Ein Herz mit der Aufschrift "Zum Gedenken & für die Opfer 6 gegen rechte Hetze! #OneLove" liegt nahe der Stelle, wo am Vortag ein Auto in in eine Ver.di Demonstration gerast war, und wird von einer Frau fotografiert.
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Gedenken am Tatort in München.

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Anschlag in München: Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen

Anschlag in München: Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen

Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen zu dem Anschlag auf Demonstranten in München mit 39 Verletzten übernommen. Die Karlsruher Behörde erklärte dies mit der besonderen Bedeutung des Falls. Der Verdächtige sitzt inzwischen in U-Haft.

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Wegen der besonderen Bedeutung des Falls hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zu dem Anschlag auf den Verdi-Demonstrationszug in München mit fast 40 Verletzten übernommen.

"Es besteht der Verdacht, dass die Tat religiös motiviert war und als Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verstehen ist", teilte die oberste Anklagebehörde in Deutschland in Karlsruhe mit. Damit sei die Tat geeignet, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Die Bundesanwaltschaft übernimmt die Ermittlungen von der Generalstaatsanwaltschaft München. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen werden vom Bayerischen Landeskriminalamt fortgeführt.

Verdächtiger war Fitnessmodel

Die Ermittler gehen bisher von einem islamistischen Motiv des Autofahrers aus. Nach seiner Festnahme habe der 24-jährige Afghane "Allahu Akbar" gerufen und gebetet, sagte Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann von der Generalstaatsanwaltschaft München. Derzeit sehe man aber keinen Bezug zu einer terroristischen oder extremistischen Vereinigung. Auch gebe es keine Hinweise auf Mittäter, so Tilmann.

Zwar stünden die Ermittlungen noch am Anfang, betonte Tilmann. Sie traue sich aber, nach derzeitigem Stand von der Annahme eines islamistischen Hintergrunds zu sprechen, sagte sie und verwies auch auf entsprechende Whatsapp-Nachrichten und Social-Media-Posts. Neben religiösen Inhalten sei der Mann auf Social Media auch als Fitnessmodel unterwegs gewesen, hieß es.

LKA: "Gewisse islamistische Ausrichtung"

Auch nach Angaben des Landeskriminalamts konnte bei der Auswertung des Handys des Mannes "eine gewisse islamistische Ausrichtung" festgestellt werden. Zudem sei ein Chat mit Angehörigen aufgefallen, in dem er äußerte: "Vielleicht bin ich morgen nicht mehr da." Bisher gebe es aber keine Hinweise auf eine Planung der Tat. In seiner Vernehmung bezeichnete sich der Mann selbst als religiös. Er besuchte regelmäßig eine Moschee.

Farhad N. war am Donnerstagvormittag mit einem Auto in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi gerast. Warum die Demo zum Ziel wurde, ist demnach noch unklar. Der Fahrer räumte ein, dass er bewusst in die Menschenmenge gefahren sei. Das Fahrzeug gehörte ihm. Details zu den Äußerungen während der Vernehmung wollte Tilmann nicht nennen.

Polizei gab Schuss ab

Bei der Festnahme des Afghanen hatte die Polizei auch auf seinen Wagen geschossen. "Der Täter wurde dabei aber nicht getroffen und durch den Schuss auch nicht verletzt", hieß es. Den Beamten sei es gelungen, den Täter aus dem Auto zu ziehen, obwohl dieser noch versucht habe, erneut Gas zu geben.

Im Video: Leitende Oberstaatsanwältin Tilmann zu den Ermittlungen

Leitende Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann
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Leitende Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann

Zahl der Verletzten steigt auf 39

Die Zahl der Verletzten stieg laut Polizei auf 39. Ein Teil von ihnen sei schwer verletzt worden, teilte die Polizei mit. Ein zweijähriges Mädchen im Haunerschen Kinderspital befinde sich in kritischem Zustand auf der Intensivstation. "Nach einer Notfalloperation gestern, liegt das Kind in stabilem, aber kritischem Zustand weiter auf der Intensivstation", sagte Professor Oliver Muensterer, Direktor der Klinik für Kinderchirurgie am Haunerschen Kinderspital. Eine Prognose über den weiteren Verlauf könne derzeit nicht abgeben werden.  

Am LMU Klinikum wurden an den beiden Standtorten Großhadern und Innenstadt insgesamt 14 Verletzte behandelt. Einige Patienten waren schwer verletzt, vier mussten den Angaben zufolge umgehend operiert werden.

Vorwurf: 39-facher versuchter Mord

Der Tatverdächtige wurde inzwischen dem Ermittlungsrichter vorgeführt und sitzt nun in Untersuchungshaft. Das habe ein Ermittlungsrichter angeordnet, teilte die Generalstaatsanwaltschaft München mit. Dem 24-Jährigen wird versuchter Mord in 39 Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie in Tateinheit mit schwerem gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr vorgeworfen – mit "den Mordmerkmalen der Heimtücke, der niedrigen Beweggründe und gemeingefährlichen Mittel".

Posttraumatische Belastungsstörung als Jugendlicher

Derzeit gebe es keine Hinweise auf psychische Probleme, so Tilmann in der Pressekonferenz. Deshalb werde auch nicht beantragt, den Mann vorläufig in der psychiatrischen Unterbringung aufzunehmen. Die Staatsanwältin bestätigte, der 24-Jährige sei 2016 als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen und zum Tatzeitpunkt nicht ausreisepflichtig gewesen. Er habe im Münchner Stadtteil Solln zur Miete gewohnt und im Sicherheitsgewerbe gearbeitet. Der Mann habe keine Vorstrafen gehabt, sagte Tilmann. Es habe nur einmal in Bayern ein Verfahren wegen Arbeitsamtsbetrugs gegeben. Er habe sich arbeitslos gemeldet, dann eine Tätigkeit begonnen und sich nicht rechtzeitig wieder abgemeldet. Das Verfahren sei gegen eine Geldauflage eingestellt worden.

Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland wurde bei dem damals Jugendlichen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Das ist bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten nicht selten. Die Ursachen dafür liegen oft in Erlebnissen im Herkunftsland - etwa Kriegsgeschehen - oder in den Umständen der Flucht. 

Polizei rechtfertigt Fehlinformation am Vortag

Viele Angaben zu dem Mann wurden gestern nachträglich korrigiert. Die zunächst falschen Angaben seien dem Chaos geschuldet gewesen, so die Polizei. In der "Chaosphase" würden viele Informationen "virulent" rumgehen, sagte der Vizepräsident des Polizeipräsidiums München, Christian Huber. "Es dauert eine gewisse Zeit, bis man ein Bild bekommt." Es sei menschlich nachvollziehbar: Der Täter sei in einem System zu Ladendiebstählen registriert gewesen - aber eben als Zeuge von Ladendiebstählen, nicht als Beschuldigter, sagte Huber. Da sei schnell eine Botschaft draußen, die vielleicht nicht so stimmig sei. Die Information komme aus "Polizeibeständen", aber wer wie mit wem kommuniziert habe, sei für ihn nicht nachvollziehbar, so Huber.

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte kurz nach der Tat am Donnerstagmittag mitgeteilt, dass der Mann wegen diverser Delikte polizeibekannt gewesen sei, korrigierte aber am Donnerstagabend seine Angaben. Die weiteren Ermittlungen übernimmt nun die Soko "Seidlstraße", darin seien 140 Beamtinnen und Beamte im Einsatz, sagte LKA-Vizepräsident Guido Limmer.

Im Video: So reagiert die afghanische Community

So reagiert die afghanische Community
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So reagiert die afghanische Community

Steinmeier bei stillem Gedenken

Zuvor waren Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Vormittag zu einem stillen Gedenken gemeinsam mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Innenminister Herrmann und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) an den Tatort gekommen. Sie legten weiße Rosen nieder. Auch Vertreter der Kirchen und der Gewerkschaft Verdi waren anwesend.

"Die Brutalität dieser Tat wühlt uns auf, macht fassungslos", erklärte Steinmeier anschließend. Der Täter habe vermutlich "wahllos" Menschen verletzen und töten wollen. Er werde dafür "nach Recht und Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden". Steinmeier sprach zugleich den Opfern sein Mitgefühl aus und dankte den Einsatzkräften von Polizei und Rettungsdienst.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will am Samstag zum Ort der Gewalttat kommen und der Verletzten gedenken. Geplant ist bei dem Besuch am Nachmittag auch ein Gespräch mit Einsatzkräften, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin mitteilte.

Im Video: Terrorismus-Experte im Interview

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Krisenhotlines eingerichtet

Für die Betroffenen des Anschlags wurden mehrere Krisenhotlines eingerichtet. Menschen, die wegen der fürchterlichen Ereignisse psychiatrische oder psychotherapeutische Unterstützung benötigten, könnten sich an die Hotline unter 0921/88099-55040 wenden, teilte die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns mit. Bereits am Donnerstag hatte das Gesundheitsministerium mitgeteilt, dass sich Betroffene für psychische Unterstützung beim Krisendienst Psychiatrie Oberbayern melden können. Die Krisenhilfe sei rund um die Uhr kostenlos erreichbar und stehe in 120 Sprachen zur Verfügung. Die Telefonnummer lautet: 0800/6553000.

Auch die Krisentelefone der Kirchen beraten. Inzwischen wandten sich zahlreiche Menschen zum Beispiel an ein Krisentelefon der Erzdiözese München und Freising. "Bei der Mehrheit der Anrufer handelt es sich um Freunde und Verwandte der Verletzten, die über ihre Sorgen um ihre Angehörigen sprechen sowie Augenzeugen, die ihre Erlebnisse verarbeiten müssen", teilte die Erzdiözese mit.

Muslimrat verurteilt Tat - "Als Gesellschaft geschlossen zusammenstehen"

Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) verurteilte die Tat. Man sei "tief bestürzt", erklärte KRM-Sprecher El Kaada in Köln. "Besonders erschütternd ist, dass unter den Schwerverletzten ein Kleinkind ist, das in Lebensgefahr schwebt. Diese Grausamkeit und Menschenverachtung sind unbegreiflich. Gewalt und Terror sind mit unseren Werten unvereinbar." Der KRM erwarte eine "umfassende Aufklärung dieses Verbrechens sowie die konsequente Strafverfolgung der Verantwortlichen". El Kaada rief darüber hinaus dazu auf, "dass wir als Gesellschaft geschlossen zusammenstehen und uns nicht von Angst oder Spaltung bestimmen lassen". Alle sollten jetzt besonnen bleiben "und jeder Form von Hass und Extremismus" entgegentreten, "unabhängig von seiner Herkunft".

Pläne für "Fridays for Future"-Demo geändert

Nach dem Anschlag werden die Sicherheitsmaßnahmen für die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) verschärft. Der "Kräfteeinsatz" werde "erhöht", sagte der Einsatzleiter, der Vizepräsident des Polizeipräsidiums München, Christian Huber. Aus Sicherheitsgründen wurde zudem die Münchner Demonstration, die ein Teil des deutschlandweiten Klimastreiks war, nur als Standkundgebung am Königsplatz abgehalten. Auf einen eigentlich geplanten Demonstrationszug verzichteten die Organisatoren von "Fridays for Future" nach Absprache mit den Sicherheitskräften.

Gedenken im Bundesrat

In seiner ersten Sitzung in diesem Jahr gedachte der Bundesrat der Opfer der Anschläge in Magdeburg, Aschaffenburg und München. "Es muss uns allen klar sein, dass diese Ereignisse nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfen", sagte Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger in Berlin. Das sei die politische Verantwortung aller für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander.

Mit Informationen von KNA, dpa und epd

Im Video: Pressekonferenz der Münchner Polizei und der Staatsanwaltschaft

Pressekonferenz in München
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Pressekonferenz in München

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