Eine Regenbogenfahne im Stadion in Huddersfield (Großbritannien).
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Als Eckfahne kommt sie nicht zum Einsatz - doch das Tragen einer Regenbogenfahne soll während der Fußball-WM in Katar teilweise erlaubt sein.

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Wirbel um homophoben WM-Botschafter: "Nicht hinnehmbar"

Homophobe Äußerungen eines WM-Botschafters, aber zuletzt auch Zugeständnisse der Verantwortlichen: Im BR24-Interview spricht der Aktivist und Fußball-Liebhaber Bernd Reisig über die schwierige Situation zwei Wochen vor der Weltmeisterschaft in Katar.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Die homophoben Äußerungen eines katarischen WM-Botschafters in einer ZDF-Dokumentation stoßen in Deutschland auf heftige Kritik. Der Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes fordert vom Auswärtigen Amt vor der am 20. November beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft eine Reisewarnung "für alle Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche und queere Menschen". Die abwertenden Aussagen seien "verstörend und dennoch keine Überraschung".

Der frühere Fußballmanager Bernd Reisig, der mittlerweile unter anderem als Spielerberater arbeitet, hält dagegen nichts von einem Boykott. Als Teil einer Delegation von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war der 59-Jährige gerade in Katar – und vor der aktuellen Aufregung eigentlich vorsichtig optimistisch. Reisigs Stiftung unterstützt die Petition "Liebe kennt keine Pause", die im Vorfeld der WM den Druck auf Katar und den Deutschen Fußball-Bund (DFB) erhöhen will. Zuspruch erhält die Petition unter anderem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), anderen Spitzenpolitikern und mehreren Firmen.

Im BR24-Interview spricht Reisig über die Verhandlungen mit den Verantwortlichen vor Ort in Katar, Empfehlungen für WM-Touristen – und seine eigene Gefühlslage kurz vor dem WM-Start.

BR24: Herr Reisig, in einer ZDF-Dokumentation bezeichnet einer der katarischen WM-Botschafter Homosexualität als "geistigen Schaden". Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie davon gehört haben?

Reisig: Es gibt in der Welt viele verwirrte und dumme Aussagen über homosexuelle Menschen. Das ist eine davon. Ich bin allerdings schon ein bisschen erschrocken, weil das ja ein WM-Botschafter ist. Als wir vor einer Woche mit Bundesinnenministerin Faeser in Katar waren, hatten wir gute Gespräche – in denen wir alle kritischen Themen angesprochen haben. Vor allem, was die Belange queerer Menschen während der WM angeht.

Was genau haben Sie und die deutsche Delegation erreicht?

Für uns mögen das relativ kleine Schritte oder Selbstverständlichkeiten sein: dass man mit einer Regenbogenfahne laufen kann. Dass sich Pärchen händchenhaltend durch die Stadt bewegen oder auch mal einen Kuss geben können. Aber für die Kataris war das unserem Eindruck nach schon ein Quantensprung. Einige in Katar hat es schon Überwindung gekostet, uns zu treffen. Trotzdem: Solche homophoben Sprüche wie diese menschenverachtende und nicht hinnehmbare Äußerung zeigen natürlich, dass es in Katar noch sehr viel Redebedarf gibt. Es gibt dort eine tief verwurzelte Homophobie. Wo dieser WM-Botschafter in der Hierarchie einzustufen ist, kann ich nicht beurteilen.

Ihre Gesprächspartner in Katar waren hochrangiger?

Es waren die direkt Verantwortlichen – deren Aussagen in krassem Widerspruch zur aktuell diskutierten Wortmeldung stehen. Die deutsche Innenministerin hat mit dem Premierminister gesprochen. Wir haben mit dem Präsidium des WM-Organisationskomitees geredet, mit Sicherheitsleuten, mit der Polizei, auch mit Vertretern der Fifa.

"Unsere Argumentation geht andersherum"

Der WM-Botschafter, der dem ZDF ein Interview gegeben hat, sagt mit Blick auf die Fans aus anderen Ländern: "Ihr müsst unsere Regeln akzeptieren." In Katar stehen auf Homosexualität bis zu drei Jahre Gefängnis, immer wieder kommt es zu Prügelstrafen.

Gemäß der Scharia könnte es sogar die Todesstrafe geben. Das alles sind also Regeln, die wir definitiv nicht akzeptieren. Unsere Argumentation geht andersherum: Wer ein internationales Turnier ausrichtet, der muss sich die Gepflogenheiten der Welt aneignen. Dazu gehören Menschenrechte, sexuelle Vielfalt, Toleranz. Das muss eingehalten und gewährleistet werden.

Wenn schwule oder lesbische Fans nach Katar reisen: Würden Sie ihnen wirklich empfehlen, öffentlich Händchen zu halten oder sich zu küssen?

Wie gesagt: Wir haben in unseren Gesprächen diese Dinge angesprochen – und das wurde uns zugestanden. Auf der anderen Seite gab es ein paar Einschränkungen, die wir akzeptiert haben...

Welche Einschränkungen sind das?

Die Kataris möchten zum Beispiel nicht, dass in Moscheen die Regenbogenfahne gezeigt wird. Oder dass Polizisten Regenbogenflaggen umgehängt bekommen. Aber ansonsten hat man uns zugesichert, dass sich die WM-Touristen während des Turniers in Katar frei bewegen können. Diese Zusicherung hat auch die deutsche Bundesinnenministerin erhalten, wie gesagt vom katarischen Premierminister. Ich gehe davon aus, dass das Gültigkeit hat.

Fußball-WM in Katar: Regenbogenfahnen im Stadion erlaubt

Werden Regenbogenfahnen im Stadion erlaubt sein?

Ja. Diese Zusage gibt es schon seit Wochen.

Sie haben trotz der neuen Aufregung einen gewissen Optimismus, dass all diese Zusagen nicht nur Lippenbekenntnisse sind. Oder?

Das weiß ich noch nicht. Benjamin Näßler, der die Initiative "Liebe kennt keine Pause" gegründet hat, und ich überlegen gerade, nochmal hinzufliegen und die Lage vor Ort anzuschauen. Klar ist: Es gibt ein Restrisiko. Deshalb kann ich auch keine Empfehlung aussprechen. Ob die Kataris sich an ihre Zusagen halten, werden wir leider erst im Nachhinein wissen.

WM-Touristen müssen zwei Apps auf ihren Smartphones installieren, die offenbar weitreichend auf die jeweiligen Daten zugreifen können. Ist das eine zusätzliche Gefahr für homosexuelle Menschen, die zum Turnier reisen?

Ich bin kein IT-Spezialist, kann das deshalb nicht abschließend beurteilen. Aber es empfiehlt sich auf alle Fälle, diese Apps nach der Einreise wieder abzustellen. Für den Zugang zum Stadion kann man die benötigte App dann ja kurz wieder anstellen. Ich würde diese Apps während eines Aufenthalts in Katar auf keinen Fall durchgängig laufen lassen. Dafür wäre mir das Risiko zu groß, wenn ich die Datenschützer bei uns richtig verstehe.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie mit der Initiative "Liebe kennt keine Pause" von Fußballfans in Deutschland mit Blick auf mögliche Reisen zur WM – eher "Das tue ich mir nicht an" oder "Jetzt fahre ich erst recht hin"?

Da ist alles dabei. Natürlich erreicht uns jetzt nach unserer Reise auch Kritik, dass wir in dieses Land geflogen sind und Gespräche gesucht haben. Es gab aber auch positive Reaktionen. Journalisten, die in Katar dabei waren, haben gesagt: Ihr habt mehr erreicht als man vor der Reise gewagt hat zu denken. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir Dinge nur im Dialog verändern können. Einen Boykott zu fordern, nutzt meines Erachtens nichts.

"Fußballspieler sollten sich äußern"

Bisher haben wir nur über Fans geredet. Was erwarten Sie bei dieser Weltmeisterschaft von Fußballspielern, die eine politische Haltung haben?

Ich finde schon, dass Fußballspieler sich äußern sollen. Gerade wenn es um die Unterdrückung von queeren Menschen geht, sollten die Spieler klar Farbe bekennen. Wir haben das bei der Europameisterschaft 2020 sehr eindrucksvoll mit den Regenbogenfahnen erlebt. Zur Erinnerung: Im EU-Land Ungarn gab es damals wegen der Fahnen große Probleme. Und auch jetzt gilt: Wir müssen Flagge zeigen. Und wir müssen solidarisch sein mit den queeren Menschen in Katar, die unter furchtbaren Bedingungen leben müssen.

Spüren Sie trotz der komplizierten Ausgangslage irgendeine Form von Vorfreude auf das Turnier?

Leider nein. Obwohl ich ein totaler Fußballfan bin. Die Menschenrechtslage und die Verfolgung queerer Menschen beschäftigt mich mehr als das Fußballfest, auf das wir uns normalerweise immer freuen. Deshalb ist für mich klar: Bei künftigen WM-Vergaben muss auf Aspekte wie die Menschenrechte geachtet werden. Unter den Bedingungen wie im Fall Katar darf eine Weltmeisterschaft nicht mehr vergeben werden. Aber jetzt ist sie nun mal da – und wir müssen das Beste daraus machen.

Wirbel um homophoben WM-Botschafter: "Nicht hinnehmbar"
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