Genau genommen gibt es zwei Adeles. Da ist zum einen die Frau, die in ihrem Musikvideo zu "Someone Like You" in hochgeschlossenem, schwarzen Mantel an der Seine in Paris entlang spaziert und in sich versunken über einen Mann sinniert, der eine andere geheiratet hat. Und dann ist da die mitreißend fröhliche Frau, die dreckig lachend mit James Corden im Auto sitzt – und den Moderator in dessen letzter Sendung von "The Late Late Show with James Corden" für ein "Carpool Karaoke" feixend durch die Gegend kutschiert.
Aber womöglich ist es genau die Schnittmenge aus diesen beiden Adeles, die den Erfolg der heute 36-Jährigen aus Tottenham im Norden Londons ausmacht: das divenhaft Entrückte ihrer Musik und die Nahbarkeit der Sängerin selbst.
Retro-Soul war im Trend
Die Karriere von Adele Adkins beginnt zu einer Zeit, als Retro-Soul in Person von Amy Winehouse gerade die Massen begeisterte. 2006 war deren Album "Back to Black" gerade zum weltweiten Erfolg geworden. Zwei Jahre später erscheint dann Adeles Debüt-Album "19" und verhilft ihrer warmen, souligen Stimme zu erster Bekanntheit. Der weltweite Durchbruch gelingt dann 2011 mit ihrem zweiten Album "21", es erreicht in vielen Ländern Platz eins der Charts, unter anderem in Deutschland und den USA.
BR24live: So werden die Adele-Konzerte
Einen nicht geringen Anteil am Erfolg des Albums dürfte dabei auch ihr Auftritt bei den Brit-Awards 2011 gehabt haben: Adele performt "Someone Like You" alleine, mit einem Pianisten. Ein Klavier und ihre warm-kratzige Stimme. Hier und da unterstreicht sie die Melodiebögen mit der Hand – ansonsten rührt sie sich nicht von der Stelle. Auch das Publikum macht keine Mucks. Nach Adeles letztem Ton springen die Leute jubelnd von ihren Sitzen auf. Adele ist den Tränen nah, wendet leicht den Kopf ab und wischt sich über die Augen.
Nach dem Auftritt ist der Ton gesetzt: In Sachen Sehnsucht kommt an ihr niemand mehr vorbei. Die Sehnsucht nach der verflossenen Liebe oder die Sehnsucht nach der Leichtigkeit früherer Tage. "We were scared of getting old / It made us restless / It was just like a movie / It was just like a song" singt sie in "When we were young" von ihrem dritten Album "25" aus dem Jahr 2015.
Die Songs für das Album schreibt sie, da ist sie Mitte 20. Ein eigentlich noch junger Mensch, der aber schon jetzt sehnsüchtig in die Vergangenheit und zweifelnd in die Zukunft schaut. Welche Freunde werden bleiben, wer wird ihr abhandenkommen? "There's such a difference between us" heißt es im Titeltrack von "25" "Hello". Trägt sie daran die Schuld, dass zwei Freunde sich auseinandergelebt haben?
Der Selbstzweifel ist Adeles Songs immanent und da mag es dann eigentlich nur zwangsläufig gewesen sein, dass sie 2012 auch den Titelsong für den Bond-Film "Skyfall" beisteuert: nicht für den charmant-selbstsicheren Sean Connery-Bond, sondern für den strauchelnden, von seiner Vergangenheit geplagten Daniel Craig-Bond.
Zehn Konzerte in der Pop-Up-Arena
"19", "21", "25", "30": So heißt die Wegstrecke, die Adele zurückgelegt hat. Jedes Album trägt das Alter, das die Sängerin zu dem Zeitpunkt hatte, als sie an den jeweiligen Songs arbeitete. Über die Alben hinweg hat sie ihr Repertoire nur unwesentlich erweitert. Sie blieb ihrem Sound über die Jahre weitgehend treu: Gitarre, Klavier, Schlagzeug, Bass und Streicher werden meist dezent eingesetzt ohne elektronische Spielereien – darüber weit im Vordergrund ihre unverwechselbare Stimme. Damit wurde Adele zu einer der erfolgreichsten Künstlerinnen der letzten Jahre. Die Oscar-, Golden Globe- und sechzehnfache Grammy-Gewinnerin verkaufte mehr als 100 Millionen Tonträger.
Und nun macht sie sich bereit für den nächsten Superlativ: Nach einem Engagement in Las Vegas, wo sie seit knapp zwei Jahren beinahe jedes Wochenende mit ihrem Programm "Weekends mit Adele" auftritt, spielt sie erstmals seit 2016 live auf dem europäischen Kontinent. Zehn Konzerte mit jeweils rund 75.000 Besuchern spielt Adele in München in einer eigens für sie errichteten Pop-Up-Arena. Angesichts solcher Dimension dürfte die Zeit der Selbstzweifel vorbei sein.
Dieser Artikel ist erstmals am 30. Juli 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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