Nachdem der Hongkonger Regisseur Jun Li während einer Film-Premiere im Rahmen der Berlinale vom "Völkermord" an den Palästinensern gesprochen hatte, ermittelt nun der Staatsschutz des Landeskriminalamts.
Bei der Premiere seines Werks "Queerpanorama" hatte Jun Li am Samstag eine Rede des Schauspielers Erfan Shekarriz vorgelesen, der in seinem Film mitspielt. Ein Videomitschnitt mit Teilen der Rede war in sozialen Medien zu sehen. Darin hieß es, Millionen von Palästinensern erstickten unter Israels brutalem Siedlerkolonialstaat. Die deutsche Regierung und ihre Kulturinstitutionen, einschließlich der Berlinale, würden einen Beitrag zur Apartheid, zum Völkermord und dem brutalen Auslöschen des palästinensischen Volkes leisten, hieß es in der Rede.
Zu der Frage, inwieweit in Gaza tatsächlich ein Völkermord geschehe, hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag noch nicht abschließend geurteilt. Anfang des vergangenen Jahres verpflichtete das oberste Gericht der Vereinten Nationen den Staat Israel, alles zu verhindern, was den Tatbestand des Völkermords erfüllen könnte, auch durch die Schaffung widriger Lebensbedingungen. Allerdings wurde Israel vom Gericht nicht zu einem Ende des Militäreinsatzes verpflichtet.
In dem Redebeitrag war außerdem die Parole From the river to the sea, palestine will be free zu hören. Ob die Verwendung des Satzes einen Straftatbestand erfüllt, hänge zwar von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob ein erkennbarer Bezug zur Terrororganisation Hamas oder anderen verbotenen Vereinigungen vorliege, heißt es in einem Urteil des Bayerische Verwaltungsgerichtshofs aus dem vergangenen Jahr. Viele sehen in der Parole jedoch einen Aufruf zur Auslöschung Israels und einer Ausdehnung Palästinas vom Mittelmeer zum Grenzfluss Jordan gewertet werden kann.
Kritik vom Zentralrat der Juden
So reagierte der Zentralrat der Juden in Deutschland mit scharfer Kritik. "Dass zu Hamas-Parolen Beifall aufbraust, macht fassungslos", schrieb der Zentralrat im Kurznachrichtendienst X. Die Intendantin des Filmfestivals, Tricia Tuttle, teilte mit, die Berlinale bedaure den Vorfall außerordentlich. "Wir haben unsere Gäste im Vorfeld darauf hingewiesen, welche politischen Äußerungen besonders sensibel und welche möglicherweise strafbar sind."
Tuttle erhält Rückendeckung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne): "Die Berlinale hat bereits während der Veranstaltung in der Urania reagiert und den Vorfall kritisiert. Sie hat danach weitere Gespräche geführt und verdeutlicht, dass es auf diesem Filmfestival keinen Platz für Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geben darf. Sie wird weiter auf das Einhalten dieser Werte drängen und ihrer Verantwortung nachkommen."
Der Vorfall weckt Erinnerungen an die Preisverleihung 2024, als einzelne Preisträger auf der Bühne das Vorgehen Israels massiv kritisiert hatten, ohne den Terrorangriff der islamistischen Hamas vom Oktober 2023 zu erwähnen. In Statements war damals auch die Rede von Apartheid im Zusammenhang mit der Situation in den von Israel besetzten Gebieten sowie dem Vorwurf von Genozid mit Blick auf das Vorgehen der Armee in Gaza. Während der Rede gab es damals Beifall im Saal - und die Verantwortlichen reagierten erst, als im Anschluss der Gala Kritik laut wurde.
Zwei Filme über Schicksal jüdischer Geiseln
Dieses Jahr wirft die Berlinale in verschiedenen Filmen einen Blick auf die Situation jüdischer Menschen. Am Montag etwa war die Premiere des Films "Je n’avais que le néant – 'Shoah' par Lanzmann". Darin setzt sich der Regisseur Guillaume Ribot mit dem bekannten Holocaust-Dokumentarfilm "Shoah" von Claude Lanzmann auseinander.
Im Programm liefen zudem zwei Filme über das Schicksal israelischer Geiseln: "Michtav Le’David" (Ein Brief an David) über den israelischen Schauspieler David Cunio und "Holding Liat", der von der mittlerweile wieder freigelassenen Lehrerin Liat Beinin Atzili erzählt. Sie kam mit ihrer Familie zur Premiere des Films.
Mit Informationen von dpa
Transparenzhinweis: In einer früheren Fassung des Texts hieß es, die Parole "From the river to the sea, palestine will be free" sei eindeutig antisemitisch. Korrekt ist, dass es laut einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auf den Einzelfall ankommt. Das haben wir am 19.2.25 um 10:30 Uhr korrigiert.
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