Der mutmaßliche Attentäter von München, der am Donnerstag mit seinem Auto in einen Demonstrationszug gerast ist, war laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zuvor nicht straffällig geworden und war auch nicht ausreisepflichtig. Das sagte Herrmann in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Farhad N., ein 24-jähriger Afghane, soll demnach eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis von der Stadt München gehabt haben.
Zunächst war von Delikten gesprochen worden
Gegen ihn sei auch nicht wegen Ladendiebstahls ermittelt worden, vielmehr sei er als Ladendetektiv nur als Zeuge eines Diebstahls in Erscheinung getreten – das bestätigte auch Herrmann. Wie der Bayerische Rundfunk aus Sicherheitskreisen erfuhr, bestanden zu keiner Zeit Hinweise auf eine Gefährdung, ebenso gibt es demnach keinerlei Staatsschutzeinträge.
Am Mittag hatte Herrmann zwei Stunden nach der Tat berichtet, der 24-Jährige sei im Zusammenhang mit Ladendiebstählen und Drogendelikten auffällig geworden. Diese Fehlinformationen seien wohl der Kürze der Zeit geschuldet gewesen, so ein Polizeisprecher auf Anfrage.
Auffälliger Post in den sozialen Medien
Bei Instagram war der Verdächtige am Mittwoch durch einen Post aufgefallen. Der Inhalt dieses Posts sei laut Sicherheitskreisen "Oh Allah, beschütze uns immer" gewesen. Inzwischen sind alle Kanäle von Farhad N. in den sozialen Medien abgeschaltet worden.
Im Internet finden sich jedoch Fotos von Farhad N. vor einem weißen Mini Cooper, der nach BR-Recherchen das Tatfahrzeug ist. Die Fotos sind im vergangenen Jahr aufgenommen worden und liegen BR24 vor. Es gibt Hinweise darauf, dass der Täter Bodybuilder ist und auch an bayerischen Meisterschaften teilgenommen hat.
Am Nachmittag durchsuchten Ermittler laut dpa-Informationen die Wohnung des Tatverdächtigen in einem Mehrfamilienhaus im Münchner Stadtteil Solln. Laut Informationen der Polizei soll der Mann am Freitag einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.
Autofahrer fährt in Verdi-Streikzug – Dutzende Verletzte
Der Verdächtige war am Donnerstagmittag in der Münchner Maxvorstadt in eine Menschenmenge gefahren. Laut Polizeiangaben vom frühen Abend sind dabei 30 Menschen verletzt worden; davon seien nach den Worten von Oberbürgermeister Reiter acht bis zehn Menschen schwerst verletzt worden. Dazu kämen noch acht schwer verletzte Menschen, nur ganz wenige seien leicht verletzt, sagte er am Abend in München. Mehrere Menschen sollen demnach noch in Lebensgefahr schweben. "Es besteht das Risiko für schlimmere Folgen. Wir müssen heute alle hoffen und beten, dass es keine Todesfälle gibt." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, die Gedanken seien auch "bei dem Kind, um dessen Leben die Ärzte immer noch ringen".
Bei der Menschengruppe handelte es sich um Teilnehmer eines Streikzugs. An der von der Gewerkschaft Verdi veranstalteten Demo nahmen laut Polizei etwa 1.500 Menschen teil. Der Täter hatte sich von hinten genähert, ein Polizeifahrzeug, das am Ende des Demonstrationszugs fuhr, überholt und war von hinten mit mehr als 50 km/h in die Menschengruppe gerast. Der Vorfall ereignete sich in unmittelbarer Nähe des Münchner Stiglmaierplatzes. Ein Großaufgebot von Einsatzkräften der Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften war vor Ort. Auch Rettungshubschrauber waren im Einsatz.
Söder spricht von "mutmaßlichem Anschlag"
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach vor Journalisten von einem "mutmaßlichen Anschlag". Die genauen Umstände sind noch Gegenstand der Ermittlungen. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) teilte mit, dass die "Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus" bei der Generalstaatsanwaltschaft München die Ermittlungen führe. Diese sagte dem BR, dass ein extremistischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden könne, was auch die Polizei bestätigte.
Auch Innenminister Joachim Herrmann (CSU) geht vom einem Anschlag aus – als Grund dafür führt er in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk den Tathergang an. "Wir gehen von einem Anschlag deswegen aus, weil der Täter eben sich von hinten dieser Demonstration genähert hat. Er dann die Polizeifahrzeuge umkurvt hat und dann mit, wie Augenzeugen sagen, wohl erhöhter Geschwindigkeit in die Menschenmenge hineingerast ist. Und bei einem solchen Ablauf kann man nun nicht mehr an einen Unfall glauben."
Das Motiv des Täters ist bislang nicht bekannt; nach Angaben der Polizei in der bayerischen Landeshauptstadt lagen aber "Anhaltspunkte für einen extremistischen Hintergrund" vor. Die Ermittlungen laufen. Nach der Tatortarbeit wurde der betroffene Bereich in München am Abend wieder für den Verkehr freigegeben.
Polizei nimmt Amokfahrer fest – keine weiteren Beteiligten
Nach der Tat nahm die Polizei den Mann fest. Der 24-Jährige sei bei der Festnahme leicht verletzt worden, aber nicht durch Schusswaffengebrauch. Es gibt nach Polizeiangaben keine Hinweise auf weitere Beteiligte. Ein Augenzeuge berichtete, dass das Auto vorsätzlich in die Menschenmenge gefahren sein soll. Die Polizei bestätigte dem BR, dass ein Schuss in Richtung des Fahrers gefallen sei.
"Ich bin in dem Demonstrationszug mitgegangen", schilderte ein weiterer Augenzeuge dem BR. Als das Auto in die Menschenmenge fuhr, sei er hingelaufen und "ich habe gesehen, dass ein Mann unter dem Auto gelegen ist. Dann habe ich versucht, die Tür aufzumachen, die war aber abgesperrt." Schließlich sei die Polizei gekommen und habe auf das Autofenster geschossen, deshalb habe er sich zurückgezogen und sich um die Verletzten gekümmert.
Wie der BR aus Polizeikreisen erfuhr, sprechen weitere Zeugen von insgesamt sieben Menschen, die unter die Räder geraten sein sollen. Der Fahrer habe noch einmal absichtlich aufs Gaspedal gedrückt.
Anlaufstellen für Augenzeugen und Betroffene
Zeugen können relevante Videos oder Bilder von den aktuellen Ereignissen unter folgendem Link der Polizei zur Verfügung stellen (externer Link). Zusätzlich hat das BLKA eine Servicehotline für Hinweise eingerichtet unter der Nummer 0800/ 300 000 60.
Für Betroffene wurde zudem eine Krisenhotline eingerichtet. Wer dringend psychische Unterstützung braucht, kann sich beim Krisendienst der Psychiatrie Oberbayern melden. Die Krisenhilfe ist rund um die Uhr unter der Nummer 0800/6553 000 kostenlos erreichbar und steht in 120 Sprachen zur Verfügung.
Auch die Telefonseelsorge der Erzdiözese München und Freising stellt ein Krisentelefon zur Verfügung. Melden können sich Betroffene, Angehörige und Augenzeugen von 8 bis 22 Uhr unter der Telefonnummer 089/1271 8590.
Im Video: Nach mutmaßlichem Anschlag - Trauer in München
Nach mutmaßlichem Anschlag - Trauer in München
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