Den zweiten Tag in Folge ein neuer Höchststand: Deutschlands 7-Tage-Inzidenz liegt bei 213,7, in Bayern sogar bei 348. Um den steigenden Zahlen zu begegnen, werden mehrere Maßnahmen gefordert: Der Marburger Bund fordert eine bundesweite 2G-Regel überall im öffentlichen Raum; die Ampel-Parteien wollen verpflichtende 3G-Regeln am Arbeitsplatz und die kostenlosen Schnell-Tests wieder einführen.
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Genauso rückt die Impfkampagne wieder in Vordergrund: Dabei geht es zum einen um bisher ungeimpfte Menschen – 32,8 Prozent der Deutschen sind noch nicht vollständig geimpft – zum anderen um Auffrischungs-Impfungen. Von diesen sind laut Robert-Koch-Institut (RKI) bisher rund 2,8 Millionen verabreicht worden.
Grafik: Zahlen zur Corona-Impfung in Deutschland und Bayern
Aus anderen Ländern Europas wird teilweise überrascht nach Deutschland geblickt, was den Fortschritt der Impfkampagne angeht. "Wir schauen mit Erstaunen und ein bisschen Kummer darauf, was in Deutschland passiert", erklärte beispielsweise der Politökonom Miguel Otero dem "Spiegel". Otero ist Corona-Berater der spanischen Regierung und hat die dortige Öffnungsstrategie mitentwickelt.
Spanien gehört zu den Ländern in Europa, in denen die meisten Corona-Impfdosen pro 100 Einwohner verabreicht wurden. Die anderen führenden Länder in diesem Ranking Malta, Island, Portugal, Großbritannien und Dänemark. Was haben diese Länder anders gemacht und wie ist dort aktuell die Corona-Lage?
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Die in diesem Artikel genannten Daten zur Impfquote stammen von dem Portal "OurWorldInData", eine bei der University of Oxford angesiedelte Online-Publikation, die sich mit der Entwicklung globaler Probleme beschäftigt. Die Zahlen geben an, wie viele Corona-Impfdosen pro 100 Menschen im Land gegeben wurden - das heißt, es werden bereits Auffrischungs-Impfungen mitgezählt. In Deutschland liegt dieser Wert aktuell bei 134,88. Die Zahlen zu den Corona-Inzidenzen entstammen der Datenbank der Johns-Hopkins-Universität.
Grafik: Die sechs Länder mit den meisten verabreichten Corona-Impfdosen pro 100 Einwohner
Dänemark: Hohe Impfquote - aber auch wieder hohe Inzidenz
"Wir Dänen setzen traditionell sehr großes Vertrauen in die Behörden und in die Politik. Wir neigen hier dazu, das zu tun, was uns Gesundheitsbehörden raten, weil wir unseren Teil zur Bekämpfung der Krankheit beitragen wollen", erklärte Dänemarks Chef-Epidemiologin Lone Simonsen jüngst dem "Spiegel". Das Land liegt bei 152,39 verabreichten Impfdosen pro 100 Einwohnern.
Simonsen ist zu einem bekannten Gesicht in Dänemark geworden, trägt den Spitznamen "Corona-Lone". Sie erklärt ihren Landsleuten die Pandemie und dem Rest der Welt den dänischen Weg. Und dieser schien sehr erfolgreich: Kurzzeitig sah es so aus, als sei Corona kein Thema mehr – ein öffentliches Leben ohne Masken und G-Regelungen möglich.
Doch zuletzt ging die Inzidenz wieder nach oben und liegt aktuell bei 279. Angesichts dieser Zahl will die dänische Regierung das öffentliche Leben nun wieder einschränken. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen erklärte, man halte es für notwendig, den sogenannten Corona-Pass wieder einzuführen. Das würde bedeuten, dass etwa die Gastronomie und bestimmte Veranstaltungen nur für Geimpfte, Genesene und negativ Getestete zugänglich sind.
Außerdem wolle die Regierung vorschlagen, dass Covid-19 wieder als eine "gesellschaftsbedrohende Krankheit" kategorisiert werde, sagte Frederiksen. Anfang September erst hatte man diesen Status – ähnlich der Einstufung "Epidemischen Lage nationaler Tragweite" – zurückgenommen. Den aktuellen Anstieg der Infektionen führt Frederiksen auf eine "kleine Gruppe" zurück, die sich nicht an die Regeln halte.
Großbritannien: Die Frühstarter
Die Impfkampagne in Großbritannien galt schon früh als Erfolg. Kaum ein Land hat mehr in Forschung, Produktion und Einkauf der Impfstoffe investiert. Arztpraxen waren von Anfang an involviert. Nicht wenige schauten vom europäischen Festland aus lange neidisch Richtung Insel.
Großbritannien steht gegenwärtig bei 155,61 verabreichen Impfdosen pro 100 Einwohnern. Über 80 Prozent der Menschen sind vollständig geimpft. Am 19. Juli wurde der "Freedom Day" gefeiert – das Ende fast aller Corona-Maßnahmen.
Inzwischen liegt die Inzidenz im Land wieder bei 352. "Das hat auch damit zu tun, dass die Menschen sich daran gewöhnt haben, mit Corona zu leben. Es betrifft sie nicht. Sie denken, ich bin voll geimpft. Sie denken, die Pandemie ist vorbei", erklärte der Apotheker Waka Shake Ende Oktober der BBC. Viele Briten sind Corona-müde, auch deswegen läuft es mit den Booster-Impfungen eher schleppend an.
Der Verband der Ärzte in Großbritannien warnte wegen dieser Entwicklung bereits, die Regierung sollte Schutzmaßnahmen wieder einführen. Der Gesundheitsdienst NHS werde sonst bald überfordert sein. Premierminister Boris Johnson hat bisher aber keine Kursänderung in Aussicht gestellt.
Spanien: Vom Problem-Fall zum Vorbild
Besser sieht es auf der iberischen Halbinsel aus: Spanien ist von einem Problem-Fall zu einem Vorzeigeland der Corona-Bekämpfung geworden. Die Inzidenz liegt bei 45 – der zweitniedrigste Wert in Europa nach dem Kosovo (6,3). Die verabreichten Impfdosen pro 100 Einwohner liegt bei 155,3. Über 80 Prozent der Spanier sind geimpft, bei Teenagern liegt die Quote sogar bei über 85 Prozent.
Das Fachmagazin "The Lancet" hält es deswegen für möglich, dass das Land bereits Herdenimmunität erreicht hat. In Bezug auf die gute Corona-Lage erklärte Jesús Rodríguez Baño, Leiter der Abteilung Infektionskrankheiten am Virgen de la Macarena Krankenhaus in Sevilla, gegenüber "The Lancet": "Die einzig logische Erklärung ist die sehr hohe Impfquote im Land."
Die wurde dadurch erreicht, dass jeder Spanier aktiv angerufen und zu einer Impfung aufgefordert wurde. Auch die Erlebnisse aus der ersten Corona-Welle, die das Land hart getroffen hat, scheint die Bereitschaft, sich gegen das Virus impfen zu lassen, im Land erhöht zu haben.
Portugal: Mit Militärdrill zum Impferfolg
Um die hohe Impfquote Portugals zu erklären, kommt man nicht um die Person Henrique Gouveia e Melo herum: Der Vize-Admiral organisierte die Impfkampagne. Das ganze Land kennt ihn, denn Henrique Gouveia e Melo hat sich immer wieder im Kampfanzug vor die Fernsehkameras gestellt. Portugal führe einen Krieg gegen das Coronavirus, so seine deutlichen Worte. Das hat bei den Menschen offenbar Eindruck hinterlassen, fast 90 Prozent der Portugiesen sind inzwischen vollständig geimpft. Mission erfüllt, der Vize-Admiral hält es inzwischen nicht mehr für nötig, an der Spitze der Kampagne zu stehen. In Portugal musste niemand seiner Impfung hinterherlaufen: Jeder im Land bekam von den Gesundheitsbehörden einen Anruf oder eine Nachricht mit einem Terminvorschlag – gestaffelt nach Altersgruppen und Vorerkrankungen.
Dass sich so viele Portugiesen gegen Corona impfen lassen, dürfte aber auch – ähnlich wie in Spanien - mit dem Einschlag der Pandemie zusammenhängen: Das Land war zeitweise das am härtesten getroffene in Europa, das Gesundheitssystem konnte die vielen Covid-19-Erkrankten nicht mehr versorgen.
Das wollen die Portugiesinnen und Portugiesen nicht noch einmal erleben und stecken auch deshalb ihre Hoffnung in die Impfung. Dazu kommt: Impfskeptiker gibt es in Portugal kaum, auch keine größeren Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Die Inzidenz liegt gegenwärtig bei 69.
Malta und Island: Kleine Länder mit hohen Quoten
Die Länder mit den meisten verabreichten Corona-Impfdosen pro 100 Einwohner in Europa sind die beiden Insel-Staaten Malta (172,64) und Island (167,36). Ein wahrscheinlicher Grund für deren hohe Quote: Eine nationale Kampagne lässt sich bei genügend Impfstoff prinzipiell leichter organisieren, wenn man vergleichsweise wenige Menschen auf weniger Raum versorgen muss. Malta hat rund 520.000 Einwohner und damit ungefähr so viele wie Nürnberg, auf Island sind es 370.000 – in etwa die Einwohnerzahl von Bochum.
Auf Malta sind laut Landesangaben bereits seit Ende August über 90 Prozent der Bevölkerung im Alter von über zwölf Jahren geimpft. Es war das weltweit erste Land, das diese Quote erreicht hat. Die Regierung hat deswegen alle Impfstellen - bis auf eine Impfstelle an der einzigen Universität im Land - geschlossen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt auf der Mittelmeer-Insel gegenwärtig bei 58.
Von einer derartigen Inzidenz liegt Island dagegen deutlich entfernt. Dort liegt der Wert aktuell bei 244. Wegen der steigenden Zahlen hat Island jüngst wieder eine Maskenpflicht eingeführt. Allen Menschen auf der Nordatlantik-Insel im Alter von über 16 Jahren soll zudem eine dritte Impfdosis zur Auffrischung des Impfschutzes gegen Covid-19 angeboten werden. Ein möglicher Grund für die unterschiedliche Entwicklung der beiden Länder kann auch sein, dass sich das öffentliche Leben in Island stärker in Innenräumen abspielt aus auf Malta.
Länder mit geringen Impfquoten vor allem in Osteuropa
Auf die oben genannten Länder folgen Italien, Frankreich, Irland, Finnland, Norwegen, Belgien, Schweden, Niederlande und Zypern, die auch allesamt mehr Corona-Impfdosen pro 100 Einwohner verabreicht haben als Deutschland.
Je weiter man in Europa nach Osten geht, desto geringer wird die Zahl der verabreichten Corona-Impfdosen. Die Schlusslichter bilden Rumänien (67,56 verabreichte Dosen pro 100 Einwohner) und Bulgarien (42,54). Auch Länder wie Polen, Kroatien und die Slowakei liegen weiter hinten. Besonders Rumänien gilt als Problem-Fall – dem Gesundheitssystem im Land droht wegen der Corona-Pandemie ein Zusammenbruch. Mittlerweile werden Covid-19-Patienten von Rumänien zur Versorgung nach Deutschland gebracht.
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten schreibt in einem Bericht, dass unter anderem "mangelndes Vertrauen in den Staat" Probleme bei der Akzeptanz von Impfungen verursachen können. Besonders in osteuropäischen Staaten ist Misstrauen gegenüber dem Staat und dessen Institutionen viel stärker vorhanden als beispielsweise in den skandinavischen Ländern.
Dass die Quoten von West nach Ost abnehmen, ist auch in Deutschland zu beobachten: Während der Anteil der vollständig Geimpften laut RKI in Bremen (78,8%), Saarland (73,7%) und Hamburg am höchsten ist, ist er in den Bundesländern Sachsen (57,2%), Brandenburg (61,0%) und Thüringen (61,1%) am niedrigsten.
Studie: Corona-Maßnahmen auch bei hohen Impfquoten notwendig
Experten weisen immer wieder auf den Zusammenhang zwischen hohen Corona-Zahlen und niedrigen Impfquoten hin. Das RKI erklärte in einem seiner epidemiologischen Bulletins im Juli: "Zur Eindämmung der Pandemie kommt es maßgeblich darauf an, in der Bevölkerung rasch hohe Impfquoten zu erreichen". Beispiele wie Dänemark, Island oder Großbritannien zeigen allerdings, dass die Infektionszahlen auch trotz hoher Impfquoten steigen können.
Eine Studie von britischen Forschern kam deswegen jüngst zu dem Ergebnis, dass Corona-Maßnahmen auch bei erfolgreichen Impfkampagnen notwendig sein. "Kontinuierliche Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung wie das Tragen von Masken, Abstand halten und Tests bleiben wichtig, auch bei geimpften Menschen", schrieb eine der Co-Autorin der in der Zeitschrift "Lancet Infectious Diseases" veröffentlichten Studie.
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Mit Material von dpa
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