EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen spricht am 14.02. bei der Münchner Sicherheitskonferenz
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EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen spricht am 14.02. bei der Münchner Sicherheitskonferenz

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"Zahltag ist jetzt": EU auf dem Weg zur Aufrüstung?

"Zahltag ist jetzt": EU auf dem Weg zur Aufrüstung?

Die USA haben angekündigt, in Zukunft weniger für Europas Sicherheit aufzukommen. Vor allem für die EU heißt das: Deutlich mehr in die eigene Verteidigung investieren. Experten beklagen riesige Mängel in dem Bereich. Wie um Lösungen gerungen wird.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Innerhalb eines Fingerschnippens – so schnell müsse es gehen, meint Dovilė Šakalienė. So schnell müsse Europa künftig bereit sein, sich gegen Angriffe, etwa von Russland, zu verteidigen. Die litauische Verteidigungsministerin warnt, sie appelliert und sie ist mit einer Forderung nach München gekommen: Es müsse massiv in Aufrüstung investiert werden, sagt sie am Rand einer Veranstaltung der vbw in München gegenüber BR24. "Der Zahltag ist jetzt da", so Šakalienė. Jetzt, wo die USA angekündigt hätten, weniger sicherheitspolitische Verantwortung für Europa zu übernehmen.

Die Verteidigungsministerin spricht im eigenen Interesse: Litauen liegt an der Ostflanke der EU und sieht sich potenziellen Aggressionen Russlands besonders ausgesetzt. Die nächsten zehn Jahre hält Šakalienė für entscheidend, ob es Europa schaffe, stärker aufzutreten als bisher – vor allem, was seine Verteidigungsfähigkeit betrifft.

Bericht: EU-Rüstungsindustrie zu national, Infrastruktur fehlt

Zwar haben die EU-Staaten gemeinsam die zweithöchsten Rüstungsausgaben weltweit – nur die USA kommen auf ein Vielfaches. Aber das spiegele sich nicht in der Verteidigungsfähigkeit wider, wie aus dem Bericht des früheren EZB-Chefs Mario Draghi zu Wettbewerbsfähigkeit der EU hervorgeht. Die Rüstungsindustrie sei demnach zu zersplittert, viele Länder produzieren ihre eigenen Waffen. Was dazu führt, dass es in Europa zwölf verschiedene Panzertypen gibt, in den USA dagegen nur einen, den Abrams. Angesichts der Kleinstaaterei könne weder in großem Stil noch einheitlich produziert werden. Laut Experten fehlt es zudem an der notwendigen Infrastruktur in Europa: Brücken und Güterwaggons, die Militär und Material transportieren können.

US-Forderung setzt EU unter Druck

Die Forderung von US-Präsident Donald Trump, die Nato-Mitgliedstaaten müssten deutlich mehr in die eigene Verteidigung investieren – fünf statt wie bisher zwei Prozent ihres BIPs – drängt viele der Länder zusätzlich in die Ecke. Nach Informationen der dpa könnte es jedoch auf 3,6 Prozent hinauslaufen. Gefragt, ob Deutschland die Vorgaben erfüllen könne, gibt sich Verteidigungsminister Boris Pistorius auf der Münchner Sicherheitskonferenz zuversichtlich: Es sei nicht die Frage, "'ob' es möglich ist, sondern 'wann'". Deutschland kam im vergangenen Jahr durch das Sondervermögen für die Bundeswehr jedoch gerade auf 2,1 Prozent.

Auf europäischer Ebene müssen in den nächsten zehn Jahren, nach Einschätzung der EU-Kommission, mindestens 500 Milliarden Euro in die Verteidigung investiert werden. Und selbst diese Zahl hält Benedikta Freiin von Seherr-Thoß, Generaldirektorin beim Auswärtigen Dienst der EU, für "eine sehr konservative Rechnung". "Der Bedarf ist fast uferlos", wie sie bei "Nachgefragt", dem YouTube-Format der Bundeswehr sagt. Derzeit sind im Haushalt der EU für den Sektor Verteidigung bis 2027 acht Milliarden Euro vorgesehen - Streitpunkt zwischen den Staaten bleibt also, woher das Geld für Waffen und eine bessere Luft- sowie Cyberabwehr kommen soll.

Stärkere Verteidigung gefordert – Finanzierungsideen umstritten

Mehrere Ideen standen in den vergangenen Wochen im Raum: die Europäische Investitionsbank (EIB) zu höheren Ausgaben im Sicherheitsbereich aufzufordern. Ein Vorschlag, den auch Deutschland unterstützt. Problem: Die EIB will ihre Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit heuer zwar auf zwei Milliarden Euro verdoppeln. Doch überwiegend finanziert sie Klimaschutzprojekte und gewährt Kredite für sogenannte "Dual-Use-Güter", also Produkte, die zivil und militärisch genutzt werden können. Dazu zählen etwa Drohnen und Flugzeuge. Fördergelder für Waffen sind nicht von ihrem Mandat gedeckt. Dieses zu ändern wäre zwar möglich, aber umstritten, da die Förderbank dadurch ihr gutes Rating im Bereich nachhaltiger Investments verlieren könnte.

Eine weitere Idee lautet, die Länder der EU sollten sich gemeinsam verschulden, sogenannte "Defense Bonds" aufnehmen, um damit zumindest einen Teil der hohen Verteidigungsausgaben bewältigen zu können. Das Vorhaben wird unter anderem durch Bundeskanzler Olaf Scholz strikt abgelehnt. Hintergrund ist, dass Deutschland als wirtschaftlich stärkster Mitgliedsstaat ein hohes Risiko tragen und den größten Teil der Zinsen zahlen müsste.

Von der Leyen: Schuldenregeln könnten aufgeweicht werden

Nach einem informellen EU-Gipfel Anfang Februar, wird dagegen nun stärker diskutiert, die Haushaltsregeln der EU-Länder zugunsten der Verteidigung aufzuweichen. Außerdem sollten mehr private Gelder fließen, d.h. Banken sollen ihre "Kreditvergabepraxis" im Bereich Rüstung "modernisieren", wie EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen vorgeschlagen hat.

Beide Ideen bekräftigte von der Leyen bei der Münchner Sicherheitskonferenz: Über die Aktivierung einer Sonderklausel zu den europäischen Schuldenregeln sollen höhere Verteidigungsausgaben für die Länder ermöglicht werden.

Zuletzt war die Aufweichklausel 2020 in der Corona-Pandemie aktiviert worden. Man habe damals die Mitgliedstaaten in die Lage versetzt, ihre Investitionen zur Bewältigung der Krise massiv zu erhöhen, sagte von der Leyen. "Ich glaube, wir befinden uns jetzt in einer neuen Krise, die einen ähnlichen Ansatz rechtfertigt." Wann dies passieren soll, teilte sie aber nicht mit. Dennoch, so von der Leyen, sei Handeln, das "was jetzt wirklich zähle, in der neuen Realität".

Mit Informationen von dpa und AFP

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