsextremen
BR-Reporter haben 109 IBANs und 38 PayPal-Konten, die Rechtsextreme für die Einwerbung von Spenden nutzen, bei den jeweiligen Banken im In- und Ausland sowie bei dem US-amerikanischen Zahlungsdienstleister abgefragt. Dabei hat der BR auch auf die Hintergründe der Konto- und Account-Inhaber hingewiesen, zum Beispiel auf Berichte von Verfassungsschutzbehörden.
PayPal hat bis Redaktionsschluss zehn Accounts deaktiviert, darunter mehrere aus dem Umfeld der Identitären Bewegung. Auf BR-Anfrage teilt PayPal mit, die anderen Accounts würden noch intern und in einem mehrstufigen Verfahren geprüft. "Wir legen großen Wert darauf, dass die Überprüfungen gründlich und gewissenhaft erfolgen, weshalb diese je nach Einzelfall längere Zeit in Anspruch nehmen können", so eine Sprecherin.
Auch einzelne Banken antworteten, vom BR abgefragte Konten seien gekündigt worden, teilweise schon vor der Anfrage. Mehrheitlich haben sich die Geldinstitute auf das Bankgeheimnis berufen und keine Angaben zu einzelnen Konten gemacht.
Rechtsextremismusforscher Dittrich fordert: Wenn Finanzdienstleister schon nach einfachen Presseanfragen Konten dicht machten, könnten auch die Behörden E-Mails an Banken schreiben und dafür sensibilisieren, wer dort Konten betreibt. Das sei eine staatliche Aufgabe: "Wenn der Plan ist, rechtsextreme Finanzströme auszutrocknen, sind hier ganz klar die Sicherheitsbehörden gefragt."
Finanzermittlungen im Verfassungsschutz "erheblich" ausgebaut
Die Recherche legt nahe, dass weder Innenministerium noch Verfassungsschutz auf Zahlungsdienstleister einwirken, konkrete Konten zu schließen. Denn dafür fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Das Ministerium verweist auf das Verfassungsschutzgesetz. Demnach darf der Nachrichtendienst Banken lediglich um Auskünfte zu einzelnen Konten bitten, also etwa zu Kontoständen oder Überweisungen. Die Hürden dafür sind hoch: Laut Gesetz müssen Tatsachen vorliegen, die Annahme rechtfertigen, dass "schwerwiegende Gefahren" drohen.
Das Bundesinnenministerium schreibt weiter, die im Aktionsplan gegen Rechtsextremismus beschlossene Austrocknung der Finanzströme werde durch den Verfassungsschutz umgesetzt. Dieser habe die Ressourcen und Fähigkeiten im Bereich der Finanzermittlungen in den vergangenen eineinhalb Jahren "erheblich ausgebaut".
Auf konkrete Erfolge verweisen die Behörden allerdings nicht. "Ein Schwerpunkt der Ausweitung der Aufklärung rechtsextremistischer Finanzaktivitäten liegt in der systematischen Analyse von kapitalbezogenen Strukturen und Zusammenhängen", schreibt das Innenministerium.
Rechtliche Hürden bei Kontosperrungen
Bei Banken sind Sperrungen rechtlich offenbar komplizierter als bei PayPal. So wehrte sich die Sparkasse Paderborn-Detmold erfolglos dagegen, ein Konto der "Identitären Bewegung" zu führen. Ein Gericht gab den Rechtsextremen zuletzt 2020 recht. Genau dieses Konto nutzte Michael für seinen Spendenaufruf nach der Hausdurchsuchung im August.
"Sparkassen können [...] die Kontoführung nur ablehnen, wenn mindestens ein sachgerechter Grund für die Ablehnung besteht", teilt der Deutsche Sparkassen- und Giroverband dem BR auf Anfrage mit. Die Sparkassen sehen Rechtsextremismus als einen "sachgerechten Grund", mit dem sie Konten sperren könnten. Allerdings seien die Gerichte bisher dieser Argumentation nicht gefolgt, schreibt der Verband.
Forderungen: Mehr Kompetenzen für Verfassungsschutz
Abgeordnete sehen noch Spielraum bei der Trockenlegung der Finanzen der extremen Rechten. Der CSU-Politiker Alexander Hoffmann sagte dem BR, der Bund müsse es den Banken erleichtern, Konten zu schließen, "wenn ersichtlich ist, dass eine Bankverbindung für rechtsextreme bzw. verfassungsfeindliche Umtriebe verwendet wird". Zudem forderte er neue Befugnisse für den Verfassungsschutz, Finanznetzwerke zu durchleuchten.
Auch der SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler forderte, dem Verfassungsschutz mehr Kompetenzen für die Analyse von Finanzen von Extremisten zu geben. Dass der Inlandsnachrichtendienst bislang nur bei einer "konkreten Gefahr" und Terrorismusfinanzierung auf Konten schauen könne, reiche nicht aus.
Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Grüne), Vorsitzender des für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium, sagte dem BR, die Koalition sei an einer "großen Reform des Rechts der Nachrichtendienste dran". Es gebe im Parlament eine Offenheit, sich "diesen Bereich anzugucken und gegebenenfalls auch gesetzlich nachzuschärfen", so von Notz.
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