Regisseur Christian Stückl ist der erfolgreiche Intendant des Münchner Volkstheaters. Bundesweit bekannt ist er als Leiter und Regisseur der Passionsspiele in Oberammergau. Viermal hat er die alle zehn Jahre stattfindende Passion Christi inszeniert – und jedes Mal ein Stück weiter reformiert. Unter anderem für diese Leistung bekommt er morgen im Münchner Gärtnerplatztheater das Verdienstkreuz erster Klasse überreicht.
BR: Es gibt ja das Bundesverdienstkreuz in acht Abstufungen. Wusste ich gar nicht. Sie bekommen erste Klasse, und zwar vorgeschlagen von Ministerpräsident Markus Söder?
Christian Stückl: Er hat mir einen Brief geschrieben und da stand drin, dass er mich vorgeschlagen hat für das Bundesverdienstkreuz. Deswegen gehe ich davon aus, dass es von Herrn Söder kommt.
Sie werden als Modernisierer des Passionsspiels und als Brückenbauer zwischen Religionen und Kulturen geehrt. Sie sind in Oberammergau aufgewachsen, wann begann es, dass Sie als Theatermann sozusagen in diesem Sinn handeln wollten?
Ich bin als kleiner Junge immer am Stammtisch gesessen bei den Eltern im Wirtshaus und hab wahnsinnig gern meinem Großvater und all diesen alten Passionsspielern zugehört. Wie ich 13, 14 war, ist es sehr oft zum Antisemitismus gekommen. Und da hat man ganz stark gemerkt, dass viele Ältere den Umgang damit völlig abgelehnt haben. Ich habe aber mit 15, 16 dann für mich gesagt, da muss was passieren. Wenn ich das Passionsspiel einmal mache, werde ich da sofort drangehen.
Sie haben immer wieder Reformen gemacht, also zum Beispiel, dass verheiratete Frauen mitspielen durften. Aber vor allem haben Sie dann eine textliche Neufassung entwickelt?
Es gab zwei Punkte: auf der einen Seite die Gestalt Jesus. Mein Vorgänger hat sich stark am Johannesevangelium orientiert. Da wirkt Jesus arrogant und da kommt man mit der Gestalt nicht weiter. Für mich war es wichtig, klarzumachen: Wo kommt dieser Jesus her, was will dieser Jesus? In der Richtung habe ich sehr stark gearbeitet. Auf der anderen Seite hat sich im Text sehr viel Antisemitismus eingeschlichen. Man hat seit über 2.000 Jahren den Juden den Gottesmord vorgeworfen und es gab ganz ablehnende Textstellen, die klar eine Schuldverschiebung auf die Juden machten: als Volksgruppe, als gesamte Religionsgruppe. Man hat das auch an den Bühnenbildern festmachen können: Beim Bühnenbild stand zum Beispiel immer im Ratssaal, da, wo Jesus zum Tode verurteilt wurde, die Menora als klares Zeichen der Juden. Ich hab das dort rausgenommen und habe es dort hingesetzt, wo ich denke, dass auch Judentum stattfand, nämlich auf den Abendmahls-Tisch, dort, wo Jesus mit seinen Aposteln sitzt. Es war aber auch in den Kostümen sichtbar: Judas war über Jahrhunderte in Gelb gekleidet, die Farbe, mit der man Juden seit Jahrhunderten stigmatisiert hat. Also das hing überall drin. Und damit habe ich mich auseinandergesetzt und dann Veränderungen gemacht.
Der Antisemitismus kommt ja jetzt auch wieder stark hoch nach dem Angriff der Hamas auf Israel und dem Gazakrieg. Es gibt ja regelrechte Verwerfungen in der Kulturszene. Teile der intellektuellen Linken ignorieren ja den Angriff der Hamas ganz stark, also sprechen nur von einem Genozid in Gaza. Sie beziehen sehr klar Stellung. Es wird am 16. März einen Abend geben im Münchner Volkstheater, wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt. Das ist eine Performance und ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober.
Ja Sapir Heller, eine Regisseurin, die bei uns am Haus arbeitet und aus Israel kommt, die hat einen Abend erarbeitet mit einem Text, der von einer Israelin geschrieben wurde. Der setzt sich wirklich mit beidem auseinander. Der sagt immer wieder: Denkt an die Mütter auf der einen Seite, denkt auf die Mütter auf der anderen Seite, versucht euren Humanismus in dem Ganzen zu halten. Versucht ganz klar, euch nicht auf eine Seite zu stellen und zu sagen: Wer macht jetzt hier die größten Fehler. Es ist von außen sowieso sehr arrogant, das zu machen. Das, was am 7. Oktober passiert ist, ist schrecklich und die Reaktionen sind auch nicht immer wunderbar. Also da muss man Kritik üben, aber nicht grundsätzlich mit antisemitischen Parolen. Sondern man kann sagen: Netanjahu geht zu weit. Aber man muss immer bedenken dabei: Die Hamas ist am 7. Oktober sehr weit gegangen und deswegen ist es schwieriger Punkt.
Man muss ja auch sagen, dass Ihre ganze Theaterarbeit der Idee der Toleranz verpflichtet ist, und dass es Ihnen um weit mehr geht, als nur ein Brückenbauer zwischen christlicher und jüdischer Religion zu sein. Sie beziehen die muslimische Welt ja durchaus genauso mit ein.
Absolut. In Oberammergau war es mir ein großes Anliegen zu sagen: Es gibt viele Muslime, die in Oberammergau leben, das ist ein Teil unserer Gesellschaft, die gehören dazu, die müssen mitmachen. Wir haben auf der Bühne auch in Hauptrollen junge Muslime gehabt, die mitgespielt haben. Ich habe immer versucht, mich nicht auf eine Seite zu stellen, also Offenheit zu predigen, allen Seiten gegenüber eine Klarheit zu haben in dem, was wir tun. Wir müssen auf der anderen Seite aber aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig immer in zwei Lager stecken. Man hat das Gefühl, dass im Augenblick jeder recht behalten will mit seiner Haltung und dann ist man entweder für die Palästinenser oder für die Juden und sieht irgendwie gar nichts mehr dazwischen. Und Theater kann einen Raum bieten, wo man diskutieren kann, wo man unterschiedliche Meinungen haben darf, wo man die Sachen bereden muss und nicht immer nur recht haben will.
Theater ist ja eigentlich auch der klassische Raum für Differenziertheit. Bald ist ja das Radikal Jung Festival wieder im Münchner Volkstheater. Wie macht man da das Programm? Wie nutzt eine junge Generation das Theater? Welche Stücke braucht sie?
Schaut man auf die junge Generation, dann merkt man, dass da sehr viel Verwirrung ist im Augenblick: Dass wir nach unseren Körpern suchen, dass wir nach unseren Geschlechtern suchen, wir suchen überall, und ich glaube, diese Suche wird im Theater gerade sehr sichtbar. Also gar keine Antworten, sondern eher die Suche danach, was wir sind, wo wir sind, wo wir hinwollen, was wir machen. Ich glaube, wir werden nicht sicherer, sondern eher unsicher. Aber die Leute kommen und ich hab sogar das Gefühl, sie lechzen nach Theater.
Kommen eigentlich viele Politiker in Ihre Aufführungen?
Äh, nein.
Sie kriegen ja jetzt das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, Politiker schlagen Sie vor. Man sagt, dass Sie Brückenbauer sind zwischen Religionen und Kulturen, und ich denke mir, man kann derzeit von sehr wenigen Politikern behaupten, dass sie gerade Brückenbauer sind und sich ihrer Verantwortlichkeit darüber vielleicht bewusst sind.
Ich bin manchmal völlig überrascht und auch erbost, weil ich mir denke, man kriegt vorgebetet, dass keine Partei mit der AfD koalieren wird. Aber wenn ich dann auf das, was sie gerade machen, schaue, dann hetzt man gegeneinander innerhalb der Politik. Der Umgang mit Flüchtlingen, der wird in keiner Partei besser, da gehen sie alle mittlerweile dem Programm der AfD nach. Also ich bin wirklich grad entsetzt über das, was passiert. Ich möchte wissen, was im Herbst passiert, sollte Trump an die Regierung kommen. Ich hoffe, dass die Europawahl irgendwie richtig rausgeht, dass sich im Osten nicht die AfD durchsetzt. Aber mich macht die ganze politische Situation im Augenblick sehr traurig, man hat dieses Riesen-Fragezeichen: Wo geht das eigentlich alles hin?
Dieser Artikel ist erstmals am 7. März 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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