"Ich kann Ihnen versichern, dass es in der wahren Welt so nicht ist", sagte Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger kürzlich zu seiner Beobachtung, wonach die Mörder im ARD-Tatort "am häufigsten Unternehmer oder Manager" seien. "Unternehmer werden immer häufiger negativ dargestellt. Die Wertschätzung hat abgenommen, teilweise schlägt es in Ablehnung um. Gewinne werden moralisch hinterfragt." Der bei der Feier von Dulgers 60. Geburtstag anwesende Kanzler Olaf Scholz stimmte dem Lobbyisten grundsätzlich zu, bezweifelte jedoch, ob er sich in seiner Funktion "beim Fernsehrat des ein oder anderen Senders" beschweren solle: "Das Bild ist wirklich falsch. So soll es nicht weitergetragen werden."
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) legte jetzt aktuelles Zahlenmaterial vor, das dem BR vorliegt und die erwähnten Aussagen untermauern soll. Wie Pressechef Lutz Kordges dem BR sagte, habe es unter den Verbandsvertretern intern das "Gefühl" gegeben, Manager würden überproportional häufig im "Tatort" als Täter ermittelt. Dieser Eindruck habe sich bei der selbst durchgeführten Auswertung der Folgen aus den vergangenen Jahren bestätigt.
"Permanente Suche nach eigenem Vorteil"
In einem Interview mit der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT sprach der Vorsitzende der BVMW-Bundesgeschäftsführung, Christoph Ahlhaus, von einem "völlig grotesken Bild" und ergänzte: "Im 'Tatort' und auch anderswo wird ein Zerrbild von Unternehmern gezeichnet, in dem Korruption, Egoismus, Geldgier und die permanente Suche nach dem eigenen Vorteil dominieren."
Ahlhaus bedauerte ein "negatives Klischee über Unternehmertum". Deshalb würden sich immer weniger junge Menschen dazu durchringen, eine Firma zu gründen: "Der deutsche Mittelstand schafft auf eigenes Risiko Arbeitsplätze, viele Unternehmer engagieren sich sozial, in Sportvereinen oder bei der Integration von Flüchtlingen."
Polizeistatistik: Immer weniger Morde
Konkret schaute sich der BVMW "Tatorte" ab 2018 an und kam zum Ergebnis, dass 39 Mal Unternehmer als Täter identifiziert wurden. In 28 Fällen waren es Berufskriminelle, 23 Mal Polizisten, 21 Mal Ehepartner. Nur in einem einzigen Fall sei ein Journalist "überführt" worden und damit genauso selten wie Pfarrer, Waldarbeiter und Arbeitslose. Zuletzt wurden demnach Manager in den "Tatort"-Sendungen "Was bleibt" (Folge 1255) und "Borowski und das unschuldige Kind von Wacken" (Folge 1251) dingfest gemacht.
Laut Polizeistatistik leben Opfer und Täter bei echten Morden übrigens in 16,5 Prozent der Fälle in einem gemeinsamen Haushalt. Über die Berufe der Mordverdächtigen gibt es bundesweit keine genaueren Angaben. In einem Punkt entspricht die Krimiserie jedoch weitgehend der Realität: Von den 256 Mord-Tatverdächtigen "im wirklichen Leben" im Jahr 2022 waren 215 Personen männlich. Im Fernsehen werden in etwa dreiviertel aller "Tatort"-Folgen Männer als Täter überführt. Kritisiert wird allerdings, dass es in TV-Krimis tendenziell immer mehr Leichen gibt, während tödliche Gewaltdelikte seit Jahren tatsächlich rückläufig sind: Gab es 2002 noch 421 vollendete Mordtaten, waren es 2022 nur noch 211.
"Fälle richten sich nicht gegen einzelne Berufsgruppen"
Bereits 2017 war auf dem Portal "Netzsieger" eine Analyse veröffentlicht worden, in der die rund 1.000 Tatort-Folgen seit Bestehen der Krimiserie statistisch ausgewertet wurden. Demnach waren in 109 Folgen Unternehmer die Täter, gefolgt von Berufskriminellen (100) und Schülern (54). Der sprichwörtliche Gärtner wurde ein einziges Mal als Mörder dingfest gemacht, in einem Tatort aus Köln. Bei den Todesursachen dominierten Schusswaffen. Am zweithäufigsten erschlugen die Täter ihre Opfer. Stromstöße und Erfrierungen kamen demnach äußerst selten vor.
Ein ARD-Sprecher hatte gegenüber dem STERN auf die Kritik aus der Wirtschaft erwidert, es gehe um "gesellschaftlich relevante Themen": "Die Krimi-Stories des 'Tatort' sind in den verschiedensten Milieus und Lebenswelten angesiedelt. Die fiktiven Fälle richten sich nicht gegen einzelne Berufs- oder Bevölkerungsgruppen, und es gibt auch keine Absicht, ein bestimmtes Bild von ihnen in der Öffentlichkeit zu zementieren oder gar ein pauschales Urteil über einen Berufsstand zu fällen."
Schon "Derrick" wurde wegen Villenvierteln kritisiert
Neu ist die Debatte um wohlhabende "Täter" aus dem Unternehmermilieu nicht: Bereits die legendäre ZDF-Krimiserie "Derrick" (1974 – 1998) war häufig, meist ironisch, getadelt worden, weil sie ihre Schauplätze überwiegend in Villenvierteln im Münchner Süden fand. Die "Süddeutsche Zeitung" vermutete, dass die Regisseure damals die "riesigen Gärten, wenig Industrie und beschauliche Landschaften" schätzten: "Gut und Böse schienen hier oft nah beieinander zu liegen."
Schauspieler Walter Kreye, der von 2008 bis 2012 den "Alten" im ZDF spielte, sagte der Münchner tz einst, er wolle bei seinen TV-Ermittlungen gern "raus aus den Villen" und in den Drehbüchern "auch mal etwas anderes lesen, als dass ein steinreicher Unternehmer in seiner Grünwalder Villa umgebracht oder die schöne Millionärsgattin Opfer einer Entführung" werde: "In anderen, weniger glamourösen Stadtteilen könnte es doch auch Verbrechen geben."
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